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Baclofen und Selbsthilfegruppen

Samstag 9. April 2011, 19:04

Hallo Leute.

Zur Zeit beschäftigt mich folgende Thematik.

Wie bringe ich es meiner Selbsthilfegruppe bei?

Vor einem Jahr habe ich den ersten bedeutsamen Schritt in ein Leben ohne Alkohol getan.

Es war ein Jahr voller Rückfälle, die Abstände haben sich zwar vergrößert, aber durch den Tod meines Vaters ist bei mir vieles aus dem Gleichgewicht gekommen. Meiner Selbsthilfegruppe habe ich immerhin zu verdanken, die letzten Tage meines Dads bewußt miterlebt zu haben. Auch haben sie mich nach jedem Rückfall immer wieder fürsorglich aufgefangen. Es war definitiv ein erster sehr wichtiger Schritt.

Auch die Weisheiten die mir dort vermittelt wurden, die Lebenswege einzelner Mitglieder, alles sehr sympathisch.

Vor ca. zwei Monaten habe ich das Thema Baclofen erstmalig und einmalig angesprochen.

Der einhellige Tenor "meiner jungs" war: Besser ohne, lass die Finger davon, du tauscht eine Droge gegen eine andere, keiner wollten seinen - mitunter harten - Weg missen. Alles in allem habe ich verneinendes, überzeugtes Kopfschütteln geerntet.

(Von Leuten, die das schlimmste schon hinter sich haben, während ich noch mitten drinnen stecke)

Mein Gedanke dabei war....Moment mal. Von Euch hat mir mindestens die Hälfte erzählt, dass ihr auf Therapie wart, eine Zeitlang Acomprosat genommen habt und erst danach den Weg in die Gruppe gefunden habt. Mir wiederum könnte dieses Medikament helfen,um erstmal den Kreislauf meiner Exzesse zu durchbrechen, mich neu zu ordnen, rauszukommen aus dem ganzen Mist und die Sache dann mit klarem Kopf anzugehen.

Und wenn es zwei oder drei Jahre dauert, oder sogar noch viel länger, nichts ist doch schlimmer als der Gefahr alkoholischer Exzesse ausgeliefert zu sein?!

Ich habe die Meinung schon bei dieser ersten Erwähnung von Baclofen als etwas borniert empfunden, weiß aber, dass ich nicht umhin komme, mich der Thematik und meiner positiven Einstellung zu Bac zu stellen.

Das blöde daran ist...lobe ich es in den Himmel, wird sich eine Skepsis aufbauen, ob es nicht vielleicht doch eher eine Droge ist (Stichwort: "Wunderdroge gegen Alkohol", was für ein bescheuerter Slogan!).

Untertreibe ich, wird man mich fragen, warum ich es denn dann nehme.

Sage ich es so wie es ist, werden die "Griesgrame" und "Neunmalklugen" aus den SHG mir ellenlange Vorträge halten, warum ich es ohne medikamentöse Hilfe versuchen sollte.

Andererseits geben mir diese SHG sehr viel. Sie holen mich aus meiner mir selbst auferlegten Isolierung heraus (nicht völlige Isolierung, aber wie es eben so kommt, nach Jahrelangem exzesiven Trinken, der Freundeskreis wird halt kleiner, man unternimmt weniger) und schulen mich in freier Rede.

Gerade der letzte Punkt ist mir ausserordentlich wichtig. Leide ich doch zeit meines Lebens unter einer gewissen Redeangst. Nicht in zweier- oder dreiergesprächen, aber ab einer gewissen Anzahl Menschen die mir zuhören, und mir ihre Aufmerksamkeit schenken, blockiert in mir was - das geht oft schon in Richtung Blackout, auf jeden Fall macht es mich unsicher und ich empfinde es als ein riesen Handycap.

Die Selbsthilfegruppen geben mir die Möglichkeit vor anderen zu einem Thema zu sprechen, dass mich über mich alle Maßen beschäftigt.

Also einerseits möchte ich mein Teilnahme an SHG deutlich aufstocken, andererseits, weil ich mir fest vorgenommen habe, innerhalb dieser SHG nicht zu lügen, sehe ich mich einer Rechtfertigung ausgesetzt, die ich momentan gar nicht leisten möchte.

Wie würdet ihr, den zum teil sehr dogmatisch denkenden Menschen aus SHG Eure Erfahrungen mit Baclofen nahebringen?

Für Tips dankbar ist....

Nordlicht.

*SHG = Selbsthilfegruppen

Re: Baclofen und Selbsthilfegruppen

Samstag 9. April 2011, 20:34

@ Nordlicht

Du nimmst erst seit einigen Tagen Baclofen, daher stellst Du überhaupt nur diese Frage. In 2-3 Wochen hast Du diese Frage für Dich längst entschieden... im Konflikt/Streit mit Deiner Gruppe und selbstbestimmt.

LG invorio

Re: Baclofen und Selbsthilfegruppen

Samstag 9. April 2011, 22:23

Hallo Nordlicht,

ich kenne die Hamburger Gruppen auch. 90 Tage 90 Meetings und manchmal sogar mehr.
Vor 15 Jahren wollte ich die damals neuen Medikamente (zum Beispiel Acamrosat) hoffähig machen - keine Chance. In Hamburg und Umgebung habe ich jedes Meeting besucht. Geholfen haben mir diese Besuche allerdings nicht.
Seit 18 Monaten nehme ich Baclofen. Dieses Medikament hat mir auf der psychischen als auch auf der suchtspezifischen Ebene sehr geholfen.

Liebe Grüße, Hoffnung

Re: Baclofen und Selbsthilfegruppen

Sonntag 10. April 2011, 12:34

@Nordlicht,

ich hatte vor einigen Wochen ein sehr gutes Gespräch mit einem seit 14 Jahren trockenem AA-Mitglied. In diesem sehr persönlichen Telefonat gab er unumwunden zu: „hätte ich vor 14 Jahren diese Chance gehabt, ich hätte sie ohne Zögern ergriffen.“ Diesen Satz würde er allerdings in seinen Meetings so niemals wiederholen. In jeder Gruppe gibt es gewisse Themen die als Tabu angesehen werden. Die 12 Schritte wären durch die Akzeptanz von Baclofen oder anderen Anti-Craving-Substanzen ja dann auch überflüssig. Schon der erste Schritt wäre so nicht mehr zu halten.

Wir gaben zu, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind - und unser Leben nicht mehr meistern konnten.


LG Federico

Re: Baclofen und Selbsthilfegruppen

Montag 11. April 2011, 08:18

Hallo Nordlicht,

ich mache aus meinem Herzen keine "Mördergrube" und muß mich nicht für alles rechtfertigen.
Wenn mir eine Gruppe gut tut und mir hilft trocken zu bleiben, würde ich weiterhin an den Meetings teilnehmen.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die AA sehr strikt in ihrer Einstellung sind (mit der ich mich nicht identifizieren kann), allerdings auch schon vielen Menschen geholfen haben, trocken zu bleiben.

Nimm Dir dort das was Du brauchst....wie Du den Weg gehst, der Dich an Dein persönliches Ziel führt bleibt Dir ganz alleine überlassen, der Erfolg ist das was zählt.

Liebe Grüße von Elisa

Re: Baclofen und Selbsthilfegruppen

Samstag 23. April 2011, 20:03

Kurz und gut.....

Die Reaktion in meiner SHG war letztendlich eher positiv. Bis auf einen Hardliner, der gleichzeitig auch der Griesgram der Gruppe ist, standen alle meinem Entschluß durchaus wohlwollend gegenüber. Da ich in der Gruppe wohl nicht ganz unbeliebt bin, fanden Sie es zunächst einmal gut, dass ich nach vier Wochen überhaupt wiedergekommen bin und nicht aufgegeben habe und tatsächlich nach weiteren Möglichkeiten suche, um der Sache "Herr" zu werden.

(Der (liebenswerte) Griesgram hatte mir sogar einen Prospekt von der Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen mitgebracht, in der er selbst war. Das wäre sein Vorschlag für mich gewesen und ich weiß diesen durchaus zu schätzen und lasse mir zusätzlich mittlerweile auch diese Option durch den Kopf gehen.)

Einige haben während ihrer stationären Therapie ebenfalls Medikamente verabreicht bekommen, die ausser zum Teil heftigen Nebenwirkungen, nach deren Aussage, nichts gebracht haben.

Mein - fast schon - Sponsor hatte mich besorgt gefragt, ob es sich bei Baclofen um ein Benzodiazipem handelt. Was ich ja verneinen konnte.

Da ich ja meine Besuche bei SHGen weiterhin verstärken möchte und mir nun auch mal andere Gruppen ansehen möchte, bin ich gespannt wie die Akzeptanz dort ausfällt. Ich halte es nicht für Angebracht zu sehr von Baclofen zu schwärmen, den ich weiß ja wie fragil das Gebilde der Abstinenz bei einigen ist und wie leicht man Baclofen als Vorwand sehen könnte, um nun doch mal wieder ordentlich zu bechern und dann hinterher Bac zu nehmen.

Aber ich werde es mir auch nicht nehmen lassen zu erwähnen, dass ich Baclofen nehme und werde auch durchaus kurz von meinen bisherigen Erfahrungen - inkl. zweier "Vorfälle" berichten.

Bin gespannt, ob sich zu diesem Thema in den Gruppen Diskussionen ergeben.

Ansonsten bereitet mir der "Interessenskonflikt" zwischen 12-Schritte-"Das ist der einzig richtige Weg - Blabla" und den neuen Möglichkeiten durch Bac tatsächlich noch einiges an Kopfzerbrechen. Aufgrund meiner 20jährigen Trinkerfahrung und meinem deutlich ausgeprägten "Alles oder Nichts"- Denken, halte ich in Bezug auf Alkohol Abstinenz für mich tatsächlich für die Beste Lösung. Denn ich möchte ja auch irgendwann mal ohne Bac auskommen. Zumindest ist es so angedacht. Wenn es nur mit Bac geht, dann ist es halt so, damit könnte ich dann auch Leben, aber die Aussicht mir ein Leben lang Bac sichern zu müssen, gefällt mir nicht.

Wie dem auch sei...ich werde bei Gelegenheit weiter von meinen neuen Erfahrungen mit anderen Gruppen schreiben.

Bis dahin....

Liebe Grüße,
Nordlicht.
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