Web Modus
Bild
Antwort erstellen

ESBRA/ISBRA-Kongress

Sonntag 4. September 2016, 12:39

Gestern war es soweit: Alle 4 Baclofenstudien wurden vorgestellt - mit sehr divergierenden Ergebnissen.
Ich habe noch nichts Schriftliches und nur einige Sachen flüchtig auf Twittter gesehen, aber insgesamt sah das Ganze so aus:

ALPADIR verfehlte das Ziel "Abstinenz/Abstinenzdauer", zeigte jedoch eine deutliche, anhaltende Verminderung von Craving.
Auch die NL-Studie zeigte KEINE Überlegenheit von Baclofen hinsichtlich des Abstinenzziels.

BACLOVILLE dagegen zeigte hinsichtlich der erfolgreichen Zielerreichung "Abstinenz/unbedenklicher Alkoholkonsum" eine hochsignifikante Überlegenheit (57% vs 39%) gegenüber Placebo.

Also: Gescheitert ist der Anspruch an "vollständige und dauerhafte Abstinenz". Das funktioniert weder ohne noch mit Baclofen.

Ein enormer und durch die gängigen Hypothesen nicht erklärbarer Placeboeffekt zieht sich durch alle Studien!

Bei ALPADIR erreichten nur 11.5% (Placebo 10.5%) Abstinenz ohne Laps!

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Endpunkt "erster erneuter Alkoholkonsum nach Beginn der Therapie" ist eine unerfüllbare Anforderung.

BACLOVILLE zeigt eindeutig, dass das Abstinenzpradigma definitiv falsch ist. Sobald das Ziel "unbedenklicher Alkoholkonsum" zugelassen wird, ist Baclofen eine hochwirksame Substanz!

LG

Praxx

Re: ESBRA/ISBRA-Kongress

Montag 5. September 2016, 07:30

Vielen herzlichen Dank für diesen ersten Ausblick auf die diesbezüglichen Resultate der Tagung.

Da ist aber ein Satz, den ich irgendwie nicht verstehe:

praxx hat geschrieben:Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Endpunkt "erster erneuter Alkoholkonsum nach Beginn der Therapie" ist eine unerfüllbare Anforderung.


Müsste das nicht eher heißen "kein erneuter Alkoholkonsum nach Beginn der Therapie"?

Oder steh' ich hier völlig auf dem Schlauch? :-?

Grüße
Pat :-h

Re: ESBRA/ISBRA-Kongress

Montag 5. September 2016, 07:50

Macht ansonsten ja keinen Sinn.

Re: ESBRA/ISBRA-Kongress

Montag 5. September 2016, 10:08

Lieber Praxx,

das hast Du ganz wunderbar zusammengefasst! Schon am Samstagabend fand eine Zusammenkunft der "Protagonisten" statt. Die Studien sind so schwer vergleichbar. Geplant werden soll eine neue Multitenzenterstudie! Es bleibt spannend.

Nicht verständlich für die meisten KollegInnen ist, dass keine "sichere" Dosis-Wirkungsbeziehung zu bestehen scheint (meint:wieviel Medikament bewirkt welchen Effekt), da die Baclofendosis eben individuell angepasst werden muss (mögliche Erklärung: Individualität bei der Überwindung der Blut/Hirnschranke). Pascal Gache hat das am Ende der Diskussion noch einmal sehr klar darstellen können.

Lieben Gruss

jivaro

Re: ESBRA/ISBRA-Kongress

Montag 5. September 2016, 19:54

Hallo,

ein erster Bericht:
http://www.deutschlandfunk.de/suchtmedi ... _id=365017

Grüsse

BD

Re: ESBRA/ISBRA-Kongress

Dienstag 6. September 2016, 00:09

Hi Praxx & All

Ja, auch ich konnte am späten Samstagnachmittag meine Finger von Twitter kaum lassen. Und das war gut so. Und wie durch ein Wunder (?) erschienen nur wenige Minuten nach der Berliner Präsentation gleich dutzende Artikel in der Französischen (online) Presse. Die Deutsche Presse wird wie immer mit der üblichen Verspätung nachziehen. Vielleicht.

Das ist aber nicht der Punkt. Das Französische Media-Feuerwerk muss jetzt erst mal konsolidiert und verarbeitet werden. Es steht immerhin eine Marktzulassung auf dem Spiel! Von einer durch den G-BA abgesegneten Erstattungsfähigkeit kann man ja mal träumen. Die wird es zwar nicht geben, braucht es aber auch nicht wirklich, Hauptsache Zulassung. Und dann weiter therapieren und weiter sehen, erst mal frankreich- deutschland und europaweit.

Und Ja, klar, die bisher erhältlichen Screenshots (Fotos) bei Twitter machen schon was her, und letztendlich bezieht sich ja das ganze Französische Pressefeuerwerk einzig und genau darauf. Erwartet wird dann aber schon, dass die Resultate demnächst auch in namhaften medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht werden, und nicht nur an Präsentationen anlässlich des Baclofen-Kolloquiums vom 17. September 2016.

DonQ
Zuletzt geändert von DonQ am Dienstag 6. September 2016, 00:31, insgesamt 1-mal geändert.

Re: ESBRA/ISBRA-Kongress

Dienstag 6. September 2016, 00:23

Hallo Jivaro

jivaro hat geschrieben:Nicht verständlich für die meisten KollegInnen ist, dass keine "sichere" Dosis-Wirkungsbeziehung zu bestehen scheint (meint:wieviel Medikament bewirkt welchen Effekt), ...

Hm .. Mit einem rein mechanistischen Welt- und Medizin-Bild hat man es natürlich schwer. Bei der Behandlung der Alkoholabhängigkeit sowieso.

DonQ

Re: ESBRA/ISBRA-Kongress

Dienstag 6. September 2016, 07:18

jivaro hat geschrieben:Nicht verständlich für die meisten KollegInnen ist, dass keine "sichere" Dosis-Wirkungsbeziehung zu bestehen scheint (meint:wieviel Medikament bewirkt welchen Effekt), da die Baclofendosis eben individuell angepasst werden muss


Hmm, dass sich die Ärzte damit so schwer tun finde ich ein wenig überraschend.

Den Effekt gibt es doch bei anderen Medikamenten auch.

Die medikamentöse Einstellung bei Schilddrüsenproblemen z.B. besteht ja auch an einem Herantasten an die individuell richtige Dosis, das sich über Wochen und Monate hinziehen kann.

Oder nehmen wir die Hormonersatzbehandlung durch Östrogengele in Verbindung mit Progesteron-Präparaten, auch hier variiert die ausreichend wirksame Dosis/Kombination von Frau zu Frau und muss individuell austariert werden.

Auch Blutdruckmedikamente - ein weites Feld, bis die individuell richtige Medikamentenkombination und -dosis gefunden ist. Bei manchen Patienten klappts nie.

Was ist mit Psychopharmaka - da gibt es doch auch so etwas wie eine individuelle Dosisfindung.

Natürlich, man startet mit einer bestimmten Dosis von der man eine bestimmte Wirksamkeit erwartet/erhofft - und schaut dann, ob und wieviel man in welche Richtung nachsteuern muss.

Und bei Alkohol-Patienten ist die Frage nach der wirksamen Baclofen-Dosis ja nicht nur von den individuellen körperlichen Gegebenheiten abhängig sondern auch noch davon beeinflußt, ob und wieviel die Patienten bei der Dosisfindung weiter trinken - in welchem Maß das Baclofen also durch weiterhin aufgenommenen Alkohol neutralisiert wird.

Zugegeben, vielleicht ein etwas naiver und laienhafter Blickwinkel, aber Ärzten, die doch täglich mit Medikamenten wie den oben genannten zu tun haben, müsste das Vorgehen "wir müssen die optimal wirksame Dosis finden" doch aus dem Alltag vertraut sein.

Oder hab ich die Äußerung von Jivaro völlig falsch verstanden? :-?

Liebe Grüße
Pat
:-h

Re: ESBRA/ISBRA-Kongress

Dienstag 6. September 2016, 10:47

Nein liebe Pat,

es ist genau so!

LG jivaro

Re: ESBRA/ISBRA-Kongress

Sonntag 11. September 2016, 17:59

Auch ich habe mir Gedanken über die Studienresultate gemacht.
praxx hat geschrieben:Ein enormer und durch die gängigen Hypothesen nicht erklärbarer Placeboeffekt zieht sich durch alle Studien!
Bei ALPADIR erreichten nur 11.5% (Placebo 10.5%) Abstinenz ohne Laps!
Dieses Resultat gibt mir am meisten zu denken. Wir müssen hier jedoch auch die Ergebnisse von Blindversuchen einbeziehen, wo das pure Gegenteil passierte (Doku auf ARTE). Ein Proband hatte schwerste NW, inklusive Bettnässen (!), dies allein aufgrund des Lesens des Beipackzettels. Er wurde in der Studie jedoch mit einem Placebo "behandelt".
jivaro hat geschrieben:Nicht verständlich für die meisten KollegInnen ist, dass keine "sichere" Dosis-Wirkungsbeziehung zu bestehen scheint (meint:wieviel Medikament bewirkt welchen Effekt), da die Baclofendosis eben individuell angepasst werden muss (mögliche Erklärung: Individualität bei der Überwindung der Blut/Hirnschranke). Pascal Gache hat das am Ende der Diskussion noch einmal sehr klar darstellen können.
Hier plädiere ich auch auf die sehr individuelle Reaktion auf dieses Medikament. Durch unzählige Berichte im Forum hat sich gezeigt, dass schon nur die Schwelle der erträglichen NW von ~25-250mg reicht. Demzufolge scheint auch die Wirkung parallel zu gehen!
Interessant in diesem Zusammenhang wäre noch der Beikonsum von Alkohol, da wir ja aus Erfahrung wissen, dass 1 Flasche Wein locker 80mg Bac kompensieren kann.

Und wie @Pat erwähnt hat, gibt es diese Effekte bei anderen Medikamenten auch. Insbesondere bei AD kann die Reaktion des Patienten sehr unvorgesehen sein. Von keiner Wirkung bis zu widersprüchlichem Verhalten...

Unbestritten ist jedoch folgendes (und da habe ich mich in den Tiefen des Forums an Tatsachenberichten informiert).

Bac kann noch einiges mehr: (was in den Studien öfters zu kurz kommt!)

- Es zeigt manchen einen neue Weg aus dem Dilemma. Stichwort: neue Perspektiven, neuer Lebenswille.
- Es wird von Absetzen von AD's und Schlafmitteln gesprochen.
- Es kann auch beim Entzug anderer Drogen und Medikamenten helfen.
- Stichwort: "Panikattacken", welche durch die Einnahme von Bac eliminiert werden.
- Einige finden nicht die Abstinez, jedoch einen moderaten, den Körper nicht mehr schädigenden Konsum.

Zusammenfassend möchte ich meine persönlichen Erfahrungen über 5 Jahre ununterbrochene Einnahme (max. 120mg/d, aktuell 50mg/d) kommunizieren: Bac schlägt einem das Glas nicht aus der Hand, jedoch birgt es das Potential in sich, mit Wollen und etwas an Disziplin ein signifikantes Resultat zu erreichen. Summa summarum: mir graust vor dem Gedanken, wo ich heute ohne Bac stehen (oder für alle Zeiten liegen) würde...

LG
moonriver
Antwort erstellen