Samstag 9. Juni 2012, 12:06
Federico hat geschrieben:Hi tom,
Schade, dass ich das Forum erst jetzt entdeckt habe, hätte evtl. 2 Jahre gewinnen können
Zwei Jahre? Dass ich nicht lache, Du wirst es auch, wenn Du diesen Artikel und das Original aus dem Jahre
1976 liest. Dank Moonriver blicke im Zorn auf mindestens 25 verplemperte Jahre in der Erforschung des Alkoholismus, bzw. Entwicklung von Heilmethoden.
Es mag schon so sein, daß Pharmafirmen kein Interesse daran haben, Baclofen zur Behandlung von chronischer Alkoholkrankheit zu empfehlen. Mit Baclofen ist finanziell nicht mehr viel zu gewinnen, da forscht man lieber an superdupermodernen Präparaten, die wahrscheinlich weniger wirksam sind, dafür aber schön teuer auf den Markt geworfen werden können.
Sicherlich wäre es schön für mich, wenn die Krankenkasse mir das Baclofen bezahlen würde. Andererseits sind 50 Euro im Monat nicht die Welt für eine so wichtige Sache, und wer wirklich will, bekommt in Deutschland Baclofen, auch wenn er sich dafür eventuell ein bißchen auf die Suche machen muß.
Von den Pharmaunternehmen und von der Politik ist da nicht viel zu erwarten. Wenn sich aber herumspricht, wie sehr Baclofen helfen kann, wenn immer mehr Ärzte es verschreiben, dann wird es sich ganz basisdemokratisch durch die Hintertür etablieren, da bin ich mir ziemlich sicher.
Von uns Alkoholabhängigen lebt inzwischen eine ganze Industrie an Psychologen, Theurapeuten und Sozialarbeitern ganz gut und auskömmlich. Sosehr ich diesen Menschen glaube, daß sie aufopferungsvolle Arbeit leisten und wirklich helfen wollen: gäbe es keine Alkoholabhängigen mehr, wären die von einem Tag auf den anderen arbeitslos, die hunderten oder gar tausenden Reha-Zentren allein in Deutschland auf einen Schlag verwaist.
Die Reha-Einrichtung, in der ich war, prahlt mit einer angeblichen Erfolgsquote von 50 %. Dieser Zahl traue ich nicht weiter, als ich spucken kann; sie gründet sich auf Fragebögen, die ein Jahr nach Beendigung der Therapie zur freiwilligen Beantwortung verschickt werden. Wer die Therapie, so wie ich, gegen seinen Willen abbrechen muß, bekommt so einen Bogen schon einmal überhaupt nicht zugesandt. Wer dann nach einem Jahr noch trocken ist, wird natürlich schreiben, wie sehr die Langzeittherapie ihm geholfen hat, bei allen anderen dürften die Formulare umgehend im Papierkorb landen.
Wenn Mediziner also einer Medikation kritisch gegenüberstehen, sollten sie fairerweise auch die Frage beantworten, wie denn eigentlich die Erfolgsquoten der herkömmlichen Therapien aussehen. Die sehen nämlich schlecht aus. Von fünf Menschen aus der Reha, die ich zufällig auf der Straße wiedergetroffen habe, sind alle fünf rückfällig geworden.
Doch zurück zum Thema. Manchmal plagen mich auch Gedanken der Art, daß ich die letzten zwölf Jahre meines Lebens, vielleicht meine theoretisch besten Jahre, weggeworfen habe. Nein, das ist nicht ganz richtig, besser ist: alkoholbedingt dazu gezwungen war, diese Jahre wegzuwerfen. Es gibt aber ein Lied, das mich diesbezüglich immer wieder aufgerichtet, mich immer wieder dazu ermuntert hat, nach dem Hinfallen wieder aufzustehen, und ich möchte es Euch nicht vorenthalten:
Peter Tosh -- Don't Look Back.
Was nützt es schließlich, sich in Schuldgefühlen zu suhlen? Eben. Nichts. Das ist, wie Du so oft schreibst, "kontraproduktiver Scheißdreck". Wenn ich eins inzwischen gelernt habe, dann ist es, daß ich mich für nichts schämen muß. Sicherlich gibt es noch den einen oder anderen Menschen, bei dem ich mich entschuldigen sollte, bestimmt habe ich mich zum Teil wie das letzte Ekelpaket aufgeführt und muß dafür die Verantwortung übernehmen, aber ich weiß eben auch, daß ich an jenen Tagen nicht ich selbst, sondern vom Alkohol ferngesteuert war. Ich bereue eine Menge, aber schäme mich für nichts.