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Mein Teilzeitleben

Sonntag 6. November 2016, 09:35

Guten Morgen, liebes Forum!

Nachdem ich hier täglich mitlese (insbesondere lese ich mich gerade durch "Dieters Durst") und meiner Anmeldung und Vorstellung im Nachbarforum, möchte ich mich jetzt sehr gerne auch hier vorstellen.

Ich bin Chrissie (Mädel) 48 Jahre alt und aus München.

Und ich trinke viel zu viel. Ich kann gar nicht genau sagen, seit wann, ich denke, seit dem ersten alkoholischen Getränk.
Im Teenageralter begann es mit diesem zuckrigen Erdebeersekt, die Abifeier hab ich nur am Rande mitbekommen, während des Studiums locker weiter gezecht. Immer war ich die, die kein Ende kannte, das aber völlig übersah.
Während meine Kommilitonen nach einem Sektfrühstück um 14.00 Uhr noch an den Schreibtisch zurückkehrten, sank ich um 18.00 Uhr volltrunken ins Bett.
Mir fiel dabei gar nichts auf.
Schleichend trank ich Abend für Abend Bier, zunächst ein Sixpack oder eine Flasche Wein.
Ich fand das so normal wie irgendwas, in Akademikerkreisen macht man das so, ich bin schließlich nicht Atlas und der Alkohol hob die Last ein wenig an und half mir beim Tragen.
Der Alltag lief ganz normal weiter "nebenbei", denn ich denke, schon damals war der Alltag die Neben-, der Alkohol die Hauptsache geworden.
Studium sehr gut beendet, obwohl ich in den letzten Zügen desselben Mama wurde.

Innere Unstimmigkeiten schob ich auf die Schwangerschaft. Direkt am Tag nach dem abstillen ging es fröhlich weiter. Und weiter und weiter.
Aber NIE hätte ich gedacht, dass ich ein Problem haben könnte.

Ich musste nie anfangen zu trinken (weil ich es wollte) aber ich konnte nicht mehr aufhören. Nächtliche Besuche bei der Tanke - völlig normal.

Jahr für Jahr verging derart.

2007 dann lernte ich meinen jetzigen Mann kennen, ein Mensch, der nur sehr selten Alkohol konsumierte. Das war insofern nicht schlimm, da ich ja kein Problem hatte, wie ich dachte.
Und hinzu kam, dass es völlig um mich geschehen war...
Die ersten 18 Monate führten wir eine Fernbeziehung, in der ich nur unter der Woche trank, an unseren Wochenenden und auch in unseren Urlaubszeiten genügte mir die Trunkenheit der Liebe.
Dann zog ich mit meinem Sohn zu ihm und es folgten 18 Monate, in denen ich sporadisch (alle 2 Wochen) moderat trank.
Ich hatte quasi wieder besseren Wissens um mich nahezu abstinent gelebt oder wie ich es heute nenne: 18 Monate aus Versehen nicht getrunken.

Aber es ging mir nicht gut! Ich war immer eine Frohnatur, hatte viele Freunde, war aktiv, man dichtete mir den Spruch an: wer ist der Typ neben Chrissie? (Der Papst)

Plötzlich hatte ich depressive Phasen, war entweder euphorisch oder am Boden. Damals schon ich das auf dem Umzug vom hohen Norden nach Bayern, heute weiß ich es besser.

WM 2010: weil die Sonne scheint, wir einen Balkon haben, der Ball der springende Punkt ist und weil es irgendwann mal eine französische Revolution gab, bringt Chrissie jeden Abend 2 Halbe vom einkaufen mit.

Weil man auf einem Bein nicht stehen kann, werden es 4. Warum nicht 6? Oder 8?

Um eine lange Geschichte kurz zu machen (zu spät, ich weiß): mein Mann, der totale gelegenheitstrinker und ich haben uns "hochgesoffen": bis vorgestern tranken wir seitdem jeder 6-8 Halbe am Abend, jeden Abend.

2013 wachte ich eines morgens wattig auf und musste mir eingestehen, dass das, was ich da mache, nicht normal ist. Aber ich weiß mittlerweile von vielen anderen, wie gut diese Erkenntnis phasenweise wieder weggedrückt werden kann. Also flockig weitergemacht!

(Bis auf den 3-wöchigen USA Urlaub, in dem wir beide problemlos keinen Tropfen tranken).

In den letzten Monaten hat der Alkohol meinen Mann und mich immer mehr voneinander entfernt.
Dabei sind wir noch heute - nach 10 Jahren - die Liz Taylor und der Richard Burton unter den Liebespaaren.
Wir haben immer häufiger und heftiger gestritten - aber nie nüchtern.
Wir waren dabei, uns und den Respekt voreinander zu verlieren.

Baclofen war mir schon länger bekannt, ich fing an, mich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen, meldete ich im Nachbarforum an, bekam vom lieben DonQuixote einen Arzt genannt.

Da mein Mann noch nicht so lange im "Biz" ist wie ich, vereinbarte ich einen Termin, wurde durchgecheckt und für fähig befunden und habe am Donnerstag mein baclofen erhalten.

Gestern begann ich mit der Einnahme und muss in meinem Kalender den 5.11.2016 als den ersten Tag in meinem Leben vermerken, an dem ich nicht getrieben war von innerer Unruhe, verlustangst und dem Gefühl, nicht zu genügen.
Ich kenne keine körperlichen Entzugserscheinungen, sehr wohl aber craving ab 16.00 Uhr.
Es war gestern so abgemildert!

Ich bin so dankbar, so dankbar, dass ich das erlebe.
Ich bin so entschlossen, meinen Weg zu mir mit baclofen zu gehen.
Ich bin so gespannt, wie ich so bin.
Ich bin so aufgeregt auf den Wechsel von Teilzeit- zum vollzeitleben.

Ich bin ein guter Mensch mit einer schlechten Krankheit.

Danke fürs lesen, herzlich, Chrissie.

Re: Mein Teilzeitleben

Sonntag 6. November 2016, 11:17

Liebe Chrissie,

wow, was für ein Entrée! Ehrlich, schonungslos, kraftvoll und offen! Ich habe mich phasenweise wieder gefunden. Ich war auch in einem Kreis trinkfreudiger Komilitonen. Mit dem großen Unterschied, die soffen ordentlich, konnten aber aufhören. Ich nicht.

Das Vollzeitleben ohne Alkohol mit Baclofen soll dich mit offenen Armen empfangen. Ich hoffe und wünsche auch für deinen Partner, dass er den Absprung schafft.

Auf ein erfülltes Vollzeitleben ohne Alkohol!

Good luck und lass uns bitte weiter teilhaben.

Re: Mein Teilzeitleben

Sonntag 6. November 2016, 15:16

Liebe Juli, herzlichen Dank!

Ich möchte noch kurz meine Dosierung erwähnen, mein Arzt sagte, ich solle mit 3x 5mg täglich beginnen und täglich um 15mg erhöhen.
Das schien mir eine sehr schnelle aufdosierung und so werde ich mich lieber nach der Tabelle richten, obwohl ich grundsätzlich diesen Mann als Segen betrachte, ich habe in ihm nicht nur einen Arzt, der mir baclofen verschreibt, sondern noch dazu einen sehr gründlichen und ruhigen Arzt gefunden, der sich alle Zeit der Welt nimmt.

Gerade habe ich uns einen leckeren Tee gekocht und wir lümmeln mit Strickzeug, unseren Dampfen und Egoshooter via Xbox auf der Couch.
Mir fehlt nichts und nachdem gestern an Bac-Tag 1 noch die eigentlich zu kleine Menge an Bieren aus dem Kofferraum weg musste, bin ich extrem zuversichtlich, dass der Tee heute reicht.

What a feeling!

Herzlich, Chrissie

Re: Mein Teilzeitleben

Sonntag 6. November 2016, 19:33

In Anbetracht des tristnassgrauen, ekelhaften Depri-Wetters klingt das umso besser!
Freut mich sehr!

Hoch die Teetassen!

Re: Mein Teilzeitleben

Sonntag 6. November 2016, 20:04

Liebe Chrissie,

herzlich willkommen auch in diesem Forum. Die Foren machen sich ja keine Konkurrenz sondern ergänzen sich.
Wow, was für eine Vorstellung ! Sich das alles von der Seele zu schreiben tut gut, stimmt's ?

Ganz viel Erfolg auf deinem (nicht immer hindernisfreien) Weg mit Baclofen !
Und natürlich : GGG !! :daumen:

GLG, Werner

Re: Mein Teilzeitleben

Sonntag 6. November 2016, 20:49

Lieber Werner, herzlichen Dank für dein Willkommen!

Das mit dem GGG ist wohl das Schwierige für mich aber ich gelobe höchste Mühe!
Tag 1 ohne Alkohol neigt sich dem Ende, gerade zu Abend gegessen, somit ist die Gefahr gebannt.
Hat super geklappt mit den heutigen 15mg!

Ich habe ja möglichst wenig gegessen, weil ich die 1500-2000 kcal für das Bier brauchte und sehr eitel bin.

Jetzt kann ich sooo viel futtern, das schaff ich ja gar nicht!
Mehr Sport will ich natürlich auch wieder machen.
Was ich heute hobbymässig alles geschafft habe ist schon beachtenswert!

Dass die beiden Foren so toll zusammenarbeiten verrät mir, wie toll die Menschen dahinter sind und dass ich mich hier wohlfühlen kann, weswegen ich mich auch öffnen kann.

Was mir noch auffällt: viele derjenigen, die Baclofen einnehmen, sind Dampfer, wie auch ich und mein Mann seit 4,5 Jahren.
Ergo: dem nicht-konventionellen gegenüber aufgeschlossen!
Das gefällt mir!

Allen einen craving-freien Abend nach jedermanns Gusto!

LG, Chrissie

Re: Mein Teilzeitleben

Montag 7. November 2016, 11:06

Hallo Chrissie

Sei uns herzlich willkommen! :-h

Eine detailreiche Vorstellung hast Du ins Forum gestellt! Eher schon einen Lebenslauf!

Wie sich Alkohol einschleichen kann ist mir bestens bekannt...
Ja, Du hast gute Voraussetzungen für diese Therapie. Einen hervorragenden Arzt und den Vorteil, nach doch einigen Jahren Konsum noch keine körperlichen Schäden aufzuweisen! Auch dass noch keine Entzugserscheinungen auftreten ist ein Glücksfall.

Bei der Dosierung kannst Du gewissermassen als "Barometer" die NW zu Hilfe nehmen. Werden sie zu stark, dann gehe etwas moderater vor. Jeder Patient reagiert individuell auf dieses Medikament. Somit ist es schwierig, eine strikte Anweisung zu geben.
Daher auch unser Hinweis auf die GGG...
Chrissie hat geschrieben:Was mir noch auffällt: viele derjenigen, die Baclofen einnehmen, sind Dampfer, wie auch ich und mein Mann seit 4,5 Jahren.
Auch ich gehöre zu diesem Kreis... ich war 45 Jahre lang ein intensiver Raucher und konnte vor 3 Jahren im Alter von 60 dank E-Zigarette innert 2 Tagen den Tabak sein lassen! Habe dabei das Riesenglück, dass meine Lunge sich noch erholen konnte und keine bleibenden Schäden aufweist! Heute dampfe ich nur noch aromafreies Liquid mit Nikotin. Die Treppen sind in diesen 3 Jahren um etliches kürzer geworden...

Nun wünsche ich Dir viel Erfolg mit dem Therapieeinstieg, geniesse die freigewordenen Kalorien und habe stets genug Liquid zum Dampfen im Vorrat!

LG
moonriver

Re: Mein Teilzeitleben

Montag 7. November 2016, 13:06

Auch von mir ein herzliches Willkommen.

Zu den Dampfen: Ich habe auch ein paar hier, bin damit aber nie warm geworden :(

Dir viel Erfolg mit dem Baclofen.

mfg,
Micha

Re: Mein Teilzeitleben

Montag 7. November 2016, 13:46

Hallo Micha
Zum Thema Dampfen: Ich schreibe Dir in Deinem Thread ein paar Zeilen hierzu, damit wir hier nicht aus dem Thema kommen.

LG
moonriver

Re: Mein Teilzeitleben

Montag 7. November 2016, 13:54

Ich bin so aufgeregt auf den Wechsel von Teilzeit- zum vollzeitleben.
Alles GUTE hierfür!!!
Super Start!

GLG jivaro
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