Sonntag 1. Juli 2012, 19:55
Hallo allerseits und einen schönen Sonntagabend,
ich habe heute ein kleines Jubiläum - drei Monate mit Baclofen, drei Monate ohne Alkohol (na ja,fast ohne) und damit die längste Zeit seit sieben Jahren!!!!, drei Monate seitdem für mich ein neues Leben angefangen hat. Ich kann euch gar nicht sagen, wie froh und glücklich ich bin, dass ich Baclofen und natürlich euch

gefunden habe.
Vor drei Monaten schien mir mein Leben ausweglos, ich dachte wirklich, ich muss immer so weiter trinken, denn ich habe ja oft genug versucht, es allein mit Willensanstrengung zu schaffen und bin jedes Mal gescheitert. Jetzt schaue ich in den Spiegel und sehe eine völlig andere Frau, die mir allmählich wieder selber gefällt. Ich spüre, wie mein Lebensmut und mein Sebstwertgefühl alllmählich zurückkehrt. Das war das schlimmste in den vielen Jahren des Trinkenmüssens, mein Selbstwertgefühl war völlig am Boden, ich habe mich selbst nur noch verachtet und nicht mehr als liebenswert angesehen.
Inzwischen ist für mich bei Baclofen das Entscheidende gar nicht mehr die craving-Unterdrückung. An die glaube ich inzwischen sehr zuverlässig - ich bin jetzt runter auf 37,5 mg/Tag, und komme damit sehr gut zurecht, v.a. bin ich nicht mehr so unglaublich müde. Das Entscheidenden ist inzwischen für mich, dass Baclofen mir meinen Selbstwert zurückgibt. Wie das genau funktioniert weiss ich nicht.
Ich erachte Baclofen als ein unglaublich potentes, tiefenwirksames Medikament, das mir hilft, mein System an Gefühlen, Empfindungen, Denkmustern neu zu justieren. Ich nehme mein drei Teileinnahmen 3x12,5mg immer mit großem Bewusstsein und Respekt, denn ich spüre wie dieses Medikament in mir wirkt, wie es in mir kreist vom Aufstehen bis zum Schlafengehen und des nachts, während ich schlafe. In jeder Sekunde bin ich mir bewusst, dass da etwas in mir arbeitet. Ich fühle es direkt, ich empfinde eine Art tiefes Summen und Brummen in meinem System und ich schmecke es auf meiner Zunge.
Was genau passiert, weiss ich nicht, doch ich spüre, wie sich mein Denken und Fühlen verändert. Wie sich mein Gefühl zu mir selbst und zu der Welt verändert. Ich habe immer an einem Gefühl der Fremdheit gelitten, habe mich fremd gefühlt in dieser Welt, seit frühester Kindheit. Andersrum ausgedrückt, ich habe mich nie zu Hause gefühlt. Die Familienlegende erzählt, dass ich als fünfjährige von zu Hause weggelaufen bin, sie haben mich verzweifelt gesucht und schließlich am kleinen verlassenen Dorfbahnhof gefunden. Sie haben mich gefragt, was ich denn hier wolle, wo ich denn hin wolle, meine Antwort: nach Hause. Aber ich wusste schon als kleines Kind, dass das nicht das Haus meiner Eltern war. An diesem Gefühl der Fremdheit hat sich nie großartig was geändert, noch nicht mal das Verliebtsein, berufliche Erfolge oder was auch immer.
Ich reise sehr gerne, am liebsten allein und am liebsten abseits der ausgetretenen Touristenpfade. Es ist seltsam, wenn mir alles fremd ist, das Land, die Kultur, die Sprache, die Lebensweise, dann fühle ich mich am wohlsten. Denn dann habe ich das Gefühl, dass das was ich fühle und erlebe zusammen passen und ich fühle mich seltsamerweise zuhause. Seitdem ich Baclofen nehme, habe ich erstmals eine Ahnung davon, was es heissen könnte, sich eins mit sich selbst und der Welt zu fühlen. Daheim, angekommen, zu Hause.
Ich habe dieses Gefühl immer gesucht, habe philosophiert und meditiert, habe die interessantesten Menschen gesucht und gefunden, hab im Kloster und im Ashram gelebt, bin einsam und allein auf Berge gestiegen, habe Wüsten und Steppen durchwandert, mit den Wölfen geheult, mit den Schamanen in der Schwitzhütte geschwitzt, mich mit den Sufis im Kreis gedreht .... und doch, manchmal habe ich gedacht, das war er jetzt, der Zipfel des Mantels der Erkenntnis, und doch, bin ich wieder zurückgekehrt in meine fremde Welt, alles war so fremd wie vorher, die Sucht war wieder da, hat alle positiven Erfahrungen wieder zurückgedrängt und ich musste wieder trinken, täglich , und ich sank immer tiefer und wurde mir selber immer fremder.
Das muss man wissen, um zu verstehen, was Baclofen mir bedeutet. Ich muss nicht mehr trinken, das allein ist schon großartig und unglaublich, aber mehr noch, ich erkenne die Chance, die ich erstmals habe, bei mir selber und in der Welt anzukommen: Home, sweet home!!
Ich bin heute abend sehr, sehr froh und dankbar
Betty
@federico, vielen, vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Du siehst, was ich im Moment erfahre, geht genau in die Richtung, der Bücher und Tipps, die du empfohlen hast. Einmal mehr gilt: hier werden Sie wirklich geholfen