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Re: Ich fange jetzt auch an mit Aufhören

Sonntag 3. Juni 2012, 07:57

Betty, heute sehr happy


... herzlichen Glückwunsch auch von mir und dass es auch morgen so bleiben möge.

LG Federico

Re: Ich fange jetzt auch an mit Aufhören

Dienstag 12. Juni 2012, 20:18

Hallo und guten Abend,

heute kann ich mal euren Rat gebrauchen.
Ich weiss nämlich nicht, wie ich weiter dosieren soll, auf? ab? oder da bleiben?

Einige von euch wissen ja, dass ich große Probleme mit der sog. Tagesmüdigkeit habe.
(Nachts habe ich gegen Müdigkeit nichts einzuwenden und schlafe seit Baclofen wie ein Engel) Aber tagsüber ist es schon ein Problem: Sekundenschlaf beim Autofahren, der Kopf fällt mir fast auf die Tastatur, öfters schon bei der Arbeit kurz weggenickt, besonders peinlich während einer Konferenz, alles schon da gewesen (ich sehe die lieben Kollegen schon schmunzeln, wohl ein bißchen viel gefeiert und getrunken gestern abend, ich mal mir jetzt dann ein Schild: ich döse nicht wegen Alk sondern wegen Kein-Alk!!, sehr witzig!!) Wenn ich zuhause arbeite, kann ich mich ja zwischendurch kurz hinlegen, mach ich auch, aber geht halt nicht immer.

Diese bleierne Müdigkeit und Benommenheit kommt in Wellen und nicht immer nur nach der Einnahme. Manchmal kommt auch noch Schwindel bzw. Gangunsicherheit dazu.
Natürlich sage ich mir immer wieder, halte durch, das ist es wert, das Leben mit Alkohol war auf jeden Fall schlimmer. Gar keine Frage (hallo federico :-h ) !! Und ich sehe sehr wohl den Nutzen, den Baclofen mir bringt, aber wie ein Zombie durch die Landschaft zu laufen, ist halt auch nicht einfach. Z.B. Leute, die Krebs haben, müssen eine Chemotherapie durchlaufen, mit allen Nebenwirkungen, aber das ist begrenzt auf ein paar Monate. Ich muss aber damit rechnen, Baclofen sehr lange oder sogar für immer nehmen zu müssen.

Gab es unter euch auch Leute, die mit dieser extremen Schläfrigkeit zu kämpfen hatten? Ging das irgendwann weg? Es heisst ja immer, dass die NW nachlassen. Das kann ich so nicht bestätigen. Die Müdigkeit war immer gleich, ob bei 30, 50 oder wie jetzt bei 75mg/Tag. Leider auch die craving-Unterdrückung. Da ist bei mir kein Unterschied, ob 30, 50 oder 75mg. An manchen Tagen geht es ganz gut, an anderen habe ich mehrmals pro Tag starken Trinkwunsch. Ca. 4 mal habe ich in der ganzen Zeit kleinere Mengen getrunken, unabhängig von der Bac-Dosis.

Also, was ich eigentlich sagen wollte: die Erhöhung hat mir nicht viel gebracht was das craving betrifft. Und auch keine Anpassung an die Nebenwirkungen. Also kann ich eigentlich genauso gut wieder abdosieren.
Was soll ich jetzt weiter machen?

1. weiter erhöhen, weil irgendwann die NW aufhören und dem Erreichen des switch eine Chance geben?
2. bei 75mg bleiben, hoffen dass die NW nachlassen?
3. langsam runterdosieren auf 30-50mg, hoffen dass die NW beim Runtergehen nachlassen, den berühmten switch vergessen und einen anderen Umgang mit craving/Trinkwunsch lernen?

Was würdet ihr tun? Bin wirklich für jede Erfahrung und jeden Rat dankbar.

Liebe Grüße
Betty

Re: Ich fange jetzt auch an mit Aufhören

Mittwoch 13. Juni 2012, 09:17

@betty,

O. Ameisen würde vermutlich antworten, weiter erhöhen, Auto stehenlassen, viel frische Luft und Vitamine, gesunde Ernährung. Andere Ärzte könnten dazu raten, die Dosis schrittweise langsam zu verringern um dann zu sehen was es macht. Die letzte Möglichkeit wäre dann die denkbar schlechteste von allen aber sie wurde mehr als einmal schon im Forum beschrieben, ich beschreibe sie deshalb nicht noch einmal.

Dann stelle ich Dir mal eine Frage: kann es sein, dass Du aufgrund der Anforderungen deines Jobs und den hinter dir liegenden Anspannungen einfach „Urlaubsreif“ geschossen bist?

Vielleicht würden 2 Wochen nichts tun und nur „die Seele baumeln lassen“ die bleierne Müdigkeit entfernen können. Frag mal Deinen Arzt nach Lösungsmöglichkeiten.

LG Federico
PS in und nach Perioden hoher Anspannungen beobachte ich bei mir ein bis 2 Wochen mit hohem Schlafbedürfnis (bis zu 12 Stunden). Danach pendelt es sich wieder bei 6 Std. ein.

Re: Ich fange jetzt auch an mit Aufhören

Mittwoch 13. Juni 2012, 09:20

Hallo Betty

Das Problem mit der Tagesmüdigkeit kenne ich auch. Vor allem das Wellenartige kann ich bestätigen. Im Gegensatz zu Dir erlebe ich jedoch Folgendes: In Situationen wie Autofahren etc., wo das Ganze gefährlich werden kann, tritt es nie auf! Zudem hatte ich solche Krisen auch vorher, damals meist aus einer psychischen Erschöpfung. Alk hatte da auch mitgespielt. Im weiteren wären andere Einflüsse abzuklären, die da noch eine Rolle spielen könnten. (Check beim Arzt mit Blutbild etc.)
Nimmst Du noch andere Medikamente? Betablocker, Blutdrucksenker?

Ich selber musste bei einer Dosis von 100mg über ein paar Tage aufgrund der NW einen Punkt machen. Diesen Versuch verlagerte ich zum Glück in die Ferien... Als erfolgreiche Dosis empfand ich 75mg. Heute fahre ich mit runden 43mg durch den Tag.

Folgende Hinweise kann ich aus meiner Sicht machen:
- Hauptdosis des Tages (25mg) verlagere ich in die späteren Abendstunden.
- Abdosieren ist immer gefährlich. Das Raubtier kann unverhofft zuschlagen. Darum immer eine Notfallration bei sich tragen.
- Keine raschen Dosisveränderungen. Die Wirkung kommt oft erst Tage später.
- Moderate körperliche Aktivität kann die Müdigkeitswellen abschwächen.

Versuche Deine Erhaltungsdosis beizubehalten. Mit einer extrem hohen Dosierung einen sogenannten "Switch" zu erzwingen kann in Frust enden. Für mich war das Craving besiegt, als ich eines morgens erwachte und nicht als erstes einen kräftigen Schluck brauchte um mich "normal" zu fühlen. Alles andere bezeichne ich eher als "moderate" Assoziation zum Trinken... mit einem flüchtigen Gedanken daran kann ich ganz gut leben. Alkoholfrei..., nicht als Zwang sondern aus Wunsch.

LG moonriver

Re: Ich fange jetzt auch an mit Aufhören

Mittwoch 13. Juni 2012, 19:32

@federico @moonriver

vielen, lieben Dank für eure ausführlichen Antworten und für eure Geduld mit mir.
Ja, ich hab im Moment eine kleine Baclofen-Krise, eigentlich blödsinnig angesichts der unstrittigen vielen positiven Auswirkungen für mich. Ich merke auch, das ist der Punkt, an dem viele aufgeben. Und das will ich nicht. Auf gar keinen Fall will ich wieder zurück zum Trinken-Müssen, zu der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit. Never ever!

Ich habe jetzt entschieden: ich dosiere vorsichtig ab bis vielleicht 50mg/Tag und flankiere meinen Weg aus der Sucht mit weiteren Maßnahmen.

Zu meiner großen Freude habe ich heute die Zusage einer Therapeutin bekommen für eine Psychotherapie mit Krankenkassenzulassung. Ihr wisst die Wartezeiten sind sonst ewig lang. Wie es der Zufall will - na ja, was man so 'Zufall' nennt - sie war lange in der Suchtambulanz der hiesigen Psychiatrischen Klinik tätig. Ich dachte erst, Oh je, mainstream. Aber man höre und staune: sie kriegte ganz große Ohren, als sie von meinem Erfolg mit Baclofen hörte. Sie meinte, das wäre ja unglaublich und ein Durchbruch in der Alkoholismustherapie (lesen diese Fachleute eigentlich keine Artikel im Internet???). Also sie möchte gerne mit mir arbeiten (Sympathie auf beiden Seiten ist auch da). Und sie meinte noch, dass die meisten niedergelassenen Psychologen keine Leute mit Alk-Suchtproblematik annehmen, weil - Achtung: sie wissen, dass sie ihnen nicht helfen können!!!

So, jetzt habe ich mit meiner neuen Ärztin und der Therapeutin (die wollen sich schon gegenseitig kennenlernen) ein super Team an meiner Seite. Und ich glaube, das wird mir helfen - dazu noch die ganze liebevolle Unterstützung hier im Forum. :x ;)

Und noch etwas habe ich auf die Beine gestellt. Ich habe meine seit Jahren ruhende Mitgliedschaft im Fitnessstudio aktiviert und gehe seit zwei Wochen wieder sporteln. Bin heute sehr stolz auf mich (*großer Schulterklopf*) :YMAPPLAUSE:

LG und schönen Abend
Betty

Re: Ich fange jetzt auch an mit Aufhören

Donnerstag 14. Juni 2012, 08:16

Boah, das sind ja mal gute Nachrichten, Du hast einen Glückstreffer gelandet.

@Betty,

damit trägst Du ganz wesentlich zur Verbreitung einer neuen Behandlungsmethode bei.
Willkommen im Club der Multiplikatoren, danke für Deine Geduld und Glückwunsch zur Belohnung. Und danke, für diesen denkwürdigen Satz:
„Ich merke auch, das ist der Punkt, an dem viele aufgeben.“
Damit hilfst Du vielleicht vielen anderen in ähnlichen Situationen.

Die Flankierungsmaßnahmen sind die einzig richtige Antwort auf schwierige Situationen, die falschen Antworten kennen wir doch zur Genüge. Vielleicht gibt es bald eine neue Empfehlung für PESA.

LG Federico

Re: Ich fange jetzt auch an mit Aufhören

Sonntag 24. Juni 2012, 16:51

Hallo allerseits,

ich wollte mich mal wieder melden. Hab jetzt nicht mehr ganz so viel Zeit, weil ich beruflich und auch privat viel aktiver geworden bin und oft unterwegs bin.
Aber ich schaue jeden Tag kurz rein und freue mich, dass so viele Neue dazu gekommen sind und an ihren Erfolgsgeschichten. Ich kann alle Neuen nur ermutigen, hier viel zu schreiben, gerade am Anfang, ihr bekommt hier jeder Unterstützung, die ihr braucht. Bei mir hat es auch nicht sofort gepasst mit der Aufdosierung. Hätte ich das Forum nicht gehabt, ich hätte wahrscheinlich abgebrochen. Soviel noch mal zu der Frage, @federico, ob ein solches Forum einen Sinn hat. Ja, hat es. Und solange es da draussen keine SHGs oder Therapiegruppen speziell für die baclofen-unterstützte Therapie gibt (und andere machen für mich keinen Sinn) ist das Forum hier die einzige und beste Möglichkeit, sich fachlichen Rat und Unterstützung zu suchen.

Ich habe, nachdem ich den Zustand bei 75mg/Tag als echt heavy empfunden habe, nun langsam abdosiert und bin jetzt bei 50mg/Tag, 12,5-12,5-25. Damit geht es mir sehr gut!! Die Müdigkeit ist viel weniger geworden, ich habe mehr wache, frische, energievolle Phasen und die craving-Unterdrückung ist genauso gut wie bei 75mg.
Ich bin mit dieser Entwicklung sehr glücklich, glaube immer mehr daran, dass ich es mit Baclofen schaffen werde, v.a. dass es auch in der niedrigeren Erhaltungsdosis wirkt.
Wo genau die bei mir liegt, muss ich noch rausfinden. Werde demnächst mal einen Versuch mit 37,5mg/Tag machen.

Ich würde sagen, ich habe kein craving im engeren Sinn mehr. Ich gehe im Supermarkt ohne Probleme an der Weinabteilung vorbei - es fällt mir nur noch auf, wie riesig die ist !!! Alkohol ist ein echter Wirtschaftsfaktor!! - trage meine leichten, kleinen Einkäufe nach Hause und bin froh, dass ich keine Flasche mehr schleppen muss.Sehe ich Leute trinken, entsteht in meinem Mund eher ein unangenehmer Geschmack.Von Biergärten und Grillpartys halte ich mich fern, ist eh' nicht so mein Ding.

Das klingt jetzt alles sehr positiv, aber das Thema Alkohol ist damit für mich noch nicht vom Tisch. Es gibt fast täglich Momente, wo ich denke, jetzt könnte ich eigentlich, oder jetzt würde ich gerne was trinken. Meistens weil ich mir Entlastung wünsche aus einer stressenden Situation. Ich schaue mir zur Zeit diese Situationen genau an - Baclofen gibt mir den nötigen Abstand und die Gelassenheit dazu. Es sind immer die beiden selben Auslöser, die bei mir diesen Trinkwunsch auslösen (das war mir vorher schon klar, aber mir Baclofen sieht man noch klarer):

1. Existenzangst, weil es geschäftlich schwierig ist, oder 2. Angst vor dem Verlassenwerden, vor dem Alleinsein, weil es in der Partnerschaft schwierig ist. Wegen anderen Dingen, Nachbarn, Familie, Kollegen, Politik, usw. rege ich mich schon lange nicht mehr auf.

Es dreht sich also immer um die zwei wichtigen Grundpfeiler im Leben: Geld oder Liebe

Verzichten möchte ich auf beides nicht ;) , wenn also jemand weiss, wie es geht, selbst bei diesen Themen nicht zu verzeifeln, sondern bei sich zu bleiben, die eigene Mitte zu finden, ich nehme Vorschläge und Erfahrungen gerne an.

Liebe Grüße am Sonntag
Betty

Re: Ich fange jetzt auch an mit Aufhören

Montag 25. Juni 2012, 11:48

Hallo Betty,

in der letzten Ausgabe der Deutschen Angstzeitschrift wurden Strategien besprochen. Existenzangst und Verlassenheitsangst fasst Du für Dich unter 1. zusammen.

Geld und/oder Liebe müsste man näher definieren.
Bei Geld scheint es einfach zu sein, es ermöglicht das „Überleben“ seitdem es erfunden wurde. Aber wie so oft ist es nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint. Müssten dann nicht alle von Reichtum gesegneten Menschen frei von Depressionen, Angst und Sucht sein?

Letzte Woche traf ich einen Mann auf der Parkbank (hätte ich besser lassen sollen), er war auf den ersten Blick nicht als Alkoholiker zu erkennen. Sauber gekleidet, zufriedener Gesichtsausdruck, klarer Blick. Er erzählte mir seine Lebensgeschichte, von seiner großen Liebe und dass er seit 7 Jahren in einem Zelt wohnen würde. Zum Überleben hätte er den Betrag von 173,– pM zur Verfügung. Damit nicht genug, seit einem Jahr ist er täglich zu Fuß unterwegs um seinen Termin beim Arzt wahrzunehmen. Das müsse so sein, eine überstandene Tumoroperation (Gehirn) zwinge ihn dazu. Der Arzt ist 11,5 km von seiner „Behausung" entfernt gelegen. Ach so, bevor ich es vergesse, der Grund für das Leben im Zelt: seine Frau hatte ihn nach 35 Jahren Ehe von heute auf morgen wegen eines jüngeren Mannes verlassen.

Womit wir dann bei Liebe wären. Die Weltliteratur ist voll von diesem Thema weshalb ich meinen Senf dazu nicht abladen muss. Dass aber Zurückweisung, Ablehnung immer auch eine Kränkung ist, sollte nicht untergehen. Wenn das so ist, dass Kränkung in der Beziehung zwischen Menschen Thema eines Lebens ist, muss man sich darüber klarwerden: Kränkung kann zu Krankheit führen, das liegt schon im Wortstamm begründet.

Warum die meisten Menschen bei derartigen Ereignissen achselzuckend weiterziehen, warum sie es nicht auf sich beziehen und warum andere nicht so souverän damit umgehen können, liegt m.E. oft darin begründet: Verlassenheit und Selbstentfremdung

Kurzbeschreibung zum verlinkten Buch:
Narzissmus wird im Alltag oft gleichgesetzt mit Egoismus und übertriebener Selbstverliebtheit. Im psychotherapeutischen Verständnis jedoch leiden narzisstisch verwundete Menschen an einem gestörten Selbstwertgefühl. Die Ursachen dafür sind frühe Verlassenheits- und Verlusterfahrungen, aus denen Selbstentfremdung, Gefühlsverunsicherung oder Depression, Angsterkrankung und Sucht resultieren können. Mithilfe von Fallbeispielen, Patientenbildern, Träumen und Märchen macht die Psychotherapeutin Kathrin Asper das Phänomen Narzissmus anschaulich und begreifbar. Und sie geht der Frage nach, wie ein therapeutischer Heilungsprozess gelingen und Selbstwerdung nachgeholt werden kann. Ein unverzichtbares Handbuch für Therapeuten aller Schulen, Ärzte, Berater, Seelsorger und Betroffene.

Wenn das so ist, was könnte ich noch Gutes für mich tun war Deine letzte Frage.
Betty: wenn also jemand weiss, wie es geht, selbst bei diesen Themen nicht zu verzeifeln, sondern bei sich zu bleiben, die eigene Mitte zu finden, ich nehme Vorschläge und Erfahrungen gerne an.

Zuerst die schlechte Antwort: wie es geht kann ich Dir leider auch nicht sagen, die gute Antwort lautet: Resilienztraining könnte eine Möglichkeit sein und, man muss nicht immer mit allem einverstanden sein, ein paar Anhaltspunkte können auch schon Hilfe sein. Ich habe deshalb ein PDF zu diesem Thema (Resilienzforschung) eingestellt.

Ansonsten denke ich, Du machst wirklich sehr viel und das Glück scheint gerade auf Deiner Seite zu sein. Sieh' zu, dass Du es festhalten kannst aber bitte nicht umklammern.

LG
Federico

PS "Willst Du etwas wissen, frage Erfahrene, nicht Gelehrte" aus: UKE Hamburg
Dateianhänge
Resilienzforschung.pdf
(243.06 KiB) 209-mal heruntergeladen

Re: Ich fange jetzt auch an mit Aufhören

Sonntag 1. Juli 2012, 19:55

Hallo allerseits und einen schönen Sonntagabend,

ich habe heute ein kleines Jubiläum - drei Monate mit Baclofen, drei Monate ohne Alkohol (na ja,fast ohne) und damit die längste Zeit seit sieben Jahren!!!!, drei Monate seitdem für mich ein neues Leben angefangen hat. Ich kann euch gar nicht sagen, wie froh und glücklich ich bin, dass ich Baclofen und natürlich euch ^:)^ gefunden habe.

Vor drei Monaten schien mir mein Leben ausweglos, ich dachte wirklich, ich muss immer so weiter trinken, denn ich habe ja oft genug versucht, es allein mit Willensanstrengung zu schaffen und bin jedes Mal gescheitert. Jetzt schaue ich in den Spiegel und sehe eine völlig andere Frau, die mir allmählich wieder selber gefällt. Ich spüre, wie mein Lebensmut und mein Sebstwertgefühl alllmählich zurückkehrt. Das war das schlimmste in den vielen Jahren des Trinkenmüssens, mein Selbstwertgefühl war völlig am Boden, ich habe mich selbst nur noch verachtet und nicht mehr als liebenswert angesehen.

Inzwischen ist für mich bei Baclofen das Entscheidende gar nicht mehr die craving-Unterdrückung. An die glaube ich inzwischen sehr zuverlässig - ich bin jetzt runter auf 37,5 mg/Tag, und komme damit sehr gut zurecht, v.a. bin ich nicht mehr so unglaublich müde. Das Entscheidenden ist inzwischen für mich, dass Baclofen mir meinen Selbstwert zurückgibt. Wie das genau funktioniert weiss ich nicht.
Ich erachte Baclofen als ein unglaublich potentes, tiefenwirksames Medikament, das mir hilft, mein System an Gefühlen, Empfindungen, Denkmustern neu zu justieren. Ich nehme mein drei Teileinnahmen 3x12,5mg immer mit großem Bewusstsein und Respekt, denn ich spüre wie dieses Medikament in mir wirkt, wie es in mir kreist vom Aufstehen bis zum Schlafengehen und des nachts, während ich schlafe. In jeder Sekunde bin ich mir bewusst, dass da etwas in mir arbeitet. Ich fühle es direkt, ich empfinde eine Art tiefes Summen und Brummen in meinem System und ich schmecke es auf meiner Zunge.

Was genau passiert, weiss ich nicht, doch ich spüre, wie sich mein Denken und Fühlen verändert. Wie sich mein Gefühl zu mir selbst und zu der Welt verändert. Ich habe immer an einem Gefühl der Fremdheit gelitten, habe mich fremd gefühlt in dieser Welt, seit frühester Kindheit. Andersrum ausgedrückt, ich habe mich nie zu Hause gefühlt. Die Familienlegende erzählt, dass ich als fünfjährige von zu Hause weggelaufen bin, sie haben mich verzweifelt gesucht und schließlich am kleinen verlassenen Dorfbahnhof gefunden. Sie haben mich gefragt, was ich denn hier wolle, wo ich denn hin wolle, meine Antwort: nach Hause. Aber ich wusste schon als kleines Kind, dass das nicht das Haus meiner Eltern war. An diesem Gefühl der Fremdheit hat sich nie großartig was geändert, noch nicht mal das Verliebtsein, berufliche Erfolge oder was auch immer.

Ich reise sehr gerne, am liebsten allein und am liebsten abseits der ausgetretenen Touristenpfade. Es ist seltsam, wenn mir alles fremd ist, das Land, die Kultur, die Sprache, die Lebensweise, dann fühle ich mich am wohlsten. Denn dann habe ich das Gefühl, dass das was ich fühle und erlebe zusammen passen und ich fühle mich seltsamerweise zuhause. Seitdem ich Baclofen nehme, habe ich erstmals eine Ahnung davon, was es heissen könnte, sich eins mit sich selbst und der Welt zu fühlen. Daheim, angekommen, zu Hause.

Ich habe dieses Gefühl immer gesucht, habe philosophiert und meditiert, habe die interessantesten Menschen gesucht und gefunden, hab im Kloster und im Ashram gelebt, bin einsam und allein auf Berge gestiegen, habe Wüsten und Steppen durchwandert, mit den Wölfen geheult, mit den Schamanen in der Schwitzhütte geschwitzt, mich mit den Sufis im Kreis gedreht .... und doch, manchmal habe ich gedacht, das war er jetzt, der Zipfel des Mantels der Erkenntnis, und doch, bin ich wieder zurückgekehrt in meine fremde Welt, alles war so fremd wie vorher, die Sucht war wieder da, hat alle positiven Erfahrungen wieder zurückgedrängt und ich musste wieder trinken, täglich , und ich sank immer tiefer und wurde mir selber immer fremder.

Das muss man wissen, um zu verstehen, was Baclofen mir bedeutet. Ich muss nicht mehr trinken, das allein ist schon großartig und unglaublich, aber mehr noch, ich erkenne die Chance, die ich erstmals habe, bei mir selber und in der Welt anzukommen: Home, sweet home!!

Ich bin heute abend sehr, sehr froh und dankbar
Betty

@federico, vielen, vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Du siehst, was ich im Moment erfahre, geht genau in die Richtung, der Bücher und Tipps, die du empfohlen hast. Einmal mehr gilt: hier werden Sie wirklich geholfen ;)

Re: Ich fange jetzt auch an mit Aufhören

Sonntag 1. Juli 2012, 20:13

wow, das klingt ja fantastisch!! gratuliere dir von ganzem herzen zu diesem tollen erfolg,
glg, latina.
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