Samstag 3. Februar 2018, 16:53
Juli hat geschrieben:Die Wertschätzung, die respektvollen Begegungen, die Anerkennung sollst du dir bitte nicht nehmen. Darauf darfst du auch schauen und v.a. stolz sein. Gib das nicht her, innerlich, weil der Rest anders läuft!
Liebe Juli,
danke Dir. Diesen Stolz darauf hatte ich. Das habe ich benutzt, um mich selbst damit zu blenden. Ich will Fairness und Realität: Nicht mehr meinen alten Mustern zu gehorchen und mich kategorisch als minderwertig und nutzlos einzustufen.
Nein, nun da ich es endlich selbst sehen kann, dass ich Fach - und Sozialkompetenzen habe, und nicht an allem selbst schuld bin, gebe ich das nicht mehr her. Ich bleibe mir auch meiner Fehler bewusst, aber ich lasse nicht mehr zu, dass das meine Stärken schwächt. Nicht von alleine. Nicht immer. Aber ich bleibe dran.
Mir wurde alles erst klarer, als mein Körper mir letzten Spätsommer jeglichen Dienst verweigerte.
Zwei professionelle Helferinnen, eine davon meine Psychologin, waren präsent und hilfsbereit, und zwar so, wie es für mich ging. Hauptsächlich telefonisch, da ich über Wochen außer Stande war, das Haus zu verlassen. Oft auch nicht mal das Bett, außer für die allernötigsten menschlichen Bedürfnisse. Duschen war zeitweise eineHerausforderung, die die Kraft eines ganzen Tages verbrauchte.
Ich habe wochenlang keinen Menschen gesehen.
Trotz der Sorge hat keine von beiden mich übertrieben genötigt, in ein Krankenhaus oder zum Arzt zu gehen. Beide haben Sorge geäußert und es empfohlen. Aber sie haben akzeptiert, dass es gerade nicht geht. Als es ging, bin ich ja auch zum Arzt.
Das brauchte eben Zeit.
Beide hätten sie mich leicht zwangseinweisen können. Dann hätten sie Ruhe vor mir gehabt, keine Sorge oder Zeit mehr an mich verschwenden müssen. Gründe dafür gab es genug.
Statt dessen gingen sie mit mir den schwierigen und aufwendigen Weg im Kontakt zu bleiben und mich zu begleiten, auf dem Weg, der für mich ging. Auch wenn dieser Weg unvernünftig war. Es war der einzige der ging.
Und das hat mich erreicht und ermöglicht, dass ich Dinge nach und nach objektiver sehen kann. Im Prozess bin ich immer noch. Das ist kein geradeliniger Verlauf. Aber dass ich überhaupt endlich in diesem Prozess bin - und immer noch bin - ist für mich das eindeutige Zeichen, dass hier etwas Nachhaltiges passiert ist.
In anderer Formulierung hat meine Psychologin mir das von aussen her ähnlich gespiegelt. Wir waren uns - auch zum ersten Mal - in der Wahrnehmung meiner Fortschritte einig. Das war eine wirklich schöne Erfahrung, dass wir uns gemeinsam freuen konnte.
Nächste Woche habe ich einen Termin bei unserem Werksarzt. Ich habe ihn per Mail angeschrieben. Er hat mir noch am selben Tag geantwortet, mir auch gesagt, dass ich nicht im Krankenstand zu ihm kommen muss. Und mir die Vertraulichkeit auch bestätigt.
Diese Untersuchung darf jeder Arbeitnehmer ohne die Verpflichtung zur Angaben von Gründen in Anspruch nehmen, wenn er einen Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Beschwerden und seinem Arbeitsplatz sieht. Dabei darf der Betriebsarzt dem Arbeitgeber nur eine Anwesenheitsbescheinigung schicken. Inhaltlich ist er an die Schweigepflicht gebunden und darf nur etwas preisgeben, wenn dazu die Einwilligung des Arbeitnehmers vorliegt. Der Arbeitnehmer jedoch erhält eine Einschätzung an seine Hausadresse.
Dieser Werksarzt ist vertrauenswürdig. Er hat nach meinem Empfinden vom Leben auch noch nicht all zu viele Sonnenseiten gesehen, ist aber ein sehr hilfsbereiter und engagierter Mensch. Aber? Wahrscheinlich eher deswegen...
Ich werde ihm alles sagen, was in den letzten Jahren an gesundheitlichen Problemen gewachsen ist. Eine Auswertung meiner Krankenstände der letzten 20 Jahre das bestätigen. 13 Jahre fast keine Fehlzeiten und dann zunehmend längere Ausfälle.....
Ich werde ihm auch von den mit den Jahren zunehmenden Konzentrationsschwierigkeiten, Depressionen und Suizidgedanken erzählen. Auch vom Schwerbehindertemstatus und den aktuellen Suizidgedanken.
Keine Sorge, ich habe es im Griff. Ich kann für mich garantieren.
Ich bin eh zu feige. Das werde ich ihm auch sagen.
Die Zeit des Schweigens ist vorbei! Wenn ich keine Kraft zu reden habe schweige ich. Aber wenn ich Kraft habe, rede ich!
Liebe Grüße
Wild Child