Guten Morgen, lieber Benter.
bennter2 hat geschrieben:
Ja, ich schließe da wohl -fälschlicherweise-von mir auf andere.In der Sache mit der Geduld.Ich hatte sie anfangs (vor 3 Jahren) nicht.Wollte mit dem Kopf und Bac durch die Wand.Jahrzehnte des Alkoholmißbrauchs , dann Sucht , sollten mit einem Schlag ausgemerzt werden.
Wir sind da gar nicht so weit voneinander entfernt. Wie mir gestern mein Suchtberater klar gemacht hat (und es gerade auch schuppenweise von den Augen rieselt, langsam noch, um die Grenzen des Selbstschutzes nicht zu sprengen), liegt ein großer Teil meiner Alkoholsucht in meiner ständigen Überforderung durch mich selbst.
Aufgewachsen bin ich in einem Elternhaus als älteste Tochter von 3 Kindern. Meine Eltern gingen ihrem Job nach und meine Aufgabe bestand darin, den Haushalt und die Geschwisterkinder zu managen. Der Haushalt (großes Bauernhaus) mit Schweinen, Hasen, Hühnern... eigentlich für Kinder sehr idyllisch, war riesig. Erinnern kann ich mich bis zu einem Alter von ca. sechs Jahren (und hier differenzieren, dass es erlebtes Wissen und nicht erzähltes Wissen ist). Natürlich konnte ich dem gar nicht gerecht werden, egal wie ich mich mühte.
Jede "Pflichtverletzung" wurde geahndet. Nicht mit Schlägen, dies eher selten. Mit Geschrei, Liebesentzug und was ihnen sonst noch so einfiel. Meine Schwestern blieben davon verschont, sie waren ja die Kleinen. Meine einzige Ausflucht war die Schule; und dort lief es. Während meine Schwestern um die Versetzung kämpften, ärgerte ich mich, wenn mal die Note zwei hereinflatterte. Dort bekam ich (durch die Lehrer) die Wertschätzung, die ich im Elternhaus nicht bekam.
Gleichwohl habe ich auch daheim gekämpft. Versucht, alle Pflichten auch zu erledigen, alles richtig zu machen - was bei einem Kind aber naturgemäß nicht funktioniert. Den Eltern war es egal, sie sahen immer nur, was nicht erledigt war. Einmal, so als Beispiel, sollte ich mittags einen Eintopf kochen und hierfür Kartoffeln stückeln. Natürlich wollte ich dies perfekt machen und habe nicht nur die Kartoffeln zerstückelt, sondern die bereits gekochten Gemüsestücke mit in den Topf geworfen -heraus kam ein Brei. Mit sieben Jahren waren unterschiedliche Garzeiten noch nicht im Kopf präsent. Als Strafe durfte ich einen Film im TV nicht sehen, auf den ich mich schon Wochen gefreut habe und bekam Stubenarrest -natürlich letzteren nur temporär, weil ich das Zimmer zu den anfallenden Hausarbeiten schon verlassen konnte.
Ich hatte nur meine Bücher, sie ich verschlang und die Schule. Das Verhältnis mit den Geschwistern (noch heute ein Null-Verhältnis) war schlecht, weil sie ja immer nichts machen mussten (einerseits). Sie hassten mich hingegen, weil sie in der Schule ständig vorgehalten bekamen, dass sie sich doch mal ein "Beispiel an ihrer großen Schwester" nehmen sollten.
Das Verhältnis mit den Klassenkameraden, meinen Hort der Wertschätzung, war schlecht; wer mag schon Streber.
Und immer wieder dieser Kampf um Liebe und Wertschätzung, aussichtslos zwar, aber wie soll man dies als Kind wissen.
Dieses "Muster" habe ich nie abgelegt, einiges hat sich ins Gegenteil verkehrt. Ich hab später studiert, zwei Kinder geboren und alles musste anders sein. Kinder wurden und werden mit viel Liebe und Wertschätzung erzogen, der Haushalt musste glänzen und natürlich musste ich beruflich immer Nummero Uno sein. Das Geld, dass ich dabei verdient habe, war mir letztlich egal, wenn die Wertschätzung stimmte.
Seit 8 Jahen dann alleinerziehend, hat sich hieran nichts geändert. Was jammern denn die anderen? Die müssen sich halt besser organisieren. Und sicherlich kann man 60-Stundenjob die Woche, Haushalt, Kinder, gesellschaftliches Engagement unter einen Hut bekommen. Und selbstverständlich gibt es hier kein Fastfood, die Kinder brauchen frisches Essen. Und selbstverständlich wird die Unterwäsche auch gebügelt. Und selbstverständlich... Ich kann es ja, es muss alles perfekt sein.
Vor 5 Jahren habe ich dann den Kontakt zum Vater abgebrochen; denn Kontakt zur Mutter schon viel früher, mit der Scheidung der Beiden, als ich 18 war.
Geändert haben sich die Fakten, aber nicht mein innerliches Gefüge.
Um dann wieder auf den Alkohol zu kommen: Abends kamen dann die Entlastungstropfen. Wenn ich dann daheim alles fertig hatte, musste der Rotwein her. PC an, nur ein wenig Homeoffice gemacht und hoch der Rotwein. Die ersten Schlucke zum runterkommen, die letzten, um irgendwie aus dem Gedankenkarussell auszusteigen und schlafen zu können.
Und so hat es sich gesteigert und gesteigert... Bis hin zum "Zusammenbruch" im letzten Jahr. Bourneout. Zunächst ignoriert, ich doch nicht. Aber ignorieren ist nicht so einfach, wenn der Körper einfach nicht mehr mitspielt. Also wurde alles weggesoffen, dann bereits morgens. Tagsüber in den Dosen, dass ich immer funktionieren konnte; waren die Kinder im Bett und ich hatte freie Bahn, dann gab es den Rest.
Deshalb
muss ich mir die GGG jeden Tag aufsagen. Ich brauche sie nicht nur im Zusammenhang mit dem Alkohol, sondern auch, weil ich Verhaltensmuster ändern muss. Im Kopf ist es angekommen, es muss nur noch rutschen.
bennter2 hat geschrieben:
Er ist da offener als sie, doch sie läßt ihm als Mediziner in solchen Entscheidungen den Vortritt.Dafür hört sie sich schon seit Jahren meine immer neuen Konstrukte geduldig an, in denen ich mich von anderen (viel schlimmeren/vermeintlich uninformierteren etc.) Trinkern unterscheiden (abheben!) wollte.
Dies hab ich auch im Kopf (gehabt). Es beginnt schon im Vergleich der Trinkmengen und dann der (idiotischen) Schlußfolgerung, dass es ja bei mir noch nicht so schlimm sein kann. Es ist schwierig, sich selbst einzugestehen, dass man süchtig ist. Man kratzt unwillkürlich an dem eigenen Selbstbild. Bei Dir mit Deinem narzißtischen Ansatz sicher noch schlimmer. Sucht ist (für mich) gleichbedeutend mit Versagen...immer schön die Allgemeinplätze bedienen. Es steht nicht die Frage im Vordergrund, warum getrunken wurde, sondern warum gerade ich. Und dann suchte ich natürlich auch 1000 Gründe, warum es doch bei mir ganz anders ist. Leider macht es keinen Unterschied, ob ich meinen Alk aus dem Tetrapack auf der Parkbank schlürfe oder hier aus dem Schwenker auf dem Sofa. Die Fallhöhe ist einzig unterschiedlich. Vielleicht auch die Chance, es zu ändern, wenn das soziale Umfeld noch funktioniert. Aber auch letzteres ist nur eine Annahme; wenn man gar nichts mehr zu verlieren hat, dann....
bennter2 hat geschrieben:
Quasi Urlaub vom gedanklichen craving, so daß ich dann die Möglichkeit habe, auf meine neu gewonnenen Einsichten zurückzugreifen und sie-oh Wunder-auch zu leben und nicht im Kopf zu sezieren.(ich trete nämlich auch gerne in Kausalketten gedanklich gegen mich selbst an.)
Dies kenne ich auch zur Genüge.
bennter2 hat geschrieben:
Der Kopf ist ja bei Dir mehr als vorhanden!!!!! Laß die Seele nachrutschen.
Du Schuft

Dies ist natürlich ein Problem. Solange ich alles mit dem Kopf analysiere, bin ich "bei mir". Ich habe das Gefühl, alles "unter Kontrolle" zu haben. Wenn ich die Seele nachrutschen lasse, dann brechen so viele Wunden auf (siehe Kindheit oben), dass ich gar nicht weiß, wie ich nüchtern die Auseinandersetzung damit ertragen soll. Ich habe es gelernt, meine Belange zur Seite zu stellen, Verletzungen und Enttäuschungen in Päckchen zu verpacken und im Seelenmeer zu versenken, jeden Tag wieder aufzustehen und nach von zu schauen, auch wenn links und rechts die Einschläge des Lebens jede vernünftige Form des Daseins nahezu unmöglich machen.
Ich habe es aber nicht gelernt, mich selbst zu lieben, wenn ich nicht funktioniere. Gefühle zuzulassen und mich trotzdem zu lieben.
Aus den Ansprüchen an mich selbst formuliere ich natürlich auch unbewußt eine Erwartungshaltung an meine Umgebung, die niemand erfüllen kann. Dies wird dann wieder umgewandelt in mangelnde Wertschätzung, ein ewiger Kreislauf.
Und selbst jetzt würde ich den Kommentar hier am liesten wieder löschen, weil ich es schlichtweg so nicht akzeptieren kann, mein Kopf es nicht akzeptieren kann. Schlechte Kindheit, was für ein Scheiß, mit diesem Mist kommt jeder Halbkrimminelle angerannt in der Hoffnung, eine mildere Strafe zu bekommen. Und und und. Wir sind zwar das biologische Ergebnis zweier Menschen, aber trotzdem autonome Wesen. Somit können wir auch immer wieder autonom Entscheidungen treffen. Dies bedeutet, dass ich es hätte schon früher ändern können, wenn ich jetzt den Versuch unternehme. Weil ich es nicht getan habe, habe ich ja offensichtlich doppelt versagt... Du siehst also, mein Kopf macht Sprünge und ich hab noch einiges zu tun.
Sorry, dass es länger geworden ist, es kann auch gern überlesen werden.
Liebe Grüße.
Kuni