Freitag 12. Mai 2017, 13:46
Liebe Time,
ich kann versehen, dass Du Dir Gedanken machst. Meine persönliche Erfahrung zeigt allerdings, dass man selbst sich IMMER viel mehr Gedanken macht als alle anderen. Anders gesagt: SOOO spannend sind wir oft gar nicht, wie wir glauben, die meisten Menschen denken im Gegenteil eher erschreckend wenig über andere nach.
Trotzdem: Es ist nicht jedermanns/fraus Sache, ganz klar und direkt heraus zu sagen: "Ich trinke nicht (mehr)". Da sind Schutzbehauptungen wie Medikamente oder Krankheiten vielleicht tatsächlich zu Beginn die einfachste Lösung, und ich finde eine solche "Konfliktvermeidung" auch total okay.
Bei mir ist es so, dass eh schon einige Leute in meinem Umfeld wissen, dass ich ein Alkoholproblem habe. Und die meisten davon haben es so sehr vergessen, dass sie mir trotzdem regelmäßig was anbieten oder mir eine Flasche Wein mitbringen. Das mal zum Thema "Wir sind gar nicht so interessant und wichtig, wie wir selbst oft denken" ;-)
Zurück zum Thema, was kannst Du tun?
Ein erster ketzerischer Gedanke: Wie wichtig sind denn die Feiern? Existenziell? Wenn nicht, wäre es ja vielleicht eine Überlegung wert, Dich jetzt NOCH nicht mit so einer Situation auseinanderzusetzen, die für Dich möglicherweise zu früh ist. So ein schöner Magen-Darm-Infekt kann einen hervorragend ein paar Tage lang flachlegen, Dein Partner könnte Dein Nicht-Erscheinen also entschuldigen.
Wenn das nicht geht, taugen Magenprobleme aber auch immer gut als Ausrede. Oder ein "Nee, heute nicht, ich hatte gestern viel zu viel". Oder ein "Ich hab in letzter Zeit ein bisschen übertrieben und mach jetzt mal ein paar alkfreie Wochen." Also irgendwas in der Richtung. Wenn die anderen Dich meisten trinkend kennen, wird das ja auch jeder glauben.
Bei mir war es irgendwann so - und das habe ich bis heute beibehalten - dass ich einfach freundlich ablehne. Wenn dann jemand nachfragt, sage ich ganz schlicht: "Ich habe für mich festgestellt, dass Alkohol nicht gut für mich ist." Will derjenige es dann NOCH genauer wissen (was aber nur selten der Fall ist, denn ich bin ja ebenfalls gar nicht sooo interessant), sage ich: "Alkohol schlägt mir auf die Psyche, davon bekomme ich Depressionen." Und das ist ALLES nicht gelogen und stempelt mich ALLES auch nicht zur Alkoholikerin ab. Bisher habe ich auf diese Ansage AUSSCHLIESSLICH Respekt erhalten. Dann sogar meist verbunden mit der Aussage meines Gegenübers, dass er oder sie vielleicht auch mal über seinen Konsum nachdenken sollte ...
Aber noch ein Gedanke, liebe Time: Ich habe lange gebraucht, bis ich von den Ausreden abgelassen habe und ganz direkt die "Wahrheit" sage. Und wenn ich ehrlich bin - und hier in diesem Forum sollte man wohl ehrlich sein - gar nicht so sehr, weil ich Angst vor dem "Gerede" hatte oder dass ich dann nicht mehr "dazu gehöre". Sondern, weil mir - zumindest unbewusst - klar war, dass es nach einer solchen Aussage keinen Weg mehr zurück gibt. Hat man das erst einmal gesagt, speichert das Umfeld "Sunni trinkt nicht" ab (also, mehr oder weniger - bis auf die, die einem weiterhin was anbieten oder Weinflaschen schenken). Was, wenn ich aber ein Jahr später DOCH wieder trinken will? Wenn ich mir die Hintertür, dass ich es ja vielleicht und unter Umständen doch schaffen kann, ein "normaler" Trinker zu werden, offenhalten und sie nicht zuschlagen will? Was mache ich dann? Sage ich "Ach, du, nee - habe festgestellt, es war gar nicht der Alkohol, es war die Schokolade"? Hm, schwierig.
Von daher glaube ich, dass die eigentliche Frage, um die es geht, für Dich ist: Bist du fest entschlossen, ein abstinentes Leben zu führen? Soweit ich verstanden habe, bist Du Dir da nicht sicher, und das ist ja auch vollkommen okay. Aber wenn Du SELBST diese innere Sicherheit nicht hast - wie sollst Du sie da nach außen transportieren und Dich festlegen?
Der langen Rede kurzer Sinn: Ausreden sind meiner Meinung nach total prima und erlaubt
Großes Umgetausche oder Umgekippe von Getränken wären mir persönlich zu kompliziert, ich würde ganz schlicht ein Magengeschwür, den Restkater oder den Autoschlüssel nehmen, denn Medikamente sind mir persönlich zu abgedroschen und lassen m E. viel eher einen "Verdacht" aufkommen.
Liebe Grüße,
Sunni