Hallo Ihr Lieben, ich bin schon seit Monaten stille „Mit-Leserin“ des Forums. Heute habe ich mich nach vielen guten Vorsätzen endlich entschlossen, auch meinen Teil zum Forum beizutragen und den noch Zweifelnden und Hoffnungslosen, Mut zu machen. Das Wichtigste zuerst: Mein Leben ist wieder voller Liebe und Glück nach vielen Jahren der Tränen und der Hoffnungslosigkeit, auch wenn ich weiß, dass dieses Glück noch auf sehr schwachen Beinen steht und jeden Tag neu unterstützt werden muss.
Und jetzt von vorn: Ich habe meinen Lebensgefährten vor über acht Jahren kennengelernt. Damals waren wir voller Pläne und freuten uns auf eine gemeinsame Zukunft. Es war alles so, wie man sich eine glückliche Beziehung vorstellt. Wir waren beide fleißig am arbeiten um uns gemeinsame Wünsche zu erfüllen, es wurde aber immer weniger Zeit, die wir miteinander verbrachten, aber wir hatten ja ein Ziel. Vor fünf Jahren war es dann soweit, wir kauften uns das so gewünschte Haus, also besser konnte es ja nicht laufen. Um dem Arbeits- und Baustress etwas besser wegstecken zu können, gab es abends ab und zu bei meinem Lebensgefährten das berühmte „Feierabend-Bier“. Aus „ab und zu“ wurde dann täglich und aus einem Bier wurden dann zwei oder drei. Das ist mir damals noch nicht so aufgefallen. Es lief ja alles „normal“, wir gingen arbeiten, wir erledigten unsere Privatsachen, es gab keine Probleme, es war nur eben sehr stressig. Irgendwann verschwand mein Lebensgefährte immer häufiger in die jetzt vorhandene Garage, er hatte da noch was zu tun. Aber auch das fiel mir nicht wirklich auf, ich war ja im Haus mit Hausarbeit beschäftigt. Ab und zu dachte ich zwar, er sieht wieder so geschafft aus, die Augen sind klein, er sagt nicht so viel. Er zog sich immer mehr zurück. Und eines Tages kam es dann, dass mir der Geruch auffiel. Er kam von der Arbeit, die Augen waren wieder so klein, die Körperhaltung war merkwürdig und er roch irgendwie anders. Ab diesem Tag fing ich an, meinen Lebensgefährten intensiver zu beobachten. Und leider bestätigte sich meine Vermutung. Er hatte ein Alkoholproblem. Darauf angesprochen war das natürlich alles unter Kontrolle und kein Problem. Ich machte mir Sorgen, vertraute aber noch auf seine Kontrollmechanismen. Bis zum Herbst 2010. Da war mir klar, dass er alles andere als die Kontrolle über sein Trinkverhalten hatte. Es verging fast kein Tag, an dem er nicht schon leicht angetrunken von der Arbeit kam. In seinen Augen war das alles normal, er trank schließlich nur Bier, keinen Schnaps, keinen Wein. Ich redete, ich bettelte, ich machte ihm Vorwürfe, ich drohte mit Trennung. Heute weiß ich, dass ich ihn in dem damaligen Zustand überhaupt nicht erreichen konnte. Aber ich wollte nicht aufgeben. Ich versuchte immer wieder – in stundenlangen Gesprächen – an ihn heranzukommen, ihm bewusst zu machen, dass er krank ist. Zum Jahreswechsel 2010/2011 hat es bei ihm wohl „klick“ gemacht, warum kann er auch nicht sagen. Er versprach mir, sich im neuen Jahr Hilfe zu suchen. Das machte er auch wahr. Direkt im Januar 2010 ging er zu unserer Hausärztin und zur Suchtberatungsstelle. Dort wurde ihm auch sofort Hilfe versprochen und zugesagt. Die Hausärztin schrieb eine Überweisung zur Entgiftung, die Suchtberatungsstelle vereinbarte Therapie-Gespräche. Mein Lebensgefährte war glücklich, dass alles so unkompliziert verlaufen sollte. Allerdings waren wir – aus heutiger Sicht – einfach zu schlecht informiert. Die Entgiftung fand stationär auf einer einfachen Station für Innere Medizin statt, er konnte kommen und gehen wann er wollte, er bekam nur irgendein Medikament verabreicht, wo wir heute noch nicht wissen, was es war. Zum Glück wollte er es auch unbedingt und nutzte die Möglichkeit, sich um die Ecke Alkohol zu besorgen nicht aus. Er blieb konsequent nüchtern. Entzugserscheinungen oder ähnliches hatte er, nach eigenem Beschreiben, auch nicht. Als die Woche vorbei war, wurde er wieder arbeitsfähig geschrieben und ging ins Büro. Einen Gesprächstermin in der Suchtberatung hatte er für ca. zwei Wochen später. Ihr könnt Euch sicher denken, wie das Ganze ausging. Eine Woche nach der Entgiftung war mein Lebensgefährte wieder vor der Entgiftung angekommen und das war eine ganz schlimme Erfahrung für ihn. Er fühlte sich als Totalversager und wurde richtig depressiv. Zwei Wochen nach der Entgiftung hatte er dann quasi einen Zusammenbruch. Er hatte wieder getrunken, wie viel weiß ich nicht. Ich kam von der Arbeit und er saß zu Hause „ein Häufchen Elend“ und wollte nicht mehr leben. Ich habe daraufhin den Notarzt angerufen und der hatte sehr viel Verständnis und es kam zur Einweisung auf eine geschlossene Station, wegen der Suizid-Gefahr. Ich war sehr froh darüber und mein Lebensgefährte im Nachhinein auch. Während des Aufenthaltes auf dieser Station (vier Wochen) wurde dann mit Hilfe der Sozialarbeiter und der Ärzte die Beantragung einer Langzeittherapie vorbereitet. Meinem Lebensgefährten ging es besser, schon die Gespräche mit anderen Betroffenen haben ihm, glaube ich, sehr geholfen. Nach vier Wochen lag die Genehmigung der Langzeittherapie vor, aber leider war noch kein Platz frei. Meinem Lebensgefährten hatte aber die Möglichkeit, bis zum Freiwerden eines Platzes in einer Tagesklinik ambulant „unterzukommen“. Dieses Angebot nahm er auch an, er wollte ja alles dafür tun, um aus dem Kreislauf Alkohol auszubrechen. In der Therapieordnung der Tagesklinik war die Vorgabe, einmal Alkohol = Verwarnung, zweimal Alkohol = Ende. Soviel sich mein Lebensgefährte auch Mühe gab, er schaffte es nicht, am vierten Tag in der Tagesklinik ist er auf dem Nachhauseweg nicht an der Tankstelle vorbeigekommen. Es war wieder ein Schlag ins Gesicht, nicht nur für mich, auch für ihn. Wieder Tränen, Vorwürfe … naja, Ihr kennt das ja. Zum Glück war in der Tagesklinik eine Psychologin, die nicht nur „Dienst nach Vorschrift“ praktizierte, sondern die wirklich das Gefühl vermittelte helfen zu wollen, wenn der Patient es auch wollte. Von ihr erfuhren wir das erste Mal etwas von „Craving“, dass das ein chemischer Prozess im Gehirn ist. Sie verschrieb meinem Lebensgefährten Campral (oder so ähnlich), zur Unterdrückung des Cravings. Sie sagte uns, dieses Medikament gibt es aber nur bei stabilem sozialem Umfeld und dem unbedingten Willen des Betroffenen. Das Medikament wäre sonst zu gefährlich. Mit diesem Medikament schaffte es mein Lebensgefährte auch, die Zeit bis zur Langzeittherapie „durchzustehen“. Der unkontrollierte Craving war weg. In der Zeit, in der er auf den Therapieplatz wartete, hatte er auch ein Gespräch mit seinem Arbeitgeber und seinen Kollegen, in dem er von sich aus über sein Problem sprach und um Hilfe und Unterstützung bat. Diese wurde ihm auch zugesagt und er war sehr gerührt von der Anteilnahme. Damit hatte er nicht gerechnet. Im Juni 2011 war es dann soweit, ich fuhr meinen Lebensgefährten zur Klinik. Wir waren so froh, dass es jetzt endlich losgehen sollte. Was für mich sehr erschreckend war, die Leute in der Klinik waren eben alles so „normal“. Bitte verurteilt mich jetzt nicht deswegen, aber irgendwie hatte ich mir diese Klinik viel schlimmer vorgestellt. Ich war ja froh, hatte ich doch Angst um meinen Lebensgefährten. Die ersten drei Wochen durften wir nur telefonischen Kontakt haben. Besuche waren verboten. War ok für mich, er sollte sich ja eingewöhnen und sich nur um sich kümmern. Obwohl er sehr aufgeschlossen gegenüber der Therapie war, habe ich gemerkt, wie schwer ihm die Situation gefallen ist. Erst nach den drei Wochen, nachdem er die Leute kennengelernt und sich erste Freundschaften gebildet hatten, ging es ihm besser. Für mich war die Zeit wie ein Urlaub, keine Sorgen, wie er mir abends gegenüber treten würde, keine Angst, dass er sich irgendetwas antut oder ihm irgendwas passiert. Und ich sah jedes Mal, wenn ich ihm am Wochenende besuchen konnte, wie aus dem ängstlichen und verschlossenen Mann ein selbstbewusster und freundlicher Kerl wurde. Das war ein super Gefühl. Allerdings vermittelte dieses Gefühl auch die fatale falsche Vorstellung, jetzt ist alles wieder gut, der Alkoholismus ist besiegt. Im Nachgang spricht mein Lebensgefährte von der „Käseglocke der Therapie“. Nach Therapieende im September 2011 ging er fleißig zur Nachsorge in die Suchtberatung, nahm an einer online-Chat-Nachsorge der Klinik teil. Außerdem wurde er Mitglied bei den AA’s und ich bei den Al-Anon, wobei ich jetzt sagen muss, wir konnten uns Beide nicht so wirklich mit dieser „eine Macht, die größer ist als ich selbst“ anfreunden. Irgendwie kamen wir uns immer etwas fehl am Platz vor, in diesen Meetings. Aber egal, das ist sicher Ansichtssache. Wie Ihr seht, wir haben die größten Anstrengungen unternommen, um alles richtig zu machen. Und ich sage ganz bewusst „wir“ … weil ich dazu gehört habe, auch meine Ansicht und meine Meinung war die ganze Zeit sehr wichtig für meinen Lebensgefährten. Aber das alles hat nichts genützt. Im November 2011 kam der Rückfall und mit diesem Rückfall die große Depression und der steigende Suff. Er war jeden Tag angetrunken und das schlimmste für mich, es war nicht mehr nur Bier, nein es war Wodka. Ein riesiger Schock für mich als ich die Flasche im Keller stehen sah. Wieder Tränen, Vorwürfe, endlose, nächtelange Gespräche, Versprechungen, Vorhaltungen, Ängste. Es war grausam. Wo war die Euphorie, die nach der Therapie da war, wo war der Mann, der sich und seine Ängste im Griff hat. Alles wie weggeblasen. Ich musste kämpfen, ich wollte nicht, dass er sich verliert und ich wollte ihn nicht mehr an den Alkohol verlieren. Ich glaube, ich habe alle Bücher und Arbeiten, Erfahrungsberichte und Biographien über Alkoholabhängigkeit gelesen, die auf dem Markt waren… Bis mir das Buch von Oliver Ameisen in die Hände fiel – DER SECHSER IM LOTTO – DER HAUPTGEWINN. Ich habe das Buch verschlungen und mich durch die Foren im Internet gelesen. Und habe dieses Forum hier gefunden. Das Forum hier hat mir noch mehr Mut gemacht, als schon das Buch. Und ich möchte es nicht versäumen, an dieser Stelle, den Verantwortlichen zu danken für dieses Forum!!! Jetzt fragt sich sicher der eine oder andere von Euch, warum nicht mein Lebensgefährte sondern ich mich darüber informiert habe. Er war einfach so am Boden zerstört. Ich wollte ihn schützen. Nachdem ich mir sicher war, dass Baclofen ein „Wunder“ ist habe ich meinem Lebensgefährten davon erzählt und ihn gebeten, das Buch zu lesen. Erst zögerlich, aber dann verschlang auch er das Buch in einer Nacht und war wild entschlossen, Baclofen auszuprobieren. Auch für Ihn war der Hinweis auf die Nebenwirkungen nicht abschreckend. Was hat man zu verlieren gegenüber einer eventuellen Müdigkeit und Mundtrockenheit bei Beginn der Therapie. Leute, es geht hier um nicht weniger als um ein LEBEN. Allerdings hatten wir zum damaligen Zeitpunkt noch nicht den Mut, unsere Hausärztin um die Verschreibung des Medikamentes zu bitten, da sie schon aus der Erfahrung heraus auch zur ehr konservativen Fraktion der Ärzteschaft gehört. Wir bestellten Baclofen nach den Erfahrungsberichten in den Foren in Spanien. Mein Lebensgefährte war bereit, nochmal alles auf Anfang zu stellen. Er ließ sich nochmal zur Entgiftung einweisen. Danach hatten wir zwei Wochen Urlaub und wollten mit Baclofen und dem Königsweg beginnen, um nach dem Urlaub die meisten Nebenwirkungen schon überstanden zu haben. Und was soll ich Euch sagen - Ihr wisst es ja sicher schon - es funktioniert!!!! Nach den zehn Tagen Entgiftung hat mein Lebensgefährte im Februar 2012 angefangen Baclofen zu nehmen. Wir haben versucht eine Dosierung zu finden, die seinem Trinkverhalten entsprochen hat. Durch die Einhaltung des Königwegs gab es aber keine größeren Probleme mit den Nebenwirkungen. Ja, bisschen Müdigkeit, bisschen trockener Mund… aber was ist das schon gegen einen Totalabsturz mit ausgeschlagenem Zahn und blutigen Knien. Die größte Bewährungsprobe war direkt nach dem Ende des Urlaubs. Meinem Lebensgefährten wurde von seinem Arbeitgeber gekündigt, es wäre zu seiner eigenen Genesung, der Unternehmenspsychologe (der meinen Mann nie gesehen hatte) wäre der Meinung, es wäre das Beste, wenn er aus der Situation herausgenommen werden würde und sich erst mal nur auf seine Genesung konzentrieren würde. Was ich von diesem Super-Psychologen halte, könnt Ihr Euch sicher denken. Aber egal, mein Lebensgefährte hat trotz dieser Situation, wo jeder zur Flasche gegriffen hätte, nichts getrunken. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was das für ein Gefühl war!
Ich hatte eine wahnsinnige Angst vor der Zeit des Zu-Hause-Seins. Aber es war ok, klar, war er nicht direkt am ersten Tag hochmotiviert, sich etwas Neues zu suchen und ich habe ihm die Zeit gegeben und nicht unter Druck gesetzt. Ich habe ihn unterstützt wo es nur ging. Er hat sich in dieser Zeit intensiv mit Baclofen und der Dosierung auseinander gesetzt, hat viele Bücher gelesen und wir haben lange Gespräche geführt. Es gab ziemlich am Anfang einen – wie Ihr es nennt – Vorfall, zwei Bier an einem Abend, ansonsten ist sein Kopf frei von Gedanken an Alkohol. Dieser Vorfall war wohl auch eher ein Test, kann ich trinken und wie reagiere ich unter Medikamenten auf Alkohol. Ich war ganzschön sauer über diesen Test.
Nach einem Monat begann mein Mann, sich um einen neuen Job zu kümmern, nach zwei Monaten hatte er ihn. Jetzt ist er seit Anfang Juli 2012 wieder arbeiten und sehr glücklich in seinem neuen Job. Wir haben in dieser Zeit auch einen Arzt gefunden, der bereit ist, Baclofen off label zu verschreiben. Dafür sind wir sehr dankbar.
Jetzt habe ich so viel geschrieben, aber ich musste das an dieser Stelle mal loswerden.
Ich kann Euch nur sagen, kämpft um Eure Liebe, auch wenn viele Euch dann zu so genannten Co-Abhängigen machen wollen. Wen Co-Abhängigkeit ist, dass ich mich für den Menschen den ich liebe einsetzte und mit ihm leide, ja dann bin ich co-abhängig, dann ist jeder Mensch, der bei seinem kranken Partner bleibt und ihn unterstützt wo er nur kann, co-abhängig. Mir ist egal, was die Leute reden, wichtig ist, was mein Herz mir sagt und mein Bauchgefühl. Hätte ich auf den ersten gehört, der mir damals gesagt hat, es gibt Alkoholiker, die erst richtig tief fallen müssen, um wieder aufzustehen, willst Du Dir das antun, verlass ihn solange du noch Zeit hast… so ein Schwachsinn … dann würde ich meinen Lebensgefährten vielleicht jetzt auf dem Friedhof besuchen. Wenn ich jetzt in sein lächelndes Gesicht, seine strahlenden Augen sehe, dann weiß ich, dass es sich gelohnt hat und dann weiß ich Oliver Ameisen hat Recht, Baclofen ist das Ende der Sucht, der Anfang des Lebens. Ich liebe und werde von einem Menschen geliebt, den die meisten Menschen schon aufgegeben hatten. Was will ich mehr vom Leben! Ich bin glücklich! Ich hoffe nur, das Baclofen bald auch in Deutschland zum Kampf gegen den Alkoholismus offiziell zugelassen wird. Wie viele Tränen, wie viel Leid würden vielen von uns erspart bleiben.
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