Web Modus
Mehr als 6 Monate Erfahrung mit Baclofen
Antwort erstellen

Nach einem Jahr ohne Alkohol

Sonntag 16. Juni 2013, 15:59

Hallo ihr Lieben,

dieses Jahr mit Baclofen war für mich ein Jahr der positiven Veränderungen - in allen Bereichen meines Lebens. Sei es das familiäre betreffend, den Beruf betreffend, die Gesundheit sowieso, auch was die persönliche oder spirituelle Entwicklung angeht, alles hat sich zum Guten gewendet. Das heißt noch nicht, dass alles gut ist, aber da wo es noch klemmt, sind Lösungswege in Sicht, die ich jetzt mit klarem Kopf sehe. Vorher, gefangen in der Suchtspirale habe ich den Ausweg gar nicht sehen können.

Es ist jetzt ziemlich genau ein Jahr, dass ich gar keinen Alkohol mehr getrunken habe. (Am Anfang der Baclofen-Therpie gabs noch ein paar Mal, hatte sich aber bald erledigt.)
Nehme zur Zeit 2x 12,5 mg/Tag, an stressigen Tage auch mal 37,5, das lässt mit immer noch Luft nach oben, wenn's eine Notsituation gibt, gab es aber im ganzen Jahr nur 2-3 mal, da ich gelernt habe mein Leben viel ruhiger zu planen und ich versuche ganz schlimme emotionale Stresssituationen zu vermeiden. D.h. ich versuche alte Muster zu vermeiden. Seit ich keinen Alkohol mehr trinke, bin ich generell nicht mehr so emotional und kann auch mal einem Streit aus dem Weg gehen.

Jetzt nach einem Jahr ohne Alkohol komme ich überhaupt erst dazu, mich selber richtig kennenzulernen. Zu erkennen, nach welchen Mustern ich funktionere, funktioniert habe und stelle fest: unter Alkohol war ich nicht ich selbst, ich war wie fremd gesteuert. Das ist z.T. sehr schmerzlich im Nachhinein festzustellen, welchen Anteil ich daran hatte, dass die Dinge so schief gelaufen sind.

Ich komme jetzt in der Therapie langsam auch zu den Gründen, warum ich angefangen habe zu trinken, realisiere überhaupt erst das Mass an Mißhandlung und Gewalt in meiner Kindheit. Das ist sehr schmerzhaft. Und ich hatte Angst, mir das anzuschauen, weil früher hätte ich ein solches Thema nicht überstanden, ohne zu trinken.
(Deshalb hatten auch sämtliche Therapien die ich gemacht habe, während ich noch trank, nicht wirklich etwas gebracht.)

Ich habe zwar jetzt auch nach einer solchen Therapiesitzung das Gefühl, dass ich unbedingt etwas brauche, aber Alkohol ist es nicht. Zum Glück nicht!!
Ich versuche dann besonders liebevoll mit mir selber umzugehen. Atmen und Mantren chanten hilft mir die schlimmsten Stunden zu überstehen. Ich habe das Gefühl ich arbeite mich gerade Schicht für Schicht durch meine Schmerzschichten durch.
Ich fühle, dass mir Baclofen bei diesem Prozess ebenfalls hilft, d.h.ich würde ebenfalls sagen, dass Baclofen etwas bewirkt, das weit über die Cravingunterdrückung hinausgeht (was zur Zeit in einigen Threads diskutiert wird).

Schwierig in Worte zu fassen, ich werde es weiter beobachten und versuchen zu beschreiben. Erst mal so: mit Baclofen wird meine Seele empfindsamer, durchlässiger einerseits, aber gleichzeitig fester, stabiler, mehr Ich. Mein Ich, mein wahrer Kern kommt mehr zum Vorschein und kann tatsächlich scheinen. So wie in dem Bild oben auf der Forumstartseite, wo sich das Gesicht aus der Maske schält.

In der letzten Zeit wurde ich oft, darauf angesprochen, dass ich so gut aussehen würde. Na ja, kein Wunder, könnt man sagen, ohne Alkohol sieht man halt gesünder aus. Aber das ist es nicht allein. Ich wurde schon gefragt, ob ich frisch verliebt sei, dass ich so strahle, dann denke ich lächelnd, ja in mich. Denn jetzt kann ich anfangen, mich zu lieben.

Liebe Grüße und noch viel Spaß euch an diesem schönen Sommersonntag
Betty

Re: Nach einem Jahr ohne Alkohol

Sonntag 16. Juni 2013, 16:58

bettyblue hat geschrieben:Mein Ich, mein wahrer Kern kommt mehr zum Vorschein und kann tatsächlich scheinen. So wie in dem Bild oben auf der Forumstartseite, wo sich das Gesicht aus der Maske schält.

@Betty,

so war es von der inspirierenden Künstlerin gedacht. Dein Beitrag wäre übrigens optimal für´s „upgrade 3“ der whitebox.
It' sounds like „Sound of Silence“.

LG Federico
In Bronze gegossen und handsigniert
ist es als Skulptur bei ars mundi erhältlich.

Re: Nach einem Jahr ohne Alkohol

Sonntag 16. Juni 2013, 17:24

Liebe Betty

was soll ich dazu noch sagen oder beifügen...?

Deine Worte hinterlassen in mir das gleiche Gefühl wie der heutige sonnige Sommernachmittag mit seinem blauen Himmel und Sonne pur...

Danke für Deinen Bericht und weiterhin alles Gute wünscht Dir
mit lieben Grüssen
moonriver

Re: Nach einem Jahr ohne Alkohol

Sonntag 16. Juni 2013, 18:17

Hallo und danke für eure Worte,

und danke für den Hinweis auf die web-Seite der Künstlerin Marie-Luise Bodirsky.

Metamorphose heißt die Skulptur, und das trifft es gut, was ich zur Zeit erlebe.
Eine Verwandlung vom Steinernen, Erstarrten zum Lebendigen.

Sie hat noch andere schöne und interessante Skulpturen. Besonder Lots Frau. So habe ich mich selbst oft gefühlt,
dass ich zu Stein erstarren musste, weil ich Dinge in unserer Familie gesehen habe, die ich nicht hätte sehen sollen.

Der Alkohol sollte quasi den Stein erweichen. Das schafft er aber nicht. Zwar bringt er Emotionen hervor. Aber falsche, und führt nur immer weiter in einen falschen emotionalen Sumpf hinein. Darin kann die Statue dann gänzlich versinken.

Es sei denn man hat das Glück und findet Baclofen. Mit dieser Hilfe habe ich mich sozusagen selber aus dem Sumpf herausgezogen. Eines der wichtigsten Dinge, bei denen mir Baclofen hilft: es hilft mir emotional ruhiger zu sein, aber nicht gedämpft, und hilft mir, meine Gefühle von falschen, unechten, unnützen Emotionen zu befreien, damit wahre, echte und förderliche Gefühle entstehen können.

@federico
Du kannst den Text gerne so verwenden, ich werde aber auch weiter nach Worten suchen, um das was Baclofen für mich tut, noch besser zu beschreiben. Meine Therapeutin, die viel mit Abhängigen gearbeitet hat, ist völlig fasziniert von dem, was sie bei mir an Entwickluing sieht und meint, darüber müsse man am besten ein Buch schreiben. Gleichzeitig hat sie immer noch Berührungsängste, was Baclofen angeht, und traut der Sache nicht richtig. Einzelfall denkt sie, oder Placebo oder was auch immer.
Was mich auch noch interessiert. Was berichten denn die Baclofen-Nutzer in den französischen Foren? Berichten die auch über solche Wirkungen auf die Psyche oder geht es dort in erster Linie um die craving-Unterdrückung?

LG,Betty

Re: Nach einem Jahr ohne Alkohol

Montag 17. Juni 2013, 09:45

Liebe Betty,
 
Du hast es auf den Punkt getroffen. Genauso empfinde auch ich - bin mir nur nicht sicher, ob es mir gelungen wäre, das so präzise, kompakt und sauber zu formulieren. Habe mir Deinen Beitrag gleich raus kopiert für meine privaten Notizen.
, auch was die persönliche oder spirituelle Entwicklung angeht, alles hat sich zum Guten gewendet.

Ich war z.B. dem Verständnis der alten Zen-Frage "Wer bin ich" noch nie so nahe. Diesbezüglich übrigens auch empfehlenswert das Buch von Precht "Wer bin ich - und wenn ja wie viele".

Die Frage, was Baclofen noch so alles positiv bewirken kann, ist hoch interessant. Vieles wird natürlich schon angestoßen und erst möglich durch längere Abstinenz. Aber ich denke auch, das die Wirkung von Baclofen viel weiter reicht, als Craving und Ängste abbauen – viele, insbesondere Moonriver, haben das mittlerweile überzeugend beschrieben.

Machen wir weiter so !!!!

LG tom

Re: Nach einem Jahr ohne Alkohol

Dienstag 18. Juni 2013, 15:05

Liebe Betty,

mit deinem Beitrag hast du mir aus der Seele gesprochen. Auch ich entdecke immer mehr, das Bac mehr in mir bewirkt, ich sehe viele Dinge neu und merke, dass mir der Alkohol meine Mitte genommen hat und die Fliehkraft mich nach außen gedrängt hatte, ich war durch den Alk zur "Außenseiterin" in meinem Leben geworden und habe nicht mehr gemerkt, was wirklich wertvoll ist und was mein Leben bedeutet, auch für meine Familie. Nun merke ich, wie ich langsam zu meiner Mitte zurückfinde und ich immer Neues entdecke, dass ich nicht recht beschreiben kann. Mein neuer Zustand lässt sich nicht in Erfolgszahlen messen, es ist, wie es Moonriver so schön beschrieben hat, der Duft einer fernen Blume, der zu mir herüber weht und den ich noch nicht so recht einordnen kann. Ich merke sehr deutlich, dass Baclofen mehr kann als nur Gravingunterdrückung. Wie Tom bin ich auch der Meinung, dass ich es nicht so schön beschreiben und ausdrücken kann, als du, aber ich habe verstanden und bin gespannt, was noch alles auf mich zukommen wird.

Liebe Grüße auch an Federico, Moonriver und Tom, die mich mit ihren gefühlvollen Beiträgen immer wieder neu berühren.

Elfie
Antwort erstellen