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 Betreff des Beitrags: Olivier Ameisen – Pionier im Kampf gegen Alkoholismus
BeitragVerfasst: Sonntag 29. Januar 2012, 15:25 
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Baclofen gegen Alkoholismus: Anerkennung für Olivier Ameisen
übersetzt aus Paris Match | Samstag, 28. Januar, 2012

Es ist einer, der am Dogma der Abstinenz bei der Behandlung von Alkoholismus kratzt. Olivier Ameisen hielt seinen ersten Vortrag über Baclofen im Hospital Cochin, am Dienstag den 24. Januar.

„Die Schlacht von Baclofen ist gewonnen“, sagte Professor Bernard Granger, Psychiater an der Cochin und Gastgeber der Veranstaltung, „die Entdeckung von Olivier Ameisen erschüttert das Management der Sucht: der medizinische Fortschritt wird von einem Außenstehenden vorangetrieben“. Der Saal war brechend voll, Sucht-Spezialisten, Ärzte, ehemalige Patienten, Prominente und Journalisten drängten sich auf engem Raum.

Und in diesem Raum, nach Jean Dausset, dem Nobelpreisträger für Medizin (1980) benannt, spricht Olivier Ameisen, der noch nie zuvor von einer französischen Universität eingeladen worden ist. Was wie ein Zufall aussieht, ist für ihn emotional aufwühlend. „Ich will Ihnen sagen, das Gefühl der Anwesenheit in diesem Theater ist bestimmt von der Erinnerung an den Namen dessen, der als erster meine Arbeit mit Baclofen unterstützt hat. Ich hoffe, dass es zu seinen Ehren beiträgt und ich begrüße die Anwesenheit von Iréne Dausset, seiner Tochter.“ Jean Dausset ist 2009 verstorben.

Die Vergangenheit von Olivier Ameisen, seine persönliche Reise verfolgt ein aufmerksames Publikum. Der Arzt und Musiker, der unter lähmender Schüchternheit gelitten hat und vor Publikum weder sprechen noch spielen konnte. Eine tiefsitzende Angst und Lähmung ließ ihn immer wieder fliehen, er entdeckte die Wirkung der ersten Glas Whisky im Alter von 30 Jahren die ihm erlaubten sich endlich selbstsicher zu fühlen, bis dann der Abstieg in die Hölle des Alkoholismus begann. Er erzählt von seinen vielen Versuchen die Abhängigkeit zu beenden. Erzählt von Abstinenz, Motivations-Therapie, Verhaltenstherapie und immer wieder von Angstattacken, gefolgt von Alkoholexzessen. Bis zu zwei Sitzungen pro Tag bei AA (Anonyme Alkoholiker) über sieben Jahre, alles blieb erfolglos.

Schließlich die Entdeckung der Wirkung von Baclofen auf die Sucht. Dank einer Studie an kokainabhängigen Ratten denen in hohen Dosen Baclofen per Pumpe gegeben wurde. Sie lieferten den ersten Hinweis, sie alle wurden gleichgültig gegenüber dem weißen Pulver. Aufgrund verschiedener medizinischer Publikationen über Baclofen, ermutigten ihn Freunde und Kollegen, amerikanische Neurologen zu seinem Selbstversuch und er verabreichte sich hohe Dosen bis zu seiner Heilung. Dies geschah vor über 8 Jahren und hält bis heute an.

"Wenn man von Baclofen geheilt wird, ist es als wäre man nie krank gewesen“

Andere Geschichten von „Remission“ werden von Patienten vorgetragen: „In zwei Wochen, nach 17 Jahren der Sucht", „Wenn Sie geheilt werden, werden sie ein neuer Mensch“, „Danke für meine Lebensrettung, „Ein großes Dankeschön für meinen Bruder, er ist geheilt“, etc. ... „Geschichten wie diese gibt es viele, sie handeln von Transformationen, das ganze Leben hat sich verändert“, sagte Professor Granger. Er gesteht zuerst sehr vorsichtig gewesen zu sein, bevor er selbst die Behandlung begonnen hat. Die off-label Beschränkung veranlasste ihn dazu, sehr sorgfältig alle Fälle zu dokumentieren, besonders die Nebenwirkungen habe er sorgfältig beoabachtet und er war erleichtert nur wenige feststellen zu können.

Die Entdeckung von Olivier Ameisen, weit vor allen anderen amerikanischen Wissenschaftlern, er wollte nicht warten, bis Ergebnisse von Tests vorliegen würden, die zur offiziellen Verschreibung notwendig sind. Dr. Rudolf Stohler, Leiter der Abteilung für Psychiatrie und Sucht der Universität Zürich bestätigt „wunderbare Ergebnisse“ über den Zeitraum eines Jahres. In Frankreich nahm von diesen Ergebnissen keine Notiz, man war der Ansicht „es sei das Werk eines Exzentrikers.“ Das positive Feedback, das jetzt in Frankreich zu hören ist, kommt von der Basis. Die zunehmende Zahl der geheilten Patienten organisiert sich in Gruppen und sie kommunizieren über das Internet, zusammen mit Allgemeinmedizinern und Psychologen, die Baclofen off-label verordnen.

Diese medizinische Entdeckung ist unbequem

Woher kommt die Abneigung gegen Baclofen? Ist es die Annahme von Ameisen, dass Alkoholismus eine biologische Krankheit ist, das „Symptom“ aus einem Mangel an einem Hormon im Gehirn entsteht und Baclofen in der Lage ist diesen Mangel zu kompensieren? Eine Hypothese, die das Verständnis für die Krankheit des Alkoholismus und die Veränderungen bei den Patienten destabilisieren die Fundamente der Suchtbehandlung und der Psychiatrie. „ist die bevorstehende Zulassung eines neuen Medikaments der Grund – er nennt Nalmefen – wegen Ineffizienz und einem Risiko von Bauchspeicheldrüsenkrebs im Jahr 1991 von der FDA abgelehnt?“, fragt Ameisen. „Vielleicht ist der Grund in den Kosten für Baclofen zu finden, das als Generika unschlagbar kostengünstig ist?“, fragt Ameisen weiter, Nalmefen wird ein vielfaches kosten und so gut wie unwirksam sein, wie allgemein prognostiziert wird.

Die Legitimität der randomisierten Studie, die kommen soll in diesem Jahr sollte wird angezweifelt und das Zulassungsprotokoll wird behindert. Olivier Ameisen und Professor Granger stellen die Frage: „warum bedenkt man nicht, dass Menschen sterben wenn ein wirksameres Medikament nicht für alle Patiente zugänglich gemacht wird und schließlich, „wir haben noch nie ein revolutionäres Medikament mit einer double-blind-Studie in der Psychiatrie entdeckt.“

Oder ist es Ist es die Originalität der Figur, die alles durcheinander bringt? Der erste Arzt, der seinen Alkoholismus sein Eingeständnis öffentlich macht? Was sind die wahren Interessen der Afssaps (Agentur für Medikamentensicherheit in Frankreich) und was verstört die Suchtforscher so daran? Der Bucherfolg, die Bewunderung, die darauf gefolgt ist – sie ist gerade dabei, den Verlauf einer Krankheit zu verändern? Das Abenteuer Baclofène fängt gerade erst an.

Vanessa Boy-Landry - Parismatch.com

Anmerkung des Übersetzers: es gab in den letzten Tagen eine Fülle von Artikeln über diese Veranstaltung im ehrwürdigen Cochin. Sie waren durch die Bank unterschiedlich aber alle in einem respektvollen Tenor abgefasst. Kein Artikel befasste sich aber derart mit pikanten Details wie es die Verfasserin des vorliegenden Artikels für richtig hielt. Dies war der ausschlaggebende Grund, diesen Artikel für die Übersetzung auszuwählen.

LG Federico

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„Es gibt keine Alternative zum Optimismus,
Pessimismus ist Lebensfeigheit.“
Richard David Precht


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 Betreff des Beitrags: Re: Olivier Ameisen – Pionier im Kampf gegen Alkoholismus
BeitragVerfasst: Montag 30. Januar 2012, 12:42 
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Nur noch mal zur Erinnerung und für all diejenigen, die diese (bisher einzige) Sendung im Deutschen Fernsehen verpasst haben.

2009 Teil 1:



2009 Teil 2:


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 Betreff des Beitrags: Re: Olivier Ameisen – Pionier im Kampf gegen Alkoholismus
BeitragVerfasst: Sonntag 19. Februar 2012, 18:46 
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Das nachfolgende Interview von Dr. Pia Heinemann in Weltonline vom 19.02.2010 ist immer noch aktuell. In bisher einzigartiger Weise ist es der Redakteurin des Wissenschaftsressorts „DER WELT“ gelungen, Olivier Ameisen die entscheidenden Frage zu stellen. Die diplomierte Biologin ist Preisträgerin des Publizistik-Preises 2011 der Stiftung Gesundheit.

WELT ONLINE: Professor Ameisen, vor zwei Jahren hat die New York State-Universität ihnen einen Professoren-Titel verliehen, weil Sie eine Therapie gegen die Sucht gefunden haben. In Ihrem Buch „Das Ende meiner Sucht“ beschreiben Sie sehr offen die körperlichen und seelischen Abgründe, in die Sie der Alkohol getrieben hat. Mussten Sie so drastisch werden?

Ameisen: Sie fanden das drastisch? Nun, es ist einfach die Realität gewesen. Ich war so gefangen in meiner Sucht, dass ich meiner Universität und dem Klinikum die Niederlegung meiner Ämter angeboten habe. Allerdings haben das Medical College der Cornell Universität, an dem ich Medizinprofessor war und das New York Hospital, wo ich als Herzspezialist arbeitete mein Gesuch abgelehnt. Sie wollten mich behalten und waren sehr stolz, als ich von Präsident Chirac zum „Ritter der Ehrenlegion“ ernannt wurde. Ich empfand es aber damals, wohl als Folge des geringen Selbstwertgefühles, das die Sucht mit sich bringt, als unverdient. Ich entschied mich, keine Patienten mehr zu behandeln, bis meine Krankheit vorbei war. Ich habe meine Familie und meine Freunde immer wieder vor den Kopf gestoßen und enttäuscht. Ich habe mich durch unzählige Entzugstherapien und Sitzungen bei den Anonymen Alkoholikern geschleppt. Ich hatte immer wieder Hoffnung – und habe die Sucht dennoch nicht besiegen können. Genau das habe ich im Buch beschrieben.

WELT ONLINE: Genauso offen wie ihre Abstürze beschreiben Sie auch, wie Sie sich selbt mit mit dem Wirkstoff Baclofen geheilt haben.

Ameisen: Stimmt. Seit 2004 nehme ich täglich maximal 120 Milligramm Baclofen. Ich hatte zunächst mit einer hohen Dosis begonnen und sie dann langsam gesenkt. Fünf Wochen später war ich geheilt, das ist nun sechs Jahre her. Die Beschreibung meines Falles wird heute in der Fachliteratur als die erste Heilung einer Sucht bezeichnet. Ich habe eine Reihe von Vorträgen an der Harvard Medical School, der Columbia University, New York University und anderen berühmten Universitäten gehalten. Einige Ärzte haben nach meinen Vorträgen angefangen, ihren Patienten ebenfalls Baclofen zu verschreiben. Sie berichten, dass geradezu hoffnungslose Fälle geheilt wurden. Seit sechs Jahren kann ich ohne Probleme ein Glas Alkohol vor mir stehen sehen – ohne von der Sucht übermannt zu werden. Das „craving“, also das unbändige Verlangen nach dem Stoff, ist weg. Und, besser noch: Auch wenn ich ein oder zwei Gläster trinke, entwickele ich nicht das geringste Verlangen. Das war undenkbar zu der Zeit, als ich noch Alkoholiker war. Und es ist auch für abstinente Alkoholiker undenkbar. Ich bin also nicht abstinent, sondern Alkohol ist mir heute, dank Baclofen völlig gleichgültig.

WELT ONLINE: Dieser Stoff wird gerne als eine „Wunderdroge“ beschrieben...

Ameisen: Aber das ist es nicht. Es gibt keine Wunderdrogen in der Medizin: weder Penicillin noch Baclofen sind das. Sie vollbringen nur das Wunder, Patienten zu heilen.

WELT ONLINE: Allerdings ist Baclofen nicht gegen die Sucht zugelassen.

Ameisen: Baclofen ist als Standardmittel bei bestimmten neurologischen Erkrankungen, bei Krämpfen, zugelassen. Nicht als Mittel gegen die Sucht. Aber jeder Arzt kann, wenn er das Einverständnis der Patienten hat, eine Arznei auch gegen Krankheiten einsetzen, für die es nicht zugelassen ist. In den USA werden 25 Prozent aller Arzneien „off label“ verschrieben, in der Psychiatrie sind es sogar 60 Prozent. Der Arzt soll verschreiben, was seiner begründeten Meinung nach seinem Patienten hilft. Und ich bekomme jeden Tag viele Emails von Suchtkranken, die geheilt wurde. Über 500 Patienten in den USA und Europa wurde mittlerweile von Spezialisten als „geheilt“ bezeichnet. Die Patienten wollen das Mittel ausprobieren!

WELT ONLINE: Aber Ärzte verschreiben meistens nur die Wirkstoffe, von denen gute Studien belegen, dass sie auch wirklich helfen. Und bei denen keine Nebenwirkungen auftreten. So will es der Ethos der Mediziner.

Ameisen: Mitnichten! Aspirin etwa wurde niemals gegen Kopfschmerzen oder Schmerzen allgemein getestet. Trotzdem nimmt es jeder. Und im Gegensatz zu Baclofen sind von Aspirin Nebenwirkungen wie Blutungen im Gehirn oder im Magen-Darmtrakt bekannt. Alkoholismus und seine Folgen töten allein in Deutschland jeden Tag etwa 200 Menschen. Und bei einer derart tödlichen Krankheit müssen wir Ärzte eine ethische Entscheidung treffen: sollen wir die Patienten weiter leiden und sterben lassen? Oder sollen wir ihnen ein Medikament geben, von dem wir dadurch, dass es ein altes Medikament ist, sogar wissen, dass es sicher ist.

WELT ONLINE: Aber Sie könnten ein Einzelfall sein. Man hört ja immer wieder von diesen Fällen, in denen ein Patient, egal ob sucht-, herz- oder krebskrank, durch einen Selbstversuch geheilt wurde. Diese Selbstversuche sind sehr gefährlich, weil niemand weiß, ob der Patient wirklich durch den Wirkstoff, durch einen Placebo-Effekt oder durch irgendetwas ganz anderes geheilt wurde.

Ameisen: Diese Frage konnte man sich stellen, solange ich der einzige Patient war, der geheilt wurde. Aber heute sind bereits viele Alkoholiker geheilt worden. Alle anderen Therapien haben ihnen nicht geholfen, nur Baclofen. Wenn also Baclofen durch einen Placebo-Effekt heilen sollte – nun, dann würde ich gerne ein Placebo verschreiben.

WELT ONLINE: Warum verschreiben Ärzte Baclofen dann nicht standardmäßig?

Ameisen: Nun, die Ärzte in Frankreich, Großbritannien und den USA, die Baclofen verschreiben, sehen, dass ihre Patienten geheilt werden. In Frankreich habe ich aber die interessante Erfahrung gemacht, dass die Ärzte, die sich dagegen wehren, das Medikament zu verschreiben, meistens Sucht- und Alkoholismus-Spezialisten sind. Die Medien attackieren sie mittlerweile wegen unethischen Verhaltens. Sie werfen ihnen vor, sie wollten nur ihre Patienten nicht verlieren. Ich habe fünf Jahre lang dafür geworben, klinische Studien durchzuführen. Aber nichts ist passiert.

WELT ONLINE: Warum?

Ameisen: Weil Baclofen die Patienten heilt!

WELT ONLINE: Klinische Studien sind bei einem Mittel, für das die Patente abgelaufen sind, sehr schwierig durchzusetzen – kein Pharmaunternehmen hat ein Interesse daran, Geld in die Studie zu stecken.

Ameisen: Das stimmt. Und den Pharmaunternehmen kann man da nicht einmal einen Vorwurf machen. Warum sollten sie Millionen Euro in Wirkstoffstudien stecken, bei denen kein patentiertes Medikament herauskommen wird, und sie sich somit auch keinen Gewinn versprechen können? Schon seit meinem ersten Aufsatz im Jahr 2004 fordere ich eine große unabhängige Studie, die an einer Universität oder Klinik durchgeführt wird. In diesem Aufsatz hatte ich meinen Selbstversuch mit Baclofen beschrieben. Doch in den folgenden vier Jahren tat sich so gut wie nichts: nur zwölf Alkoholpatienten weltweit wurden mit Baclofen behandelt. Seitdem mein Buch aber herausgekommen ist und sich nicht mehr nur das medizinische Fachpublikum mit dem Stoff beschäftigen konnte, sind viele kleine Studien angelaufen.

WELT ONLINE: Auch an der Berliner Charité gibt es erste Vorbereitungen zu einer Studie.

Ameisen: Ja. Allerdings ist man in Deutschland bisher sehr zurückhaltend mit der Dosierung. Wissen Sie, in den vergangenen 20 Jahren haben viele Studien gezeigt, dass eine Dosierung von 30 bis 60 Milligramm garnichts bringt. Dennoch werden Studien mit 30 Milligramm Baclofen durchgeführt. Aber das ist viel zu wenig. Ich selbst habe bis zu 270 Milligramm pro Tag eingenommen. Und in anderen Ländern werden Patienten sogar mit bis zu 400 Milligramm behandelt. Im französischen Villejuif habe ich mit Renaud de Beurepaire, dem Chef der Psychiatrie und Psychopharmakologie 150 Patienten behandelt. Es hat sich herausgestellt, dass durchschnittlich 150 Milligramm nötig sind.

WELT ONLINE: Allerdings ist man in Deutschland, dem Mutterland des Contergan-Skandals, auch zu Recht zurückhaltend wenn es darum geht, Wirkstoffe in beliebig hoher Dosis einzusetzen. So sieht sich die zuständige Behörde gezwungen, falschen Medienberichten nachzugehen, demnach bereits Studien laufen würden. Studien, für die es gar keine Zulassung gibt. Und das nur, weil Suchtforscher die Durchführung einer Studie beantragt haben. Und nun durch den Wirbel, den ihr Buch auch in Deutschland verursacht hat, massiv unter Druck geraten, was die Aussichten auf Genehmigung einer Studie möglicherweise nicht eben verbessert. Ist Ihre Strategie, sehr laut an die Öffentlichkeit zu gehen, wirklich die richtige?

Ameisen: Ja, ganz offensichtlich. Andreas Heinz von der Charité hat in der Günter Jauch-Show gesagt, dass er, bevor er mein Buch gelesen hat, nichts davon wusste, dass Baclofen in hohen Dosen so wirksam ist. Er wurde erst darauf aufmerksam, als er Anrufe von Patienten und ihren Angehörigen erhielt, die mein Buch gelesen hatten. Und das Buch ist in Deutschland fünf Jahre nach meinem ersten Fachartikel erschienen und ein Jahr nachdem die Zeitschrift „Alcohol and Alcoholism“ meine Behandlungsmethode offiziell befürwortet hat.

WELT ONLINE: Ist es jetzt schon zu spät für klinische Studien?

Ameisen: Nun, es ist natürlich schön, wenn Suchtexperten endlich ihren Job machen. Aber Jerome Posner, einer der angesehensten Neurologen der Welt, hat mir geschrieben, dass hochdosiertes Baclofen vielleicht die Therapie der Wahl werden wird, ohne jemals eine kontrollierte Studie durchlaufen zu haben. Einfach nur durch Mundpropaganda. Selbst wenn Experten Baclofen ignorieren, sollte das die Patienten nicht daran hindern, diese möglicherweise lebensrettende Therapie zu bekommen. Und Baclofen ist etwas ganz anderes als Contergan: Contergan war nämlich ein geprüfter, patentierter aber neuer Wirkstoff. Baclofen wird schon lange in hoher Dosierung eingesetzt – und seit einem halben Jahrhundert wurden keine gefährliche Nebenwirkungen bekannt.

WELT ONLINE: Sie beschreiben sich in ihrer Zeit als Alkoholiker als körperliches und seelisches Wrack. Und sie hatten schlimme Angstzustände.

Ameisen: Ja. Abhängige haben häufig Ängste und auch Depressionen. Das ist ein Grund, warum viele Patienten zum Alkohol greifen – sie fühlen sich dann besser. Baclofen unterdrückt die Ängste. Man fühlt sich wesentlich besser und hat mehr Selbstvertrauen. Deshalb wirkt es ja auch so gut. Und Baclofen macht nicht abhängig.

WELT ONLINE: Hilft Baclofen also auch bei anderen Abhängigkeiten?

Ameisen: In Frankreich wird Baclofen auch gegen Nikotinsucht und Bulimie eingesetzt. Und die Ärzte können es kaum glauben: Es wirkt. Die Leute hören auf zu trinken, zu rauchen usw.…ohne jede Anstrengung. Deutsche Ärzte werden dem folgen – die Dinge bewegen sich schnell. Auch wenn Baclofen nur einer Teilgruppe der Süchigen helfen würde, dann wären das auch sehr viele Leute. Die einzigen Patienten, bei denen es nicht wirkt, sind die, denen es nicht verschrieben wird. (In Frankreich sagen die Spezialisten bereits, die Zeitungsberichte drängten sie aus ihrem Feld heraus. Denn Allgemeinärzte hören den Patienten offenbar besser zu. Sie haben Mitgefühl – und Mut: denn sie verschreiben Baclofen, die Lösung. Alkoholismus und Süchte entwickeln sich zu einer Krankheit, die die Patienten mit ihren Hausärzten besprechen sollten – so, wie sie es für Bluthochdruck oder Grippe tun. Man braucht keinen Spezialisten mehr für solche Probleme.

Ergänzend zum Interview bleibt noch festzustellen: Andreas Heinz führt aktuell seit 2011 an der Charité Berlin eine Studie mit 175mg durch, 2012 beginnt Prof. Reinout Wiers in Amsterdam eine Studie mit 150mg und Prof. Philippe Jaury bereitet in Paris an der Université Descartes eine Phase IV-Studie mit 300 Patienten und bis zu 300mg vor die im Frühjahr 2012 starten wird. Derzeit wird diese Studie von der französischen Komission für Arzneimittelsicherheit mit fadenscheinigen Argumenten behindert. Es geht um die Freigabe von Forschungsgeldern in Höhe von 750.000 EURO. Gerüchte über Interessenskonflikte und Nalmefene (Lundbeck) machen die Runde. Inzwischen scheint sich die Annahme von Jerome Posner zu bewahrheiten, Baclofen wird zunehmend von Hausärzten verschrieben, siehe Interview.

Federico

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