Zitat:
21. Tübinger Suchttherapietage 2016, Mittwoch 06.04.2016
Dozentin Dr. Cornelia Weigel:
Medikamentengestützte Behandlung der Alkoholerkrankung mit Baclofen – State of the Art
Seit März 2014 hat Baclofen in Frankreich eine befristete Zulassung zur Abstinenzerhaltung sowie auch zur Trinkmengenreduktion in der Behandlung der Alkoholstörung erhalten, auch wenn die Auflagen die Verschreibung erschweren; die Behandlungskosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen getragen. Die Ergebnisse der beiden großen französischen Studien sind nun für das Frühjahr 2016 angekündigt, es wird die Zulassung des Präparates Xylka® in Aussicht gestellt.
Trotz einer positiven Studie aus der Berliner Charité (BACLAD) bleibt die Verschreibungspraxis in Deutschland nach wie vor zögerlich. Die wissenschaftliche Evidenz für Baclofen in der Behandlung der Alkoholerkrankung ist hinreichend, um einen individuellen Heilversuch, derzeit noch im off-label-use, zu rechtfertigen. Die Bedeutung des GABA-B-Rezeptors bzw. des GABA-ergen Systems im Kontext der Suchterkrankung wird derzeit noch nicht hinreichend gewürdigt. Baclofen, ein GABA-B-Rezeptor-Agonist, weist eine craving-reduzierende Wirkung auf und wirkt sich zudem positiv auf Angst und Depression aus, häufige komorbide Faktoren.
Der Begriff des Craving (Suchtdruck) ist zwar schwer qualifzierbar, die Reduktion bleibt für einen Therapieerfolg mit nachhaltiger Abstinenz bzw. Konsumreduktion im Sinne eines sozial- und gesundheitsverträglichen Konsums unabdingbar, was sich durch unsere interdisziplinäre Arbeit im SHZ Gießen seit mehr als 4 Jahren bestätigt. Das therapeutische Angebot kann erst dann sinnvoll und effektiv genutzt werden. Auch die aktualisierten Ergebnisse des eigenen Untersuchungsgutes korrespondieren weitgehend mit denen der französischen KollegInnen.
Grundvoraussetzung zum Gelingen der Therapie bleibt der Wille des Patienten zur Veränderung seiner Trinkgewohnheiten. An Hand von Fallbeispielen werden Einleitung der Therapie, Wichtigkeit der individuellen Dosierung, Umgang mit UAW und anderen limitierenden Faktoren erläutert.
Ein anderer Dozent erwähnt ebenfalls Baclofen in seinem Abstract und richtet einen
Appell an Forschung und Wissenschaft.
Zitat:
21. Tübinger Suchttherapietage 2016, Donnerstag 7.04 .2016
Dozent Dr. Albrecht Ulmer:
Innovative Alkoholabhängigkeitsbehandlung in der Praxis
2015 sind S3-Leitlinien zu Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen erschienen. Diese Leitlinien bleiben weit hinter dem zurück, was wir in spezialisierter Praxis längst sehen.
Ja, sie ignorieren trotz ihrer aufwendigen Wissenschaftlichkeit geradezu wichtige praxisrelevante Aspekte, zum Schaden der Patienten. Vor allem sehen sie praktisch gar nicht den Aspekt der lebenslangen Chronizität, die auch eine entsprechende, kontinuierliche Behandlung erfordert. Seitenlang wird über die Postakutbehandlung geschrieben, aber über die Dauerbehandlung, wie bei anderen chronischen Krankheiten, praktisch gar nicht. In der Praxis hat diese Blindheit auch eine zentrale Mitschuld an den insgesamt noch erheblich unbefriedigenden Behandlungsergebnissen.
Dass wir mit dem strukturierten Einsatz sinnvoller Medikamente Verlauf und Prognose deutlich verbessern können, wird kaum gesehen, Baclofen in der mittel- bis langfristigen Behandlung überhaupt nicht erwähnt, obwohl es in dieser Indikation in Frankreich schon zugelassen ist und auch in Deutschland längst viel diskutiert wird.
Auf agonistische Ansätze wird überhaupt nicht eingegangen. Mit alledem und einem pragmatischen, partnerschaftlichen Ansatz können wir Alkoholabhängigen viel, viel besser helfen. Forschungs- und Leitlinienarbeit muss ihren Bezug zur Praxis verbessern.
Das Hauptprogramm hier als PDF:
Dateianhang:
Hauptprogramm TST 2016.pdf [1.38 MiB]
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LG Federico