
Bernard Granger, Professor an der Universität René Descartes (Paris) und Direktor der Psychiatrie an der Klinik Tarnier:
Baclofen und Interessenkonflikte
Die Verwendung von Baclofen in hohen Dosen bei der Behandlung von Alkoholabhängigkeit wurde am 24. April von der National Security Agency of Medicines and Health Products (msna) erlaubt.
Diese vielversprechende therapeutische Hoffnung gibt es nunmehr seit mehr als acht Jahren und sollte für Freude unter den Alkoholspezialisten und Suchtfachleuten sorgen, deren Aufgabe es ist alkoholabhängige Patienten zu behandeln. Eigentlich hätten sie sofort nach wissenschaftlichen Studien rufen müssen, um zu überprüfen, ob die durch Professor Olivier Ameisen geweckte Hoffnung berechtigt ist. Schließlich ist Alkohol ein soziales Übel und eine ernste Krankheit die potenziell tödlich ist.
Es sollte anders kommen, diese Spezialisten haben keine Studie durchgeführt und nicht danach gerufen. Im Gegenteil, sie haben lautstark gegen Baclofen protestiert und eine Anti-Baclofen-Front in Stellung gebracht.. Wir können zwei Erklärungen für dieses Verhalten finden: Widerstand gegen Veränderungen und widerstreitende Interessen.
Wenn eine große therapeutische Evolution bekannt wird, wird sie von Unglauben und Widerstand der Fachwelt und der Öffentlichkeit abgelehnt, da sie die etablierte Praxis in Frage stellen und ein Umdenken erfordern würde. Der relativ neue Fall des Magengeschwürs ist ein Beispiel dafür.
Im Jahr 1983 wiesen Marshall und Warren, zwei australische Forscher, mit einer Reihe von Belegen nach, dass diese Krankheit durch Bakterien verursacht würde. Weltweit wurde jedoch gelehrt, dass es durch zu viel Magensäure verursacht wurde. Die Fachwelt erklärte die beiden für verrückt, Warren und Marshall wurden 2005 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.
Marshall musste sich im Jahr 1985 allerdings erst selbst mit diesem Bakterium kontaminieren um die Skeptiker zu überzeugen. Heute wird diese Entdeckung von niemandem mehr angezweifelt. Es dauert immer mehrere Jahre für derartige Veränderungen, sie sind in der medizinischen Gemeinschaft obligatorisch.
Betrachten wir die Rolle von Interessenkonflikten: Baclofen ist erstmal ein starker Konkurrent und ohne jeden finanziellen Anreiz.Drogen die das Verlangen nach Alkohol reduzieren, gibt es bereits und werden als Acamprosat und Naltrexon vermarktet oder in Betracht gezogen, wie z. B. Nalmefen (eine Art Naltrexon), der Wirkungsgrad liegt nahe an dem eines Kauters oder einem Holzbein.
Diese Klasse von Medikamenten ist für die pharmazeutische Industrie ein wichtiger Markt, Alkoholabhängigkeit ist schließlich keine seltene Erkrankung. Das Medikament Baclofen ist dagegen ein altes, preiswertes Medikament und ohne Patentschutz. Es wird nicht in allen Fällen funktionieren aber es ist schwer zu leugnen, es ist effektiver und wirksamer als andere verfügbare Moleküle. Es kann sogar manchmal dazu führen, dass Patienten gleichgültig gegenüber Alkohol werden.
Eine offene Studie mit 181 Patienten zeigte eine Erfolgsrate (Abstinenz oder geringer Konsum) von 58% in einem Jahr, wenn man den üblichen Verlust an Probanden als Versager deklariert. Baclofen ist ein bedrohlicher Konkurrent im Markt und es ist ohne finanzielle Unterstützung.
Es ist deshalb nicht verwunderlich wenn viele Gegner von Baclofen auf der Seite derer, mit direkten finanziellen Verbindungen zu finden sind. Oder auf der Seite von Organisationen, die mithelfen die Produkte zu vermarkten, zum Wohle der Unternehmen, die sich in einem lukrativen Markt bewegen.
Diese Verbindungen werden so gut wie nie von den Begünstigten erwähnt oder in den Medien, in denen sie veröffentlichen, bekannt gemacht. Man sollte eigentlich annehmen, dass solche Interessenkonflikte öffentlich gemacht werden, auch in Nicht-Fachmedien, die für eine umfassende und objektive Information sorgen sollten.
Die Ausweitung der Nutzung von Baclofen ist auch eine Bedrohung für die Existenz oder den Umfang bestimmter spezialisierter Strukturen in der Alkoholismusbehandlung. Sollten wir etwa durch Behinderungen von Vertretern dieser Verbände und Organisationen in Bezug auf Baclofen überrascht sein?
Nehmen wir das Beispiel der National Association of Prevention von Alkoholismus und Sucht (ANPAA). Die 1872 gegründete Organisation der Nächstenliebe wird seit 1880 anerkannt. Sie arbeitet im gesamten Staatsgebiet mit 89 Abteilungen und Ausschüssen. 19 regionale Ausschüsse werden von einer nationalen Zentrale koordiniert. 1400 Freiwillige und Fachleute sind ein wirksames Instrument im Kampf gegen den Alkoholismus. Aber von Anfang an bekämpften die ANPAA und ihre Führer sehr lautstark die Verwendung von Baclofen. Sie sind sogar wie es scheint, gegen die Erlaubnis mit Rezept!
Als die Afssaps seine Empfehlung zu Baclofen Ende April aktualisierte, hat die ANPAA einen Ausschnitt auf ihrer Website hierzu veröffentlicht: „Das Management der Alkoholabhängigkeit beinhaltet einen umfassenden Einsatz von Alkoholspezialisten".
Der Text von Afssaps sagt jedoch ausdrücklich, dass: „das Management der Alkoholabhängigkeit einen umfassenden Einsatz von
Ärzten bei der Überwachung alkoholabhängiger Patienten beinhalten sollte“.
ANPAA glaubt allein zuständig zu sein für die Behandlung von Alkoholismus, sie wollen ihre Monopolstellung nicht verlieren. Afssaps empfiehlt weiterhin, dass „die Verschreibung von Ärzten und einem geschulten Management durchgeführt werden sollen, die an an der Behandlung der Alkoholabhängigkeit beteiligt sind. Unabhängig davon ob es Psychiater, Suchtspezialisten, Alkoholspezialisten oder Allgemeinärzte sind – idealerweise erscheint ein multidisziplinärer Weg sinnvoll zu sein.“
In einem Interview mit France Info am 25. April 2012, erkennt der Präsident der ANPAA die Verschreibung von Baclofen nicht an. Er äußert sich wissenschaftlich ungenau und abwertend über dieses Medikament, das er selbst nie verwendet hat und er kennt ganz offensichtlich auch nicht seine Wirkungsweise.
Professor Reynaud, Psychiater und Sucht-Spezialist am Krankenhaus Paul Brousse (Villejuif), erklärte am 26. April 2012 im Sender TF1, dass die Verschreibung von Baclofen und Betreuung durch Hausärzte in einfachen Fällen ausreichend ist. In komplexen Fällen von Sucht, ist der Einsatz von spezialisierten Zentren erforderlich. Wir wissen natürlich dass Sucht, vor allem wenn sie nicht behandelt wird, psychiatrische Störungen generiert, die in der Folge einer besonderen Behandlung bedürfen.
Wenn es der ANPAA so wichtig ist darauf zu verweisen, dass die Behandlung des Alkoholismus nicht auf die Verschreibung von Baclofen beschränkt werden darf, fragen wir uns warum es nicht in ihrem Interesse ist, nach der jeweils effizientesten Methode zu verfahren, die den jeweiligen Patienten hilft. Es ist im Sinne der Patienten zu hoffen, dass diese Reflexe der „Geschäftsinhaber“, und einiger ihrer spezialisierten Organisationen nicht weiter vom Kampf gegen den Alkoholismus ablenken werden.
Interessenkonflikte jeglicher Art, dürfen die Transparenz der Informationen und der wissenschaftlichen Debatten nicht länger behindern. Baclofen verdient ohne Zweifel diese Fairness in der Diskussion.
Im Original
hier nachzulesen.Kommentar des Übersetzers: der „Semmelweisreflex“ ist überall und Interessenskonflikte gibt es natürlich auch bei uns. Im Gegensatz zu Frankreich scheinen die Interessen der öffentlichen Medien nach wie vor von anderen Interessen bestimmt zu sein. Wie lange will man der „Deutschen Öffentlichkeit“ eigentlich noch diesen Ansatz zur Bekämpfung von Alkoholismus verschweigen?
LG Federico