Baclofen – ein geeignetes Anti-Craving-Mittel? So lautete das Thema einer Veranstaltung, zu der uns Dr. Bernd Hündersen, Geschäftsführer des SHZ am 22.3.2011 nach Gießen eingeladen hatte. Das SHZ Gießen trägt im Untertitel den Zusatz „innovative Suchtarbeit“ – und das mit Recht. Das SHZ war maßgeblich an der Einführung der Methadongestützten Substitutionsbehandlung beteiligt, die heute flächendeckend in ganz Deutschland etabliert und mittlerweile uneingeschränkt anerkannt ist.
Zur innovativen Suchtarbeit passt Baclofen als neuer Ansatz in der Behandlung des Alkoholismus, meint Bernd Hündersen und überrascht uns mit der Mitteilung: der erste Antrag bei der DRV (mit Baclofen) zu einer ambulanten Reha wurde erstaunlich rasch genehmigt.
Wir wurden sehr freundlich begrüßt und den anwesenden Ärzten, Psychotherapeuten und Sozialpädagogen als Referenten vorgestellt. Jivaro begann mit ihrem Referat über den Stand der Suchtforschung in Deutschland und endete mit Ausblicken auf zukünftige Möglichkeiten durch die Entdeckung neuer Proteinbausteine innerhalb der GABA(B)- Rezeptoren. Im Mittelteil überzeugte Jivaro besonders durch eine ausführliche Darstellung des GABA(B) und der spezifischen Rolle von Baclofen als Agonist.
Im Anschluss referierte ich als „autobiografisches Fallbeispiel“ meine eigene Remission mit Hilfe von Baclofen und erläuterte meine Erfahrungen aus meiner Arbeit als Suchtberater und begleitender Coach. Im Rahmen dieser Tätigkeit stellte ich ein ungewöhnliches Fallbeispiel eines erfolgreich verlaufenen Coachings vor. Aufgrund ungewöhnlicher Umstände konnte es ausschließlich via Skype-Videophonie über 4 Monate hinweg durchgeführt werden, da der Klient einer anspruchsvollen multinationalen Beratertätigkeit, im außereuropäischen Ausland nachging.
Danach wurden die Zuhörer aufgefordert ihre Fragen zu stellen.
Wir empfanden es als äußerst angenehm, dass die sattsam bekannten Fragen nach der Abstinenzforderung, Suchtverlagerung zu Baclofen usw. nicht gestellt wurden. Mit Erstaunen nahmen wir zur Kenntnis, dass über die kontraproduktive Wirkung von SHG´s mit 12-Schritte-Programmen und Abstinenzdogma völllige Übereinstimmung bestand. Wunder gibt es allerdings immer wieder.
Hier also das Gedächtnisprotokoll zweier gestresster Referenten. In Ermangelung eines Protokollführers kann es deshalb – auch wegen einer zeitweisen, stressinduzierten Amnesie – nicht vollständig sein, wir bitten um euer Verständnis hierfür. Vielleicht erklärt sich auch jemand für demnächst geplante, ähnliche Veranstaltungen dazu bereit, die Protokollführung zu übernehmen.
Frage: Kann akut auftretendes Craving durch Einmalgabe Baclofen dezimiert werden?
Antwort: Ja, vorausgesetzt der Patient ist bereits auf Baclofen eingestellt. In diesem Fall kann ein plötzlich auftretendes Craving durch eine Notfallration, die wir auch empfehlen immer mitzuführen, innerhalb von ca. 30 bis 50 Minuten unterbrochen werden.
Frage: gibt es Erfahrungen in der Behandlung von Patienten mit polytoxischem Verhalten?
Antwort: ja, es gibt einige Erfahrungen, auch aus dem Forum. Wenn sie möchten, kann ich Ihnen Kontakte zu Kollegen vermitteln, die über Erfahrungen mit Baclofen und anderen Drogen (auch illegale) verfügen.
Frage: In der Substitutionsbehandlung stellt sich der Alkohol in einigen Fällen als zusätzliches oder neues Problem dar. Kann Baclofen hier zu einer Lösung beitragen.
Antwort: eindeutig ja, uns liegen Berichte und Fallbeispiele mit guten Erfolgen aus Frankreich und Deutschland vor. Wir senden Ihnen die entsprechenden Informationen gerne zu.
Frage: Wie lange ist die durchschnittliche Therapiedauer und muss Baclofen wirklich dauerhaft eingenommen werden?
Antwort: Darüber gibt es bislang keine gesicherten Daten. Olivier Ameisen sagt dazu: „sehr wahrscheinlich ja, da es sich um eine biologische Erkrankung handelt, eine chronische Erkrankung, ähnlich wie bei Hypertonus oder Diabetes.“ Dies mit Rückblick auf 7 Jahre seiner eigenen Erfahrung und fast 6 Jahren mit hunderten von Patienten, deren Therapie er überwacht hat.
Frage: Ist eine diagnostizierte Angsterkrankung (generalisierte Angst) die Voraussetzung für eine erfolgreiche Baclofentherapie?
Antwort: im Tierversuch erfolgt unter Baclofen eine deutliche Verminderung der Frequenz bzw. des Antriebs, verschiedene Suchtmittel zu konsumieren. Andererseits ist bekannt, dass bei einer großen Zahl von alkoholkranken Patienten eine nicht diagnostizierte Angsterkrankung als Primärerkrankung vorliegt.
Frage: wie oft, in welchen Zeitabständen sollen die Blut-/Leberwerte kontrolliert werden?
Antwort: grundsätzlich empfiehlt es sich, einen Status vor Therapiebeginn zu erstellen. Je nach Status muss entschieden werden in welchen Zeitabständen weitere Kontrollen erforderlich sind, im allgemeinen ist einmal pro Quartal ausreichend.
Bemerkung des Fragestellers: vielfach wünschen abstinente Patienten eine häufigere Kontrolle über ihren Gesundheitsstatus in kürzeren Intervallen. Bei ansonsten unauffälligen Laborparametern erstelle ich hierzu ein kleines Blutbild und verfolge den Verlauf anhand des MCV.
Frage: wie erfolgt die Dosierung von Baclofen?
Antwort: In der Regel einschleichend, beginnend mit 3x5mg über jeweils 3 bis 5 Tage in Abhängigkeit etwaig auftauchender unerwünschter Wirkungen. Diese treten meist nur initial auf und verschwinden nach kurzer Zeit. Die Dosis wird dann individuell bis zum Wegfall des Cravings gesteigert. Im Forum finden Sie einen Therapieleitfaden in Form des Königswegs der zur Orientierung hilfreich sein kann.
Frage: Gibt es Erfahrungen in der Behandlung von Patienten mit Leberzirrhose. Ist Baclofen in diesem Fall ein geeignetes Medikament?
Antwort: die bislang vorliegenden Ergebnisse lassen eine erhöhte Toxizität durch Baclofen als eher unwahrscheinlich erscheinen. Unstrittig ist dagegen eine erhöhte Toxizität durch Alkohol.
Frage: Gibt es dazu eine Meinung der Leberambulanz der Universität Gießen?
Antwort: wir erwarten in Kürze eine Stellungnahme der Universität zu dieser Frage.
Frage: was passiert, wenn ein Patient aus anderen Gründen im Krankenhaus behandelt werden muss. Kann/soll Baclofen problemlos abgesetzt werden?
Antwort: wie bei allen anderen Medikamenten auch, ist es unerlässlich Angaben über Medikamente zu machen. Für etwaige Notfälle ist es empfehlenswert einen Hinweis über den Baclofengebrauch immer bei sich zu tragen, wie bei anderen relevanten Medikamente auch. Zum Absetzproblem gibt der Beipackzettel Auskunft, ein normales Ausschleichverfahren wird empfohlen.
Frage: gibt es schriftliche Informationen über bewährte Behandlungsmethoden die eine ambulante Betreuung ermöglichen? Gibt es bereits Infoflyer um ein niederschwelliges Angebot für interessierte Patienten machen zu können?
Antwort: Es gibt den sogenannten Königsweg als Leitfaden für eine ambulante Therapie mit Baclofen. Die Anregung zu einem Info-Flyer nehmen wir gerne auf und werden sehr zeitnah einen solchen erstellen.
Frage: an wen können wir uns in Gießen wenden, wenn nach unserer Ansicht, ein Patient für eine Therapie mit Baclofen in Frage kommen könnte?
Antwort: Sie können Ihren Patienten ab sofort zu einem Beratungsgespräch an das SHZ Gießen verweisen. Ihr Ansprechpartner ist Herr Dr. Bernd Hündersen.
http://www.shz-giessen.de Ende der Veranstaltung. Die Fortbildungsveranstaltung wurde von der Landesärztekammer Hessen mit 3 Punkten zertifiziert.