Mehr als 6 Monate Erfahrung mit Baclofen
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Re: Darf nun auch hier schreiben.

Montag 16. Januar 2012, 22:31

Hallo moonriver, hallo Forum,

zum Thema "Außenwelt - ihre Erwartung, ihre Bewertung gegenüber dem ehemaligen Alkoholiker" möchte ich auch noch was loswerden: Vielleicht fährt man am besten, wenn man sich keinerlel Druck machen lässt. Klar, das klingt sehr einfach gedacht, aber ist es nicht tatsächlich so einfach, wenn man sich einmal die Frage stellt, was der Außenwelt überhaupt das Recht zu solcher Erwartung/Bewertung gibt. Es ist Dein Leben, und wie Du es gestaltest, ist Deine Entscheidung. Wenn Du Dich für ein Leben mit Baclofen und ohne Alkohol entscheidest, so ist das ein souveräner Akt und niemand hat das Recht, diesen Akt zu hinterfragen oder anzuzweifeln. Und wenn er es doch tut, kann es Dir schlicht weg egal sein. Dein Leben, Deine Entscheidungen, Dein Weg: Das ist das Wichtigste, alles andere spielt eine deutlich kleinere Rolle. Und wenn es Dir so wichtig ist, wie Deine Umwelt Dich sieht und wie sie Dich spiegelt: Sie wird Dich mit Bac und ohne Alk zumindest mittel- bis langfristg immer in einem positiveren Licht sehen als ohne Bac und mit Alk. Eigentlich eine ganz einfache Gleichung. Von Menschen, die Dir anderes suggerieren, kannst Du Dich eigentlich nur noch abwenden.

Hauptsache, Du triffst Deine Entscheidungen aus Deiner Mitte heraus. Diese Mitte, die so viele von uns dank Baclofen erst wiedergefunden haben, zeigt uns den Weg auf eine souveräne, konzentrierte und ganz unaufgeregte Art.

Let's go on!

Herzlich grüßt Dieter

Re: Darf nun auch hier schreiben.

Dienstag 17. Januar 2012, 02:10

Hallo Dieter,

klarer und eindeutiger kann man es nicht formulieren. Genau diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, bevor ich mich zum Wechsel vom Avatar zum Ichatar entschlossen habe. Es war eine souverän getroffene Entscheidung aus meiner Mitte heraus, die ich bis heute nicht bereut habe.

LG Federico

Re: Darf nun auch hier schreiben.

Dienstag 17. Januar 2012, 22:11

Hallo Federico,

wow, danke, ich fühle mich geehrt! "Ichatar" ist auch sehr schön. Nicht mehr in der Haut eines anderen stecken, nicht mehr das falsche Leben im richtigen führen, denn es gibt kein richtiges Leben im falschen, nicht mehr sich belügen und selbst betrügen.

Dann bin ich auch gern ein Ichatar.

LG Dieter

Re: Darf nun auch hier schreiben.

Sonntag 4. März 2012, 19:44

Mal was Neues von moonriver

Gestern Abend ein kleines Erfolgserlebnis:
Entspannter Abend mit langjährigem Freund mit Pizzaessen und einem alkoholFREIEN Bierchen...
Lange wagte ich mich nicht an diesen Versuch, aufgrund der reinen Geschmacksassoziation. Auch bin ich mir bewusst, dass es Spuren von Alk enthalten kann... :-?
Ein rotes Tuch für trockene Alkoholiker.

Passiert ist überhaupt nichts dabei. Ich habe es einfach genossen. Früher bezeichnete ich alk-freies Bier als "Abwaschwasser". Nun hat es einen anderen Stellenwert gewonnen.
Nicht dass ich nun jeden Tag dieses Experiment wiederholen werde, nein. Es soll für spezielle Gelegenheiten reserviert sein.

Ich empfinde dieses Erlebnis als einen kleinen Sieg über die Abhängigkeit. Früher hätte dies wohl hin zu stärkeren Ingredienzien im Laufe des Abends geführt!

LG moonriver

Re: Darf nun auch hier schreiben.

Sonntag 4. März 2012, 19:56

@moonriver,

sag bloß, Du hattest kein Dejavue mit Deinem Suchtgedächtnis?
Ich leide diesbezüglich auch seit Jahren unter massivem Gedächtnisverlust.
Macht nichts, ich vermisse es nicht wirklich.

LG Federico

Re: Darf nun auch hier schreiben.

Sonntag 4. März 2012, 20:05

@Federico

Déjà-vu im eigentlichen Sinne eindeutig Nein.
Erinnerungen beim Anblick der gläserschwenkenden Weintrinker eindeutig Ja.
Aber nicht im Sinne einer Sucht-Assoziation, sondern von einem Stück Vergangenheit...

LG moonriver

Re: Darf nun auch hier schreiben.

Sonntag 25. März 2012, 12:57

@All

Es ist wieder mal an der Zeit einen Status im Erfahrungsbericht zu geben:

Kurz gesagt: "Es" funktioniert!

Ich möchte hier von meinen ganz persönlichen Erfahrungen sprechen. Die Wirkungen von Bac können sehr individuell ausfallen. Daraus erklärt sich auch mein Respekt vor anderen Ansichten. Jeder auf diesem Weg muss, wenn nötig auch durch Versuch und Erfahrung, seinen eigenen am besten geeigneten finden.

Nach nunmehr über 1 Jahr Dauereinnahme von Bac kann ich von folgenden Erfahrungen berichten:

Die anfänglich fast überwältigend einsetzende Wirkung ab einer gewissen Dosis (waren bei mir 75mg, versuchsweise noch max. 100mg) knipste gewissermassen dem wirklichen Craving das Licht aus. Craving in Form des unwiderstehlichen Verlangens Alkohol konsumieren zu müssen, damit ich noch funktionieren kann.
Jedoch darf man sich davon nicht zur Ansicht verleiten lassen, das Problem sei damit schlagartig gelöst. Nein, aber Bac gibt einem nun die dringend notwendige Freiheit für den Beginn an sich zu arbeiten.
Die unmenschlich absorbierende und dabei letztendlich sinnlos investierte Energie um nicht trinken zu müssen wird frei für anderes. Es schafft damit überhaupt erst die nötigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Therapie. Der Wunsch mit dem Alk zu stoppen zeigt plötzlich Wirkung. Die Einsicht in das Geschehen der Abhängigkeit und wie man daran zugrunde gehen kann gewinnen an Transparenz. Baclofen zwingt einem nicht auf die brutale Art wie Antabus auf das Trinken zu verzichten, aber es schenkt die Freiheit es zu lassen... ich brauche auch keinen Ersatz durch Ideologien oder Dogmen, die mein Denken steuern und mich einerseits vor dem Trinken hindern sollen, andererseits eine Konditionierung im Denken und Handeln hervorrufen und somit neue Abhängigkeiten, Risiken und Nebenwirkungen mentaler Art erzeugen.

Nun kann mit der Arbeit begonnen werden. Bac schützt auch in einem gewissen Masse vor einem "Unfall", man kann danach wenigstens wieder aufstehen...

Auch für mich hat Bac unangenehme Nebenwirkungen, welche sich nach längerer Zeit auf ein Mindestmass beschränkten mit dem ich leben kann. Gerne bezahle ich diesen Preis angesichts der Vorstellung, wo mich sonst die Abhängigkeit noch hingeführt hätte. Abgesehen davon, dass jetzt die Tatsache des Cravingverlustes bei den sonstigen positiven Auswirkungen nicht mehr den alleinigen Grund für die Einnahme darstellt.

Dosisänderungen sind nur langsam zu vollziehen. Selber habe ich auch erlebt, dass Baclofen nebst der rasch eintretenden Sofortwirkung weitere Langzeiteffekte zeigt, welche sich dann über Tage erstrecken. So habe ich beim Rauf- oder Runterdosieren stets ein paar Tage die finale Wirkung abgewartet.
Experimentierfreudig wie ich von Natur aus bin, konnte ich es dennoch nicht lassen (in weiser Voraussicht, am nächsten Tag frei zu haben...) eines Abends eine Extraportion von 25mg einzunehmen. Auch zum Austesten der bekannten "Notfallration", die ich zum Glück bis anhin nie benötigte. Dies hatte nun die folgenden Konsequenzen:

1. Nach kurzer Zeit Einsetzen von mir bekannten Nebenwirkungen aus der Anfangszeit beim Hochdosieren, welche ich in der Zwischenzeit nicht mehr in dieser Form wahrgenommen habe. Also der Beweis, dass kein Abhängigkeitspotential vorhanden ist. Offenbar entwickeln die Rezeptoren keine Toleranz. Dies war eine der wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Versuch.

2. Langer Tiefschlaf in dieser Nacht, jedoch wieder mit "anderer" Traumqualität.

3. Am Morgen einerseits eine ziemliche Scheibe (fast eine Kater...), etwas Ohrensausen, andererseits verstärkter Geruch- und Geschmacksinn (ja, eine seltsame aber mir bekannte Nebenwirkung) und allgemein gesteigerte Wahrnehmung.

4. Eine über Tage anhaltende "Erinnerung" an diese +25mg. Nicht als das bekannte halluzinogen induzierte "Flash-Back", welches einem überfällt. Nein, eher wie die sanfte Erinnerung an ein gutes Erlebnis.

5. Keinerlei Bedürfnis, dieses Experiment gerade zu wiederholen. Allein der Gedanke, dass es so funktioniert, verleiht dem Ganzen eine Art von beruhigender Ausstrahlung.

Erst später fiel mir wieder ein, dass in der Rückblende das Alkohol-Problem in den Aufzeichnungen dieses Versuches garnicht vorkam... einerseits ein beruhigender Gedanke. Schlussendlich schlucke ich ja Baclofen aus diesem Grunde. Andererseits birgt gerade diese Tatsache eine gewisse Gefahr. Die Gefahr, es einfach weglassen zu wollen unter dem Motto: "Warum soll ich noch Baclofen nehmen, das Craving ist ja weg". Dass es meistens wieder kommt, zeigen Erfahrungen anderer. So werde ich momentan an meiner stabilen Einnahme nichts rumschrauben und einfach das Thema für mich mal offen lassen. Auch hier kommt vielleicht eines Tages der Experimentierfaktor zur Geltung, wer weiss. Aktuell sieht es jedoch anders aus. So habe ich vor ein paar Wochen die Dosis um 6.25mg auf 37.5mg erhöht und fahre gut damit. Nicht, dass ich keine störenden Nebenwirkungen wahrnehme, aber diesen Preis zu bezahlen lohnt sich für mich. Immer noch besser als Alk.

Das Ganze immer unter der neu gewonnenen Freiheit, mehr das zu sein was ich wirklich bin und nicht das, was die Gesellschaft scheinbar von mir verlangt. Somit zeigt Bac bei mir eindeutige Auswirkungen im Denken und Handeln im Sinne einer mentalen Wiederfindung und Weiterentwicklung.

Sogenannte "Trends und Kults" verlieren an Kraft. Ich stelle sie noch mehr als vorher in Frage. Hat einerseits positiven Charakter, birgt jedoch in sich die Gefahr eines sozialen Rückzuges. Da arbeite ich zur Zeit daran. Die Waage zu finden dieses Bewusstsein neu in den Alltag zu integrieren. Ich war nie der ausgeprägte Gesellschaftstyp. Auch der Alk-Konsum spielte sich meistens innerhalb den eigenen vier Wänden ab. Pegel antrinken und dann raus in das Geschehen. Zunehmend konnte ich es nur noch so ertragen... Sozialphobie?
Für die weitere Zukunft sehe ich eine konstante Erhaltungsdosis. Vielleicht mal etwas weniger, jedoch wird die Abdosierung, wenn überhaupt, mit grosser Vorsicht in kleinen Schritten vollzogen.
Ich gehe diesen Weg ohne eine speziell auf Alkoholproblematik ausgerichtete begleitende Therapie. Mit Bac steht man sowieso noch etwas einsam in der Landschaft...
Was mir jedoch immer wieder Motivation verleiht ist dieses Forum. Ich glaube es nimmt hier einen wesentlichen Platz ein! Ein herzlicher Dank geht an alle, welche zum Bestehen beitragen.

Da ich auch Raucher bin: Leichter Zurückgang in der Menge, jedoch zu wenig signifikant, als dass dazu eine eindeutige Aussage gemacht werden kann.

Zum Schluss vielleicht noch ein Gedanke, welcher mir spontan gestern Abend durch den Kopf ging. Hat irgendwie auch mit der Bac-Therapie Zusammenhang. (Kreativität durch Bac?)

"Unsere Gedanken geben der Wahrnehmung ihre Erscheinungsform"

LG
moonriver

Baclofen: 6.25/6.25/12.5/12.5
C2H5OH: 0/0/0/0 :)

Re: Darf nun auch hier schreiben.

Sonntag 25. März 2012, 19:15

DANKE,

für deinen wunderschönen Bericht! Ich kann für mich selbst selbst nur bestätigen, was Du schreibst. Es ist ja nun wirklich nichts "abgesprochen", Du sprichst mir aber so aus der Seele, dass ich das hier posten muss.
Selbst das Ereignis mit den 25 mg kann ich auch nur bestätigen; bei mir allerdings "aus Versehen"....ich war gerade in einem Weiterbildungskurs, hatte "im Dunklen" die falsche Tablette erwischt, statt einer 10er "Notfallration" (nicht mal wegen craving!).....kommt nicht mehr vor...allein kreislauftechnisch hatte ich doch einige Mühe.

Kreativität durch Baclofen, ja klar....es kommt wohl aber nur raus was drinnen ist, ich denke, Du kannst jetzt erst Deine Fähigkeiten angst- und alkoholfrei entwickeln und hast jetzt erst Zugang zu Deinen eigenen Resourcen.

Alles Liebe
jivaro

Ps. Nachdem es viele Krisensituationen bei Patienten mit Baclofen gerade an diesem Wochenende gibt, ist es absolut wohltuend eine positive Verstärkung zu bekommen.

Re: Darf nun auch hier schreiben.

Sonntag 1. April 2012, 09:56

Liebe jivaro

Deine zustimmenden Worte erfreuen mich stets...

Diese Woche ging mir aufgrund einer Bronchitis etwas an die Substanz. Aufgrund von Erfahrungen betr. Fieber und Bac erwog ich zuerst eine leichte Erhöhung der Dosierung, liess es aber dann sein. Ich stelle rückblickend keinen Wirkungsverlust fest! Mag sein, dass die Fieberphase von 3 Tagen zu kurz war um die Bac-Wirkung zu beeinflussen.
Nun geht es wieder besser, es rasselt und hustet noch. Jedenfalls schiebe ich die momentanen "Schlaf-Craving"-Attacken nicht Bac zu, sondern der Krankheitserschöpfung. i-)

2 Tage fern der Arbeit geben Zeit zum Nachdenken, in sich hereinhören... So beginnt ein Vorhaben in Gedanken Gestalt anzunehmen: Mich mal von jahrzehntelang mitgeschlepptem Ballast zu befreien. Ich empfinde, dass die Zeit für dieses Vorhaben reif wird. Ich leide bei weitem nicht an einer irrationalen Sammelneigung, bin also kein Messie. Die Wohnung ist aufgeräumt. Dennoch besitzt man vieles, das eigentlich keinen produktiven Charakter mehr aufweist. Ob dies auch ein "side-effect" von Bac ist sei mal dahingestellt, ein gewisser Verdacht besteht jedoch. Materielle Dinge, welche man im Leben nicht mehr braucht, zu entsorgen oder zu verschenken. "Wie innen so aussen", gewissermassen. Nicht dass ich nun einfach alles umkrempeln will, aber die inneren Veränderungen wirken sich im Umfeld aus. Dies zu realisieren braucht etwas Mut. Loslassen kann auch weh tun. Mein Traum: Am Ende auf dem Weg dieses Lebens (wie viele waren es wohl schon...?) frei zu sein. Alle noch notwendigen Dinge in einem Rucksack bei mir zu tragen.

Erkenntnis in einem schönen Zitat von Franklin D. Roosevelt:
"Die einzige Begrenzung, das Morgen zu verwirklichen, werden unsere Zweifel von heute sein."

Somit ist dies gerade mein Bac-Wochenbericht geworden. Jetzt ist die Realisation angesagt und die dazu nötige Geduld. Schlussendlich habe ich auch nicht in einem einzigen Tag laufen gelernt...

LG moonriver

Baclofen Erhaltungsdosis: 6.25/6.25/12.5/12.5
C2H5OH: 0/0/0/0 :)

Re: Darf nun auch hier schreiben.

Sonntag 1. April 2012, 12:39

Hi,
ja sowas....
ich verwende den gleichen Avatar im französischen Forum!

Das mit dem "Ausmisten" klingt gut, aber vielleicht ist eine zen-taugliche Wohnung ausreichend, das mit dem Rucksack wäre mir doch zu spartanisch...

wünsche Dir weiterhin gute Besserung, und heute einen wunderschönen Sonntag.

Alles Liebe
jivaro
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