Danke für die Eröffnung dieses Threads. Ich bin hoch erfreut, dass wir hier so viele Reaktionen entgegennehmen dürfen... es berührt mich... und damit meine ich etwas tief in meiner Seele...
Somit möchte mich ebenfalls noch hier einreihen...
Da ich am 4. November mit einem neuen Thread mit Statusbericht begonnen habe, siehe:
(
http://www.alkohol-und-baclofen-forum.de/viewtopic.php?f=40&t=2598erlaube ich mir die dort geschriebenen Zeilen hier 1:1 einzufügen:
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Nach nunmehr 2 Jahren und 7 Monaten Dauertherapie mit Bac (hier in der CH unter dem Namen Lioresal im Handel), wollte ich für mich mal eine Bilanz ziehen und diese ans Forum weitergeben. Ich möchte, dass wie bekannterweise die Wirkungen und Nebenwirkungen als sehr individuell angesehen werden, dies auch für meinen Bericht Geltung haben soll. Es ist die Stimme eines einzelnen und soll nicht eine allgemeine Gültigkeit haben. Insbesondere muss das persönliche Umfeld ebenfalls miteinbezogen werden.
Fakten:
- Es gab nie einen Tag ohne Einnahme des Medikamentes.
- Erhaltungsdosis seit 22.08.13 auf 50mg. Vorher 75mg und 62.5mg mit täglicher Kontroll-Liste, auch jetzt noch. (Ja, Perfektionist... ich weiss, ich brauche dies...)
- Als einziges weiteres Dauermedikament nehme ich seit 3 Jahren Betablocker aufgrund "ventrikulären Extrasystolen" in einer therapeutischen Minimaldosis.
- Ein Trinkversuch hat mir drastisch vor Augen geführt, dass Alkohol nicht mehr die Wirkung hat, die ich einst immer wieder suchte... Dies führte zu einer Form von "Desillusion", wobei der leichte Unterton eines in Kauf zu nehmendem Verlustes von mir nicht verschwiegen werden soll.
Bac hat in seiner Langzeitwirkung mit ununterbrochener Einnahme damit einiges an den Alkohol-Abhängigkeits-Rezeptoren umzubauen vermocht (was es sonst noch umbaut, davon später mehr).
- Bac schlägt einem das Glas nicht einfach aus der Hand. Auch nach 2 1/2 Jahren muss eine Form des Wollens vorhanden sein und ein paar Vorsichtsmassnahmen getroffen werden. So befinden sich weder in der Wohnung noch sonstwo irgendwelche alkoholische Getränke. Meine Frau hat zudem ein feines Näschen und würde eine Fahne auf Distanz wahrnehmen...
- Geduld zu haben lohnt sich auf alle Fälle, Geduld und Kontinuität. Sprunghafter Umgang mit Bac schlägt zurück und kann einem aus der Bahn werfen.
- Eine Notfalldosis, wenn man früh genug den Entschluss fassen kann, ist wirksam. Sollte sie zu häufig angewendet werden, dann ist eine generelle Dosissteigerung angesagt.
Somit kann ich mit ruhigem Gewissen sagen, dass dieses Medikament, auch wenn ich (noch?) kein Schwerabhängiger war, mir die noch vorhandene Gesundheit, meine Ehe, den Arbeitsplatz und den sozialen Status gerettet hat. Ich musste die Einsicht gewinnen, dass man bereits innert 2-3 Jahren in eine Abhängigkeit rutschen kann. Je tiefer sich diese manifestierte, desto grösser wurde dabei der Betrug an mir selber und meinem Umfeld gegenüber.
Den Therapieverlauf möchte ich in verschiedene Abschnitte unterteilen. Trotz einer konstanten Einnahme hat jeder Abschnitt seinen eigenen Charakter, dies mit fliessenden Übergängen.
Ganz am Anfang stand die Verzweiflung aufgrund mehrfachem Druck von Aussen, als meine Abhängigkeit bekannt wurde. Ein Versuch meines Therapeuten mit einem Antidepressiva gab mir dann den Rest, da die Wirkung auf mich so zombiehaft war, dass ich glaubte durchzudrehen und es schnellstens wieder absetzte. Ebenfalls wollte ich gezielt mit einem grosszügigen Outing in der Familie und Verwandschaft sowie am Arbeitsplatz zusätzlich den Druck auf mich erhöhen. Damals kannte ich Baclofen noch nicht. Dieses Outing hätte ich später so nicht mehr durchgeführt!
Schlussendlich führte Google mich dann zu diesem Forum...
Der Start der Therapie (aus einer selbst auferlegten Abstinenzphase, jedoch ohne Klinikaufenthalt oder Entgiftung) verlief tatsächlich wie ein Wunder... es war wie ein Erwachen in einer neuen Welt. Was nicht verschwiegen werden soll, war das Auftreten einer fast "euphorischen" Phase in den ersten Wochen. Dies kann, beim damit richtigen Umgang, zu einer Intensivierung der erwünschten Wirkung führen. Es darf einem jedoch keinesfalls dazu verleiten, mit schnellem Raufdosieren diesen Zustand halten zu wollen, resp. ihn sogar zu vertiefen. Die Nebenwirkungen holen einem dann schon wieder auf den Boden. Diese können jedoch bei ungeduldigen Newcomern zu einer in dieser Situation alles andere als förderlichen Frustphase führen...
Wie sich ein Start sich mit gleichzeitigem Alkoholkonsum auswirkt, entzieht sich meiner eigenen Beurteilung.
Die Wirkungen in den ersten Wochen und Monaten waren sehr eindrücklich. Durch die Abwesenheit des Cravings und diesem ewigen Kreisen der Gedanken um den Alkohol wurde einiges an Denkressourcen frei für sinnvollere Gedanken und neue Vorhaben. Diese erste Zeit war gekennzeichnet von einem tiefen Aufatmen (nicht nur von mir, sondern auch von meiner näheren Umgebung...). Jedoch schwang im Hintergrund bei meinem Umfeld eine gewisse Skepsis stets mit, da aufgrund bekannter Vorurteile und Erfahrungen es schier unmöglich erschien, nichts mehr zu trinken und dabei noch gute Laune zu haben.
Ich erlebte einen tiefen Schlaf mit hochrealistischen Träumen, in denen ich überzeugt war, selber in das Geschehen eingreifen zu können. Zudem Phasen mit einem meditativen Charakter ohne mein weiteres Dazutun. Aus meiner Sicht resultierend aus 2 Faktoren. Der Wegfall von Alkohol und primär die Wirkung von Bac. Im weiteren eine neue Lebensfreude für die statistisch noch verbleibenden Jahre und eine neue Wirkung des Gedankens, dass ich einmal diese Welt verlassen werde...
Zu den negativen Aspekten dieser ersten Phase möchte ich auch noch kommen. Vor allem die euphorisierende Wirkung und das staunende Erleben kann dazu führen, dass man es mit der Dosis übertreibt und die daraus entstehenden Nebenwirkungen auf sich nimmt. Dies kann zu einer kontrapunktiven Wirkung dieser Therapie ausarten. Es ist hier etwas Disziplin und gesunder Verstand angebracht. Zweimal hatte ich mich für kurze Zeit mit 120mg "behandelt"... Auch glaubte ich, mit diesem Kick das Nikotin "vergessen" zu können, was jedoch nicht gelang. Höchstens in den Stunden danach, als die Nebenwirkungen sich voll bemerkbar machten... da hätte wohl niemand mehr geraucht.
Ich begann nach 6 Monaten mir Fristen zu stellen. Immer 6 Monate Abstinenz und dann schauen wir weiter. Ja, und nun sind es 2 1/2 Jahre und ich schaue immer noch weiter. Mit Ausnahme des gewollten Experimentes lasse ich den Alkohol dort wo er ist und bleiben sollte, in der Flasche. Aber mit jeder 6-Monatsstufe empfinde ich mehr, dass wohl das drängende Craving nicht mehr vorhanden ist (irgendeinmal verliert man dazu die direkte Beziehung), jedoch das Wollen trotz Bac gefordert wird. So einfach Friede, Freude, Eierkuchen ist das Ganze auch nicht. Auf der einen Seite besteht die Hoffnung, dass sich in Sachen Alkohol ein "Reset" im Denken und der Biochemie vollzieht, auf der anderen Seite gibt es doch immer wieder Situationen, in denen mir vor Augen geführt wird, dass "da noch etwas ist". Ich will es nicht Craving nennen. Dies war etwas nicht Beherrschbares. Es ist eher ein unbestimmter Wunsch, der aber mit der Ratio überwunden werden kann.
Manchmal möchte ich gerne wissen, wie es sich nach so langer Zeit "anfühlt", das Bac auszuschleichen. Ein Gedanke, den ich auch immer wieder 6 Monate nach vorne hinschiebe. Als Erfolg möchte ich jedoch verbuchen, dass es mir ohne Veränderung in der Wirkung gelungen ist, innerhalb ca. 1 Jahres (!) von 75mg auf 50mg Erhaltungsdosis runterzukommen. Dies immer in kleinsten Schritten. Eine weitere Verringerung nach derselben Strategie ist vorgesehen. Insbesondere konnte ich so fast alle unerwünschten Nebenwirkungen eliminieren. Eine der wichtigsten Funktionen mit dem momentan höchsten Stellenwert ist immer noch der schlaffördernde Effekt. Eine Gewöhnung im Sinne, dass es immer mehr braucht um diese Wirkung herbeizuführen, liegt also nicht vor.
Je länger die Einnahmedauer ist, desto moderater sind die noch registrierten Veränderungen. Dies führe ich auf eine zunehmende Stabilisierung der Verfassung zurück.
Ausnahmsweise in Gesellschaft mit 1 Glas anzustossen würde ich mir heute zutrauen. Insbesondere aufgrund des Ergebnisses meines Experimentes. Jedoch will ich dies meiner näheren Umgebung nicht antun, da es vermutlich zu Panik Anlass geben könnte. Die verbreiteten Ansichten liegen mit Argusaugen auf einem.
So lehne ich jeweils dankend ab mit der Bemerkung von Medikamenten, die sich mit Alk schlecht vertragen... soweit kein Problem. Auf der anderen Seite glaube ich manchmal dennoch nachdenkliche Blicke zu spüren, vor allem bei Leuten in deren Gesellschaft ich früher mal getrunken habe... und die von Allem nichts wissen.
Anyway...
Im Dezember wird nach 1 Jahr wieder mal ein Nieren- und Leberstatus fällig. Dies in der Hoffnung, dass sich die Dauereinnahme dort nicht negativ bemerkbar macht.
Ich werde zu gegebener Zeit darüber berichten.
Ja, und es gab auch Phasen, da wurde ich etwas Bac- und Forum-"Müde". Täglich hier zu lesen und sich bewusst oder unbewusst nicht triggern zu lassen bedingt mit der gleichzeitigen Rolle als Moderator auch eine gewisse Schale zum Schutz.
Auf der anderen Seite wüsste ich nicht, wo ich ohne dieses Forum stehen würde...
Wenn ich auch nur ein klein wenig zurückgeben kann ist für mich damit der Sinn erfüllt.
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Wichtige Ergänzung zu diesem Thema hier: Die bei vielen beobachtete Start-Euphorie birgt gewisse Gefahren in sich. Ich selber musste mich dort auf eine extreme Art zurücknehmen in der Dosierung. Ich sage es hier ehrlich und stehe dazu: Bei zu hoher Dosis kann dieses Medikament "einfahren" und zu einer ungezügelten Höherdosierung verleiten. Das sage ich als "Erfahrener", sofern ich mich als einen solchen bezeichnen darf. Darum liebe Leute, seit vernünftig. Nehmt euch zurück und vertraut unseren Dosierungstabellen. Das Ganze kann sonst in einem Desaster enden. Insbesondere die Kombination von Alk und Baclofen erachte ich als überaus riskant. Ein Aufschaukeln in einem Miteinander von Bac und Alk habe ich einst als den "Kampf der Giganten" bezeichnet... ich bleibe bei dieser Ansicht!
Auf der anderen Seite lese ich öfters von gesteigerter Konzentrationsfähigkeit, ich entsinne mich hier an meine Zeit des Sport-Bogenschiessens. Ich suchte damals einen Weg meiner wirklichen Seele und meiner uralten Herkunft näherzukommen. Mit einem erschütternden Resultat... und dann nahm ich Baclofen ebenfalls mit einem erschütternden Resultat. Ich habe keine Ahnung, was genau dieses Molekül biochemisch in uns auslösen kann. Vielleicht bin ich aufgrund meiner Vorgeschichte einfach ein "seltener Vogel". Aber ich bin noch heute der Ansicht, dass in diesem Molekül ein Potential liegt, auf das uns Dr. Olivier Ameisen geführt hat...
PS: ich hatte Mail-Austausch mit ihm persönlich, leider konnte ich ein Treffen nicht mehr arrangieren
LG moonriver