Donnerstag 22. Mai 2014, 21:47
@all
Mit dem heutigen Tag sind sechs Monate Baclofen-Therapie um. Die Alkoholfreien Monate hinken ein klein wenig hinten nach - who cares? Ich erspare mir und euch das Wie-alles-begann, das kann man nachlesen, ebenso die Entwicklungen, denn was zählt, ist das heute. Und das ist schlicht gut.
Ich bin bei 75 mg angekommen und spüre keine Nebenwirkungen mehr. Bei 100 mg spürte ich keine Verbesserung mehr, jedoch zunehmende Lethargie und Ach-was-soll's-Stimmung sich breit machen. Mir schien, das könne nicht Zweck der Übung sein. Es kommt hin und wieder vor, dass ich - wie heute, an einem selbstbestimmten, gemütlichen Tag ohne Aufregung - tagsüber Baclofen vergesse. Es geschieht nichts weiter. Alles ganz herrlich schön stabil.
Mit dem kürzlichen Experiment, 20mg Cipralex in jeweils 7-10 Tagen um je 5 mg auf Null abzudosieren, ging ich zu schnell vor in Anbetracht der Umstände; meine Arbeitssituation bietet Anlass zu Ärger, dem ich in den letzten 2-3 Wochen weniger gut begegnen konnte als in den Monaten zuvor; Widerstände, die längst hätten beseitigt sein sollen, wecken ärgerliche Ungeduld und Reizbarkeit, etwas mehr an impulsiver Emotion. Ich interpretierte mehr und zunehmend negativ. Als das Hadern an Dingen ausserhalb meiner Macht, das Schuld-suchen und die inneren Debatten aufzutauchen begannen, einigten der Doc und ich uns darauf, eine Weile bei 10mg stehen zu bleiben und ruhigere Zeiten abzuwarten. Es eilt nicht.
Der Massstab bleibt aber immer das Craving. Und das stand und steht sicher bei Null.

Oder etwa doch nicht?
Ich nehme immer einen Probierschluck vom Wein meines Partners, wenn er ausser Haus welchen trinkt; wenn er schmeckt, einen zweiten. Ich kann dieses Ritual durchaus schätzen und ohne Bedauern den Geschmack geniessen. Nie schreit es nach mehr. Es ist gut.
(Mal ehrlich: möchtest du mehr? Nö.)Was ich seit einem Monat etwa beobachte, ist jedoch unerwartet: Mittlerweile spüre ich einen starken inneren Widerstand gegen die Wirkung des Alkohols. Es kommt immer häufiger vor, dass der Nachgeschmack eine sofortige, spontane negative Assoziation auslöst. Die (Körper-) Erinnerung an den pelzigen Geschmack im Mund, wenn es längst keine Befriedigung mehr auslöste, zu trinken, sondern das weitere Trinken nur noch das Elend des Trinkenmüssens vergessen machen sollte, ist in Pole Position, wenn mein Hirn blitzschnell die vorhandenen Netzwerke scannt.
Glaubt mir, daran habe ich nicht gearbeitet. Aufgegangen ist es mir erst, als Nordlicht mal den Begriff "Craving unter Null" brachte. Widerwille, wer will das schon? fragte ich noch. Aber es klang nach - irgendwas stimmte nicht ganz: Denn doch, ich kenne das: Widerwille, bei Weisswein sogar leichter Ekel.
Was mich gestern spontan zu einem Versuch bewegte: Härtetest Bier. Mein Standardgetränk. Tankstelle - 0.33 l Bier, nach Hause, ein kleines Glas eingeschenkt. Weiss ich eigentlich noch, wie das schmeckt? - Ein paar kleine Schlucke. Eine Zigarette dazu. Schmeckts? - Weiss nicht. Macht Durst. Alkoholfreier Apfelwein ist besser. - Mal ein Glas davon zwischenschieben. - Noch ein Schluck vom Bier? Test weiterführen? - Ja, noch einen. Aber langsam. - Gut? - Irgendwie nicht, nein. Fühlt sich nicht gut an, eine erste Anflutung von Alkoholwirkung im Kopf. Ich mag das nicht. Ich möchte das gern rückgängig machen.
Dann stellte ich das halbvolle Glas beiseite und wartete, dass die erste Wirkung verflog.
Eine halbe Stunde später leerte ich es mit dem Rest der Flasche weg.
Wie ich eine halbwarme, lange offen gestandene Limo wegleere.
Ich hatte nicht mal die Grössenordnung "Herrgöttli" geschafft (CH: 2 dl).
Härtetest abgeschlossen. Nicht placebokontrolliert, nicht über jeden akademischen Zweifel erhaben. Aber sowas von jenseits jeder bisherigen Erfahrung. Bier nicht mehr mögen? Unvorstellbar.
Zur Feier des Tages habe ich heute auf einer Überlandfahrt Blumenfelder zum Selbstschneiden abgeerntet und drei Gärtnereien am Weg beehrt. Einer dieser alljährlichen Tage im Frühling, wo ich zum Blumenjunkie mutiere und nie, aber auch gar nie, ein Budget gilt.
Es ist nie genug! Masslos. Ich weiss. Euphorie! Mir egal.
Dreck unter den Fingernägeln, der Rücken schmerzt und todmüde. Aber glücklich.
lg
Lisa