Kann Baclofen für einige Patienten ein Substitut für Alkohol sein?Wir haben uns damit abgefunden, dass Baclofen bei ca. 75% der Patienten erfolgreich wirkt.
Erfolgreich bedeutet, die Patienten sind Abstinent oder trinken moderat, in einem Maß das als
unauffällig und gesundheitlich unbedenklich (WHO) gilt.
Bleiben 25% übrig die man achselzuckend als Nonresponder bezeichnet, bei denen Baclofen
egal in welcher Dosis, keine Wirkung zeigt. Ist das so? Ich glaube, diese Gruppe sollte näher
untersucht werden und ich denke, ein nicht unerheblicher Teil dieser Patienten substituiert mit
Baclofen den täglichen Bedarf an Alkohol, meist ohne es zu ahnen.
2011 (Published online before print July 8), stellten Jonathan Chick und David Nutt die Frage:
Substitution therapy for alcoholism: time for a reappraisal?(Substitutionsbehandlung bei Alkoholismus: Zeit für eine Neubeurteilung?)
Die Herausgeber der renommierten Fachzeitschrift Alcohol & Alcoholism vermuteten in
Baclofen ein ernst zu nehmendes Medikament das als Substitut bei Alkoholismus, ähnlich
wie Methadon bei Heroinabhängigkeit, wirksam sein könnte.
Kurze Zeit später antwortete Olivier Ameisen darauf mit einem „Letter to the Editor“
(Brief an den Herausgeber), der im Journal of Psychopharmacology veröffentlicht wurde
und in dem Ameisen der Hypothese von Chick und Nutt wortgewaltig widersprach.
Suppressing addiction using high-dose baclofen, rather than perpetuating
it using substitution therapy2012 versuchten David Nutt, Anne Lingford-Hughes und Jonathan Chick mit einer
ausführlichen Arbeit darzulegen, welche Zusammenhänge zwischen bestimmten Gruppen
von Abhängigen und geeigneten Substituten bestehen können. Für die Forscher schien klar,
selbst die E-Zigarette kann man als Substitut zur Zigarette sehen. Benzodiazepine, GHB sowie
Baclofen und diverse andere Medikamente können substitierend bei Alkoholabhängigkeit
wirken.
Through a glass darkly: can we improve clarity about mechanism and aims of
medications in drug and alcohol treatments?Mitte 2013 erschien ein Brief an den Herausgeber (LTE) im Journal of Clinical
Psychopharmacology von Benjamin Rolland, Régis Bordet, Sylvie Deheul und Olivier
Cottencin, alle Université Lille, Frankreich.
Die französischen Forscher waren auch der Meinung, dass es durchaus vorstellbar wäre,
Baclofen innerhalb einer definierten Gruppe als Substitut anzuwenden. Die Arbeit bringt
neue Argumente die für die Hypothese „Substitution“ sprechen.
Baclofen for Alcohol-Dependence: Anticraving or Partial Substitution?Meine Meinung:Es wäre an der Zeit, die Gruppe der sogen. „Nonresponder“ ernster als bisher zu nehmen.
In einem Baclofenforum entsteht sonst leicht der Eindruck, erfolgreich wären nur diejenigen,
die Abstinenz erreicht haben oder moderat trinken können. Baclofen in der Anwendung als
Substitut kann für reduziert konsumierende Patienten durchaus ein sinnvoller Weg, im Sinne
von „Harm Reduction“ sein. Das Problem wird sein, einen verschreibenden Arzt dafür zu
finden.
Andererseits haben Ärzte neuerdings ein anderes Medikament im Portfolio, das man als
Substitut einordnen könnte. Die Rede ist von Selincro, das mit dem Werbeslogan
„Nicht mehr
trinken. Sondern weniger“ angeboten wird. Trinkmengenreduktion ist eine Alternative,
die progressiv denkenden Ärzten einleuchten sollte und die langfristig gesehen, für Patienten
mit einer „Substanzgebrauchs-Störunge“ schlichtweg gesünder ist.
Selincro sollte allerdings nicht für längere Zeit substituierend medikamentiert werden,
da im Gegensatz zu Baclofen die Leber stark belastet wird.
Dietmar Kramer von der
Salus Klinik Friedrichsdorf sieht das natürlich anders, muss er
arbeitsplatzsichernd auch anders sehen. Für ihn ist nur eine stationäre Entwöhnungs-
behandlung von Erfolg gekrönt. Alles andere sind seiner Meinung nach, „halbe Sachen“.
„ ... man wird doch von liebgewordenen Vorurteilen nicht lassen,
nur weil Tatsachen dagegen sprechen…“LG Federico