Albert Camus hat geschrieben:
„Die höchste Form der Hoffnung ist die überwundene Verzweiflung.“
Das größte Problem mit dem Relapse, sind die mit dem Eintritt dieses Ereignisses
verbundenen Scham- und Schuldgefühle. Zudem fühlt sich der arme Sünder verpflichtet,
ein Ein-Geständnis abzulegen, das er so lange wie möglich hinauszögern möchte. Vor sich
selbst und erstrecht anderen gegenüber. Ich habe wieder mal versagt, ich bin ein Loser.
Dies führt oft zu einer unnötigen Ausweitung des Ereignisses, das bis zu einigen Wochen
dauern kann. Dies wiederum zieht psychische sowie körperliche Vergiftung nach sich.
Am Ende bleibt oft nur noch die Entgiftung. Diese Prozesskette, die Bestandteil der
Substanzstörung ist, frühzeitig zu unterbrechen, sollte Ziel einer psychotherapeutischen
Vorbereitung auf einen mögliches Relapse sein.
Dieser Text war der Versuch die Worte „Rückfall“, ”Alkoholiker“, „Alkoholsucht“ oder
„Alkoholismus“ zu umgehen, da ich unter anderem an diese taoistische Weisheit glaube:
„Hüte dich vor deinen Gedanken, denn sie werden Worte
Hüte dich vor deinen Worten, denn sie werden Taten
Hüte dich vor deinen Taten, denn sie werden dein Leben“
Anlässlich meiner zahlreichen Besuche auf Entgiftungsstationen konnte ich immer wieder
feststellen, wie die Menschen sich zurückgezogen haben, wenn das Wort „Rückfall“ zum
Thema gemacht wurde. Allgemeine Hilflosigkeit im Umgang mit dem Thema war auch beim
Personal deutlich spürbar. Den fatalen Satz „einmal Alki – immer Alki“ habe ich oft gehört
und die Therapeuten nickten zustimmend. In der Literatur findet man auf der Suche nach
Rückfallforschung wenig Erhellendes, siehe
Rückfallprädiktoren der Alkoholabhängigkeit Wer das Abstract liest, weiß was ich meine.
Nachdem aus verständlichen Gründen kein Pharmakonzern Interesse an Rückfallforschung
zeigt, wird dieses Thema mangels Finanzierung ein Randthema bleiben. Joachim Körkel und
Christine Schindler haben versucht
mit dem Projekt S.T.A.R. neuere Erkenntnisse in einem
Programm zu bündeln. Die Tatsache, dass es nach 12 Jahren eine Neuauflage geben wird,
kann für Qualität sprechen – muss aber nicht, siehe Kurzbeschreibung im Anhang.
Für einige ist und bleibt die konstante Einnahme von Baclofen der beste Schutz vor einem
Relapse. Andere benötigen zusätzliche Hilfe durch geeignete Psychotherapie, wenn man sie
denn finden könnte. Optimal wäre die Verbesserung der Lebensqualität, dafür gibt es leider
keine Programme, es gibt nur die individuelle Lösung. Diese zu finden ist nicht einfach, die
Suche nach dem Sinn im Leben lässt viele verzweifeln. Dabei könnte es so einfach sein, wir
müssten nur einen Krieg anzetteln ...
Scherz beiseite, während einer Fortbildung lernte ich eine Psychologin aus Sarajevo kennen,
die mir aus der Zeit der Belagerung von Sarajevo 1992-1996, also in der schlimmsten Phase
des Bosnienkriegs, folgendes erzählte:
Eines Tages wollte ich meinen Professor in der psychiatrischen Klinik besuchen um ihm
einige Fragen zu stellen. Das Gebäude war merkwürdig still, keines der üblichen Geräusche
war zu hören. Als ich ihn in seinem Büro fand und ihn fragte was mit den Patienten wäre,
antwortete er, es gibt keine mehr. Bis auf einige wenige in der Forensik hatten alle die Klinik
verlassen und Neuzugänge sind mit Ausbruch der Kampfhandlungen komplett ausgeblieben.
Er fügte hinzu, die Menschen hätten anscheinend ihre psychischen Probleme durch den
Kampf um die nackte Existenz hinter sich lassen können. Damals kannte ich Viktor Frankl
und sein Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ noch nicht. Wenn ich es heute in die Hand
nehme, denke ich immer an die Psychologin und wie man das in ein Leben vor dem Rückfall
integrieren könnte. Ausser Demut und Dankbarkeit fällt mir nichts ein.
Demut dass ich das Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein.
Und Dankbarkeit dem Mann gegenüber, der das eigene Ende seiner Sucht beschrieben und
der Nachwelt hinterlassen hat.
Danke Olivier Ameisen!
LG Federico