@moonriver hat mich gestern mit einer PM schwer geschockt. Er fragte mich, ob ich diese Studie kennen würde:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/1012342 Kannte ich natürlich nicht, ist schließlich aus grauer Vorzeit von 1976. Zu einer Zeit als man Baclofen noch so geschrieben hat:
„Baclophen“. Giovanni Addolorato hat in seinen Literaturhinweisen auf dieses Paper nicht verwiesen als er 2002 ein Patent auf seine von ihm erfundene Behandlungsmethode angemeldet hat. Das wäre jetzt eigentlich alles nicht so schockierend wenn in der Zusammenfassung nicht folgender Satz zu lesen wäre:
Zitat:
Diese Ergebnisse zeigen ebenfalls eine mögliche Wechselwirkung zwischen GABA-ähnlichen Drogen und Alkohol im Menschen, und kann von heuristischem Wert in der Behandlung des chronischen Alkoholismus sein.
Damit nicht genug, es kommt noch besser:
Zitat:
Diese Daten sind konsistent mit früheren Ergebnissen, dass Baclophen sowie andere Mittel die Aktivität des GABA-Systems verbessern.
Mit Verlaub, hier ist von einem handfesten Skandal die Rede. 1976 war bereits bekannt, dass Baclofen einen heuristischen Wert in der Behandlung von chronischem Alkoholismus besitzt und niemand hat es aufgegriffen, niemand hat es heuristisch genutzt. (Heuristik bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu guten Lösungen zu kommen.) Weder Addolorato hat es genutzt, ist stehengeblieben, Ratten gefüttert und ein paar Menschen – Patent angemeldet, ein bisschen veröffentlicht und gut. Ach ja und etwas später hat er höhere Dosen nicht befürworten wollen.
Der einzige der es endlich im eigentlichen Sinne genutzt hat, war Olivier Ameisen im Jahr 2008 nachdem er 4 Jahre vergeblich versucht hat, in der Wissenschaft heuristisches Interesse zu wecken. Ganz im heuristischen Sinne hatte Ameisen in kurzer Zeit (2 Jahre), mit begrenztem Wissen und interdisziplinärer Unterstützung durch Kollegen seinen Selbstversuch mit hohen Dosen erfolgreich durchgeführt. Jetzt sind wir im Jahr 2012 angelangt und nichts ist passiert außer: es sind weitere randomisierte Studien erforderlich.
Vor 2 Jahren sagte Olivier Ameisen: weitere Studien sind nicht erforderlich und sie sind auch nicht notwendig. Die Hausärzte werden es ihren Patienten verschreiben weil sie erfahren dass es wirkt und vollkommen sicher ist. Baclofen wird sich auf diese Weise ganz von selbst immer mehr als Behandlungsmethode weiter verbreiten, es ist nicht aufzuhalten.
Vor 2 Jahren habe ich das nicht wirklich verstanden – heute erst wird mir alles klar. Niemand hat ein Interesse an der Heilung von Alkoholismus. Die forschenden Pharmafirmen haben lediglich Interesse am Shareholder value und willfährige forschende Ärzte bedienen ihr Geltungsbedürfnis, verstecken ansonsten ihre Interessenskonflikte hinter den Revers ihrer Brioni-Anzüge. Lundbeck lädt sie deshalb ein zur großen Party und feiert die Zulassung ihres neuen, weitgehend wirkungsfreien Medikaments „Selincro“. Wer's noch nicht wissen sollte, Selincro ist das Nachfolgeprodukt von Naltrexon, später Nalmefen das ein bisschen gegen das Trinken hilft. Vielleicht helfen die Suchtforscher die es demnächst anpreisen werden, wenigstens dem Aktienkurs ein bisschen auf die Sprünge, notleidend wie er zur Zeit ist.
Seit 2000 Jahren also nichts neues, immer wieder auf's Neue der Tanz ums „Goldene Kalb“ und nach mir die Sintflut. Neu ist lediglich der freie Zugang zu Informationen via Internet und dadurch eine schnelle Verbreitung. 36 Jahre sind eine lange Zeit gewesen von der Entdeckung der segensreichen Wirkung des Wirkstoffs Baclofen bei Alkoholismus bis zur massenhaften Verbreitung dieser Nachricht. In nur 3 Jahren seit dem Erscheinungsdatum von „Das Ende meiner Sucht“ bis heute haben mehr betroffene Menschen von Baclofen erfahren und davon profitiert als in gefühlten 50 Jahren Stillstand in der Erforschung der Sucht.
Daran arbeiten wir weiter und wir hoffen, dass selbst
ACTA uns nicht aufhalten wird. Unter dem Deckmantel „Geistiges Eigentum“ schützen zu wollen, sollen Bürgerrechte eingeschränkt und der Zugang zu Wissen und der Verbreitung desselben verhindert werden. Auch das gab es schon einmal. Als die Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg um 1400 erfunden wurde und Bücher dadurch preiswert erhältlich waren, fürchteten die Gralshüter des Wissens um ihre Vorherrschaft. Das System trug schließlich maßgeblich zur Alphabetisierung bei, indem es Texte und somit auch Bildung wesentlich mehr Menschen als zuvor zugänglich machte. Damals wollten die Herren der heiligen Römischen Kirche und die ihnen zugewandten weltlichen Statthalter ihr „Geistiges Eigentum“ schützen.
Amen