Donnerstag 11. Februar 2010, 13:02
@Danilo,
da Dich das Thema zu interessieren scheint, hier eine kurze Zusammenfassung meiner bisherigen Erkenntnisse. Die Auswirkungen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), sind seit langem bekannt. Substanzmissbrauch aber auch Borderline, Bulimie, Anorexie sind überdurchschnittlich oft darauf zurückzuführen.
Mittlerweile gibt es sehr gute neue Therapieansätze, resultierend aus diesen Erkenntnissen. Diese neuen Therapiemethoden werden weder von den Krankenkassen noch von der Rentenversicherung bezahlt, da die Therapie „Abstinenz“ nicht mehr in den Vordergrund stellt. Wenn ich es richtig verstehe, ist die Forderung nach „Abstinenz“ eine Hürde, die ein traumatisierter Patient nicht nehmen kann oder will. Langfristig könnte allerdings eine derartige Therapie in der Folge, bei sehr vielen Patienten zur Abstinenz (aus innerer Einsicht) aus sich selbst entwickelt führen. Wie gesagt, so habe ich es verstanden.
Hierzu eine Buchrezession:
Posttraumatische Belastungsstörung und Substanzmissbrauch
Das Therapieprogramm "Sicherheit finden"
Autor: Lisa M. Najavits (deutsche Übersetzung und Bearbeitung von Ingo Schäfer, Martina Stubenvoll und Anne Dilling)
Verlag: Hogrefe Verlag 2008, ISBN 978-8017-2127-5, 370 S., 59,90 Euro
Sehr viele Suchtkranke sind Opfer von traumatischen Erfahrungen.
Zu dieser Erkenntnis kommt nicht nur eine Vielzahl
von Studien – auch und besonders SuchttherapeutInnen
finden den Zusammenhang "Trauma und Sucht" in ihrer
täglichen Arbeit. Häufig berichten Betroffene von Traumatisierung
bereits in der Kindheit durch körperlichen und sexuellen
Missbrauch und auch im Verlauf der Sucht besteht ein
stark erhöhtes Risiko für eine (Re-) Traumatisierung, z.B.
im Rahmen von Beschaffungskriminalität, Prostitution und
Obdachlosigkeit. Entsprechend häufig ist die Posttraumatische
Belastungsstörung (PTBS): abhängig von Geschlecht
und konsumierten Substanzen finden sich Prävalenzen von
bis zu 34%.
Es ist unstrittig, dass im Rahmen einer Suchtbehandlung
komorbide Störungen zeitgleich und integriert mit behandelt
werden sollten. Gerade bei der Therapie von komorbiden
Traumafolgestörungen bestand jedoch lange die Schwierigkeit,
dass die verfügbaren und erprobten Therapieansätze
fast immer die Konfrontation mit den Traumatisierungen
(i.d.R. in sensu Exposition zur kognitiven Integration und
Bewältigung des Erlebten) in den Mittelpunkt stellen. Hierfür
aber ist eine psychische, körperliche und soziale Stabilität
vonnöten, die ein erheblicher Teil der Suchtkranken in Behandlung
noch nicht mitbringt.
Mit dem Therapieprogramm "Sicherheit finden" liegt nun
auch für den deutschen Sprachraum ein Behandlungsmanual
vor, bei dem dieser Widerspruch nicht besteht und das sich
daher besonders für die therapeutische Arbeit mit schwer
belasteten, traumatisierten Suchtkranken eignet.
Das kognitiv-verhaltenstherapeutische Programm wurde von
der Autorin Lisa M. Najavits an der Universität Harvard
entwickelt und im englischen Original mit dem Titel "Seeking
Safety" veröffentlicht. Es findet in den USA seit Jahren
Anwendung und wurde dort in umfassenden Untersuchungen
erprobt, die seine Wirksamkeit bestätigten.
"Sicherheit finden" verfolgt mit seinem explizit Ressourcen-
orientierten Ansatz vorrangig das Ziel, Stabilität und
Sicherheit im Leben von traumatisierten Suchtkranken zu
implementieren. Traumatisierungen werden im Rahmen der
Therapie nicht im Detail besprochen und durchgearbeitet,
sondern die Behandlung zielt darauf ab, die Folgen dieser
Erfahrungen besser zu verstehen und "sichere Bewältigungsstrategien"
zu erlernen. Diese ermöglichen es im Laufe der
Therapie, auf Substanzkonsum und andere "unsichere" Verhaltensweisen
(wie z.B. Risikoreiches Verhalten in Beziehungen
oder Krankheiten unbehandelt zu lassen) zu verzichten.
Nach einer ausführlichen Einführung für TherapeutInnen,
die u.a. die Grundhaltung und die Prinzipien des Programms
erläutert und begründet (bspw. Sicherheit als oberstes Ziel,
integrierte Behandlung von Sucht und PTBS, Schwerpunkt
auf Idealen und Zielen), werden in Form von 25 Sitzungen
verschiedene zu bearbeitende Themen beschrieben. Diese
können entweder in Form einer Art Curriculum in der Gruppe
bearbeitet oder aber auch voneinander unabhängig in Gruppen
oder Einzelsettings eingesetzt werden. Für jede Sitzung
gibt es eine Auswahl an passenden Arbeitsmaterialien für
TherapeutInnen und PatientInnen. Das Programm ist daher
ohne großen Planungs- und Konzeptionsaufwand in verschiedenen
Settings, auch von Personal ohne traumatherapeutische
Zusatzausbildung durchführbar.
Obwohl das Manual ursprünglich für Personen mit der Doppeldiagnose
PTBS und Sucht entwickelt wurde, eignet es
sich auch für Personen, die unter einer subsyndromalen PTBS
oder unter weiteren komplexen Traumafolgestörungen leiden.
Der Behandlungsansatz wurde als Gruppenangebot
konzipiert, kann jedoch auch in der Einzeltherapie eingesetzt
und in diesem Fall auch mit Expositionselementen kombiniert
werden.
Ein besonderes Merkmal von "Sicherheit finden" ist die Betonung
humanistischer Themen, was sich in den Inhalten vieler
Sitzungen abbildet, die Werte wie "Verbindlichkeit", "Anteilnahme",
"Ehrlichkeit" und "Achtsamkeit" behandeln.
Hintergrund dessen ist, dass sowohl Traumatisierungen als
auch Sucht und besonders deren Kombination häufig zu einer
veränderten Sicht von der Welt, zu Resignation und dem
Verlust von "Idealen" führen. Die Auseinandersetzung mit
grundlegenden Werten soll auf ihre Weise dazu beitragen,
Betroffene zu motivieren und ihnen einen sorgsameren Umgang
mit sich selbst nahe zu bringen.
Insgesamt stellt das Programm "Sicherheit finden" eine seit
langem notwendige Ergänzung zu den derzeit im deutschen
Suchthilfesystem verfügbaren und erprobten Therapieansätzen
dar. Nicht zuletzt kann es gerade aufgrund der Betonung
einer ganzheitlichen Sicht und der durchgängig optimistischen,
heilungsbetonenden Grundhaltung die Suchttherapie
allgemein und die Versorgung von traumatisierten
Suchtpatienten im besonderen hierzulande sehr bereichern
und effektivieren.
Dr. Sybille Zumbeck
Gr. Offenseth-Aspern
Quelle: Suchtmed 11 (4) 140 (2009)© ecomed Medizin, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH, Landsberg
Im Anhang zum Download:
[size=150]
Sicherheit finden - ein Therapieprogramm
bei PTBS und Substanzmissbrauch[/size]
Dr. med. Ingo Schäfer, MPH
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung
(ZIS) der Universität Hamburg
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