Baclofen Forum vs Alkoholismus

Informationen zu Baclofen bei Angststörungen, substanzinduzierten Störungen und Depressionen. Informationen und offenes Diskussionsforum zu Selincro (Nalmefen) sowie alle progressiven Therapieoptionen im Kontext mit Alkoholismus
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BeitragVerfasst: Dienstag 23. März 2010, 14:30 
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Registriert: Dienstag 2. März 2010, 11:17
Beiträge: 575
Ich hatte vorhin schon darüber geschrieben... erst ging der Link und jetzt steht bei mir auch, dass das Video nicht mehr zur Verfügung steht :smt017 :smt013.

Das alleine spricht ja schon für sich :smt011

LG Emelie


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 Betreff des Beitrags: Re: Baclofen vs. Psychotherapie
BeitragVerfasst: Dienstag 23. März 2010, 14:40 
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Registriert: Montag 22. März 2010, 14:32
Beiträge: 485
Wohnort: Oberhausen
invorio hat geschrieben:
@praxx

Mich würde interessieren, was Du als "richtige Behandlung" bei einer Baclofen-Medikation verstehst?
Die Psychotherapie hat bei GABAergem Alkoholismus jämmerlich versagt. Welche Elemente willst Du da weiterverwenden?

LG invorio


Eine "richtige Behandlung" ist der Einsatz von Baclofen im Rahmen ärztlicher Behandlung, von der Indikationsstellung über den Auschluss von evt. Kontraindikationen und Interaktionen mit anderen Arzneimitteln über laufende Kontrollen von physischem und neurologischem Status, Blutwerten und Psychopathologie bis hin zu einer supportiven Gesprächsbegleitung.

Übrigens wirkt Alkohol grundsätzlich über GABAerge und glutaminerge Neurotransmission, einen speziellen "gabaergen Alkoholismus" als Sonderform gibt es nicht - wie es zB auch "die Psychotherapie" nicht gibt, nur verschiedene psychotherapeutische Ansätze.

Jeder mit Toleranzentwicklung einhergehende Substanzkonsum, im Prinzip sogar jedes süchtige Verhalten, hinterlässt im Gehirn ein biochemisches Ungleichgewicht, das körperliche und/oder psychische Entzugssymptome verursacht und Craving auslöst.

Auch Stress, Angst, Meditation, Liebe, Hass, Verzeiflung, Hypnose, Psychotherapie, Beten etc. hinterlassen biochemische Spuren im Gehirn... und auch Sehnsucht ist nur eine Art Craving!

Dass auch BAC kein Wundermittel ist, siehst du doch an der großen Zahl von Baclofen-Verwendern, die trotzdem noch weiter trinken.

Psychotherapie bei Alkoholismus kann so gesehen gar nicht versagen, da aktive Konsumenten regelmäßig als ungeeignet gelten - erst Entwöhnung, dann Psychotherapie, wie es in den PT-Richtlinien heisst. Psychotherapie, um die Notwendigkeit des Trinkens zur Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts überflüssig zu machen...

Es kann nicht das Ziel von Psychotherapie sein, einen Menschen, der Alkohol oder andere Suchtmittel zum Schutz seines Selbst braucht, in Abstinenz zu zwingen - dann muss sie versagen

Gruß

Praxx


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BeitragVerfasst: Dienstag 23. März 2010, 15:17 
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Beiträge: 575
Hallo Praxx

vielen Dank für Deinen sehr interessanten Bericht.

Ich habe nach meiner Entgiftung 2 ambulante Psychotherapien gemacht, die mich vor Rückfällen nicht bewahrt haben, ebenso hat die Therapie mit Benzos nicht angeschlagen - im Gegenteil, jetzt bin ich auch noch tablettenabhängig und bemühe mich, von dieser Sucht, durch Ausschleichen, loszukommen.

Seit ich Baclofen nehme, hatte ich keinen Alkoholabsturz mehr. Der Wirkstoff unterdrückt bei mir das sg. Craving.

Um die Hintergründe meiner Alkoholabhängigkeit aufzuarbeiten, und das ist sicherlich ein ganz wichtiger Faktor, werde ich demnächst wieder eine Psychotherapie aufnehmen.

Ich denke, die Kombination der medikamentösen Therapie mit Baclofen und begleitende Psychotherapie wird der richtig Weg sein, um langfristig mein Ziel, totale Abstinenz, abzusichern.

Liebe Grüsse
Emelie


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 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: Dienstag 23. März 2010, 15:51 
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Registriert: Freitag 27. November 2009, 17:11
Beiträge: 8253
Wohnort: München
@praxx,

Zitat:
Auch Stress, Angst, Meditation, Liebe, Hass, Verzeiflung, Hypnose, Psychotherapie, Beten etc. hinterlassen biochemische Spuren im Gehirn... und auch Sehnsucht ist nur eine Art Craving!

Mit einem Wort: Leben hinterlässt biochemische Spuren.

Zitat:
Dass auch BAC kein Wundermittel ist, siehst du doch an der großen Zahl von Baclofen-Verwendern, die trotzdem noch weiter trinken.

Welcher Quelle entnimmst Du diese große Zahl? Wenn die Zahl aus den Umfrageergebnissen stammen sollte (woher sonst), wäre meine nächste Frage wie Du „weitertrinken“ definierst.

LG Federico

_________________
„Es gibt keine Alternative zum Optimismus,
Pessimismus ist Lebensfeigheit.“
Richard David Precht


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 Betreff des Beitrags: Ratio vs. Krankenkassenrichtlinie
BeitragVerfasst: Dienstag 23. März 2010, 16:16 
@ Praxx

Schade, ich wäre gerne in eine ernsthafte Diskussion über Alkoholabhänggikeit und Psychotherapie unter der Prämisse, dass Baclofen ein wirksames Medikament ist, eingestiegen.
Aber vielleicht war meine flapsige Bemerkung dazu nicht ausreichend.
Sorry von mir, also noch ein Versuch:
Es gibt einige Typologien für Alkoholiker, das bekannteste vielleicht nach Lesch Typen 1- 4. Alles phänomenologisch ergo subjektiv.

In den letzten Jahren wird wohl immer deutlicher, dass eine Unterteilung in dopaminerge und gabaerg- gesteuerte Alkoholiker für eine pharmakologische Behandlung wesentlich ist. Im übrigen haben beide Gruppen ein völlig anderes Cravingverhalten (reward und relief craving).

Und natürlich gibt es die Psychotherapie, die landläufige main street Meinung in den Suchtkliniken und in den Psychotherapiepraxen.
Stichworte: Vorboten erkennen, Situationsvermeidung, neue neuronale Pfade schaffen, Expositionstraining und Aushalten und ähnliches. Alles untaugliche Methoden zur Überwindung des Craving.
Wenn ich nur an das unsägliche Eisenbahntunnelmodell von Dr. Lindenmeyer denke.
D.h. es gibt keinen einzigen sinnvollen Beitrag der Psychotherapie zur Behandlung des Kernproblems des gabaergen Alkoholikers, dem Craving.
Das mag bei dopaminergen Alkoholikern etwas anders sein, bei denen hat ja bereits ein Placebo-medikation eine enorme positive Wirkung (vergl. Doppelblindtests an Naltrexon oder Nalmefen).
Aber seit einigen Jahren gibt es bei den gabaergen Alkoholikern das Baclofen, das das Hauptproblem, das Craving, unterdrückt. Jetzt könnte eine angepasste Psychotherapie, die sich auf ihr erprobtes Instrumentarium oder eine Weiterentwicklung dessen beschränkt, enorm hilfreich sein.
Unsere Umfagen deuten auf die positive Wirkung von Psychotherapie hin. Wieviel wirksamer könnte dann eine adaptierte Psychotherapie sein? Darauf zielte meine Bemerkung.

Dein Dogma , nur ein trockener Alkoholiker ist geeignet für eine Psychotherapie, ist vielleicht für Krankenkassen richtig. Aber das Baclofen kennt ja die Krankenkassenrichtlinien nicht und weiss auch nicht , ob einer abstinent ist oder in Wirklichkeit moderat trinkt, das hilft einfach beiden, den gewünschten Zustand zu erhalten. Und dann kann die Psychotherapie für beide Gruppen genauso hilfreich sein.

Für mich ist Ratio hilfreicher als eine Krankenkassenrichtlinie.

LG invorio


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 Betreff des Beitrags: Re: Ratio vs. Krankenkassenrichtlinie
BeitragVerfasst: Dienstag 23. März 2010, 19:03 
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Registriert: Montag 22. März 2010, 14:32
Beiträge: 485
Wohnort: Oberhausen
invorio hat geschrieben:
@ Praxx

Schade, ich wäre gerne in eine ernsthafte Diskussion über Alkoholabhänggikeit und Psychotherapie unter der Prämisse, dass Baclofen ein wirksames Medikament ist, eingestiegen.
Aber vielleicht war meine flapsige Bemerkung dazu nicht ausreichend.
Sorry von mir, also noch ein Versuch:
Es gibt einige Typologien für Alkoholiker, das bekannteste vielleicht nach Lesch Typen 1- 4. Alles phänomenologisch ergo subjektiv.

In den letzten Jahren wird wohl immer deutlicher, dass eine Unterteilung in dopaminerge und gabaerg- gesteuerte Alkoholiker für eine pharmakologische Behandlung wesentlich ist. Im übrigen haben beide Gruppen ein völlig anderes Cravingverhalten (reward und relief craving).

Und natürlich gibt es die Psychotherapie, die landläufige main street Meinung in den Suchtkliniken und in den Psychotherapiepraxen.
Stichworte: Vorboten erkennen, Situationsvermeidung, neue neuronale Pfade schaffen, Expositionstraining und Aushalten und ähnliches. Alles untaugliche Methoden zur Überwindung des Craving.
Wenn ich nur an das unsägliche Eisenbahntunnelmodell von Dr. Lindenmeyer denke.
D.h. es gibt keinen einzigen sinnvollen Beitrag der Psychotherapie zur Behandlung des Kernproblems des gabaergen Alkoholikers, dem Craving.
Das mag bei dopaminergen Alkoholikern etwas anders sein, bei denen hat ja bereits ein Placebo-medikation eine enorme positive Wirkung (vergl. Doppelblindtests an Naltrexon oder Nalmefen).
Aber seit einigen Jahren gibt es bei den gabaergen Alkoholikern das Baclofen, das das Hauptproblem, das Craving, unterdrückt. Jetzt könnte eine angepasste Psychotherapie, die sich auf ihr erprobtes Instrumentarium oder eine Weiterentwicklung dessen beschränkt, enorm hilfreich sein.
Unsere Umfagen deuten auf die positive Wirkung von Psychotherapie hin. Wieviel wirksamer könnte dann eine adaptierte Psychotherapie sein? Darauf zielte meine Bemerkung.

Dein Dogma , nur ein trockener Alkoholiker ist geeignet für eine Psychotherapie, ist vielleicht für Krankenkassen richtig. Aber das Baclofen kennt ja die Krankenkassenrichtlinien nicht und weiss auch nicht , ob einer abstinent ist oder in Wirklichkeit moderat trinkt, das hilft einfach beiden, den gewünschten Zustand zu erhalten. Und dann kann die Psychotherapie für beide Gruppen genauso hilfreich sein.

Für mich ist Ratio hilfreicher als eine Krankenkassenrichtlinie.

LG invorio



Ups... da muss ich wohl zurückhaltender sein mit aus dem Handgelenk geschüttelten Postings, die mehr aus dem Bauch kommen...

@ Federico:
alles ist relativ: jedenfalls habe ich beim Überfliegen einger Postings bemerkt, dass sich diejenigen Poster, die selbst weiter trinken, auf eine anscheinend recht relevante Zahl gleich betroffener berufen

@ invorio:

Ich kann da bedenkenlos zustimmen, dass Reward-Craving eher dopaminerg und Relief-Craving eher gabaerg sind.
Die Ursache sehe ich - zugegeben spekulativ - in der Psychodynamik, die dem süchtigen Verhalten zugrunde liegt. Meist sorgt ein Suchtmittel - oder ein süchtiges Verhalten - dafür, dass ich entweder etwas besser kann (-> reward-craving) oder besser aushalten kann (-> relief-craving). Häufig allerdings beides.

Diese subjektiv positiven Effekte des Suchtverhaltens sind jedoch meist nur ein Nebenschauplatz: Die Sucht tut mehr, sie verhütet schlimmeres! Das kann etwas real schlimmes sein - z.B. ein Suizid oder Totschlag - oder etwas subjektiv gleichwertig empfundenes, z.B. den zur adäquaten Lösung eines inneren Konflikts notwendigen Bruch eines inneren Tabus

Das behaviourale Herangehen an die Sucht befasst sich meist nicht mit diesem individuell verschiedenen Kernproblem, sondern hält sich m.E. zu sehr an den repetitiv dysfunktionalen Mustern der unmittelbaren Konsummotive fest und beläßt den Kernkonflikt in seiner Verdrängung.

Hier sehe ich den Ansatz für eine erfolgreiche psychodynamische Therapie.

Dafür sollte nun aber möglichst Abstinenz bestehen, damit die Therapie ihre Wirkung auch entfalten kann - und wenn das mit Baclofen erreichbar ist, ist das für viele, die sonst permanent scheitern, eine großartige Option!

Nicht vergessen bitte: Suchtbehandlung in D ist so etwas wie die Mühle bei Max und Moritz... schmeiss oben 1000 Abhängige hinein, kommen hinten ein paar Hundert heraus, die unterschiedlich lange clean oder trocken sind und als Beleg für die "Wirksamkei" des Verfahrens herhalten müssen... wer nicht dazu gehört, hat halt Pech gehabt, egal, wie oft du ihn da durchlaufen lässt.

Und alle benutzen die gleichen angeblich "wirksamen" Verfahren, weil nur die von den Kostenträgern bezahlt werden

Die Entwöhnungsindustrie (SHG, Suchtberatung, Entgiftung, Entwöhnung, Nachsorge) ist eine mächtige Lobby, da geht es um sehr viel Geld

LG

Praxx


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 Betreff des Beitrags: Psychotherapie und Baclofen
BeitragVerfasst: Mittwoch 24. März 2010, 08:29 
Hallo praxx,

in der Beurteilung der Entwöhnungsindustrie mit ihren sog. „Therapien“ sind wir uns wohl einig. Der dort weit verbreitete manualisierte Verhaltenstherapie-Ansatz sollte schon längst in der Endlagerstätte für gescheiterte Therapien gelandet sein. Aber die Lobby ist stark, die Margen sind hoch (das therapeutische Personal ist preiswert, da in der Regel nur Psychotherapeuten am besten noch in der Ausbildung so einen Therapieschrott vertreten) und die Patienten kommen immer wieder, zwangsläufig. Erfolgsquoten der Entwöhnung werden über eine dubiose Qualitätssicherung schön geredet und gerechnet.
Läuft also alles bestens und die Kostenträger sind zufrieden, da ja das Ziel der Entwöhnung in der Regel die Herstellung der Arbeitsfähigkeit zum Zeitpunkt der Entlassung ist, nicht die dauerhafte Abstinenz.

So eine Industrie zu verändern ist fast nicht möglich in endlicher Zeit. Aber dass die ganzen stationären Bettenburgveranstaltungen zu nichts führen, ist den eigentlich Betroffenen, den Alkoholikern, vielfach klar.

Da sehe ich eine Riesenchance für eine Baclofen-gestützte ambulante Therapie. Da wo die Verhaltenstherapie oder die analytische Psychotherapie eh nichts bewirken, beim Craving, kannst Du Baclofen einsetzen. Die dadurch frei gewordenen Therapiestunden kannst Du für sinnvolle Arbeit mit dem Patienten nutzen.

Alkohol erzeugt über das Glutamat als Neurotransmitter bei häufigem Konsum eine dauerhafte Verstärkung synaptischer Reize, die soweit ich weiß, nicht reversibel ist. Die einzige Möglichkeit dem entgegen zu wirken, ist eine Stärkung des hemmenden Neurotransmitters GABA, was Baclofen als GABA Agonist letztendlich tut. Das bedeutet aber- und alle unsere Erfahrungsberichte und eine Studie von Addolorato sprechen dafür- dass bei Absetzen von Baclofen das Craving wiederkommt. Die mystischen neuen neuronalen Pfade der Verhaltenstherapie existieren halt schlicht nicht. Baclofen ist eine lebenslange Medikation.

Was hilft in so einer Situation die Psychodynamik, das Verstehen von Ursachen, das Aufdecken von verdeckten Zusammenhängen und dergl.? Und wie hilft die Psychodynamik den Menschen, die moderat trinken und nicht abstinent leben wollen (hier im Forum ein gutes Drittel der Teilnehmer an unseren Umfragen)? (Guten Tag Dr. Körkel).

Du siehst die Chance durch Baclofen abstinente Patienten für Deine analytische Betrachtung/Behandlung der Krankheit zu erhalten. Das ist meiner Meinung zu kurz gedacht und lehnt sich immer noch an die tradierten Vorstellungen der Psychotherapie an.

LG invorio


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 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: Mittwoch 24. März 2010, 14:27 
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Registriert: Montag 22. März 2010, 14:32
Beiträge: 485
Wohnort: Oberhausen
Hi Invorio,

da die tradierten Vorstellungen der psychodynamischen Therapie immer mehr Rückhalt (und auch Korrekturen!) durch die neurophysiologische Forschung erfahren, sehe ich das nicht ganz so eng.

Diejenigen, die nur moderat trinken und keinesfalls abstinent leben wollen, sind nicht besser und nicht schlechter als alle anderen.

Ich halte die Vorstellung, Baclofen sei IMMER eine life-time-Medikation, für etwas zu strikt und würde dabei vorziehen, dass sie zunächst auf unbestimmte Zeit angelegt ist.

Aus amerikanischen Untersuchungen ist bekannt, dass auch ohne weitere therapeutische Maßnahmen immerhin 15-30% der Menschen, die einen klinischen Entzug durchlaufen haben, in ihrem späteren Leben zu einem moderaten Alkoholkonsum zurückfinden.

Bei hochtoleranten Opioidkonsumenten ist bekannt, dass sie möglicherweise lebenslänglich mit niedrigsten Opioiddosen weiterbehandelt werden müssen, weil sonst Craving und Rückfall folgen. Ich habe 2 Patienten, die zB 0.1 mg Buprenorphin (normale Substitutionsdosis zwischen 4 und 16 mg) brauchen, um stabil zu bleiben.

Nicht verwunderlich auch, dass Champix in der Nikotinentwöhnung beim Absetzen ebenfalls wieder Craving auslöst

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass Psychotherapie auch bei moderat konsumierenden oder aktuell abstinenten Patienten Rückfälle provozieren kann. Insoweit wäre die begleitende Baclofentherapie eine ideale Unterstützung, so dass ich dieses Vorgehen schon heute nachmittag einer geeigneten Patientin vorschlagen werde.

LG

Praxx


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 Betreff des Beitrags: Paradigmenwechsel
BeitragVerfasst: Mittwoch 24. März 2010, 20:06 
Hallo Praxx,

das die neurophysiologischen Forschung den psychodynamischen Therapien einen Rückhalt gibt, ist mir neu: Ein link dazu wäre sehr hilfreich für mich. Bisher war mir nur klar, dass Psychotherapie ähnliche stoffliche Veränderungen im Gehirn wie Psychopharmaka erzeugen kann (in bestimmten Fällen).

Aber um auf den Alkoholismus im Speziellen zurückzukommen: Du überschätzt die Wirkung der Psychotherapie auf diesem Gebiet. In diesem Forum sind bestimmt einige Mannjahre wirkungslose psychotherapeutische Erfahrung versammelt, leider zum Teil auch verbunden mit starken Aversionen gegen die Psychotherapie.

Solange die Psychotherapie sich nicht begreift als begleitende Massnahme einer Medikation mit Baclofen, sondern als das Instrumentarium der Wahl bei der Alkoholismusbehandlung, kommt auch nicht wirklich das Optimum dabei raus.
Das ist sicher ein Paradigmenwechsel, aber, so sehe ich das, ein notwendiger.

LG invorio


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 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: Mittwoch 24. März 2010, 23:16 
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Registriert: Montag 22. März 2010, 14:32
Beiträge: 485
Wohnort: Oberhausen
@ invorio

ich überschätze die Psychotherapie sicher nicht - schließlich befasse ich mich seit fast 20 Jahren mit Suchtmedizin und weiss um die Grenzen...

Ein Paradigmenwechsel weg von der strikten Abstinenz hin zur zieloffenen Suchtarbeit wäre schon mal ein erster Schritt...

Wenn Baclofen dabei hilft, ist das gut und sollte genutzt werden.

Allerdings sträuben sich sehr viele Fasern in mir dagegen, Sucht als irreversiblen neuronalen Prozess zu begreifen, von dem nur wenige Glückliche aus unerfindlichen Gründen nicht betroffen werden.

Wäre Sucht tatsächlich irreversibel, dürfte es keine Menschen geben, die sich davon dauerhaft lösen können, würde die obsolete AA-Hypothese vom lebenslänglichen Alkoholiker, der von Weinsoße rückfällig wird, fortgeschrieben... DAS möchte ich auf keinen Fall.

Jeder Süchtige kann sich letztlich nur selbst heilen, und die Zahl derjenigen, die das schaffen, ist zu groß, um irgendeine Hypothese zu stützen, die irreversible Veränderungen durch das Suchtmittel postuliert.

Selbst mit hohen Dosen methadonsubstituierte Drogenabhängige mit permanent gesättigten Rezeptoren entwickeln in Belastungssituationen Craving und konsumieren zusätzlich Heroin, Alkohol oder andere Substanzen.

Die Zahl der Suchtmerkmale der ICD-10 oder der DSM-IV ist, wie Körkel gezeigt hat, mit der konsumierten Substanzmenge linear korreliert. Dies gilt nachweislich für Alkohol, aber auch andere stoffliche Süchte und wahrscheinlich auch für nichtstoffliche Süchte wie Esssucht, Glücksspiel, Kaufsucht...

Jeder Missbrauch des Belohnungssystems pfuscht in dopaminergen, gabaergen, noradrenergen, glutaminergen und serotoninergen Nervenbahnen herum und schafft ein Ungleichgewicht, das ohne den externen Stimulus Craving in irgendeiner Form hervorruft.

Die Intensität des Craving lässt in der Regel mit der Zeit nach, wenn sich der Rezeptorstatus der neuen Situation anpasst.

Bei Drogenabhängigen kann zB die Substitutionsdosis ohne Provokation von Craving in 5-10%-Schritten der Ausgangsdosis reduziert werden, wenn zwischen den Schritten mindestens 3 Wochen liegen, das Ausschleichen läuft also über ein halbes bis ganzes Jahr!

Dieses Tempo müsste auch beim Abdosieren von Baclofen erprobt werden, um das Wiederauftreten von Craving zu vermeiden.

Ich schätze (ohne wissenschaftlichen Beleg), dass nach einjähriger Abstinenz unter Behandlung mit der Erhaltungsdosis ein langsames Ausschleichen des Baclofen möglich sein sollte, ohne erneutes Craving zu provozieren

LG Praxx


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