Baclofen Forum vs Alkoholismus

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 Betreff des Beitrags: Die Baclofen Saga von Prof. Bernard Granger
BeitragVerfasst: Mittwoch 7. Mai 2014, 17:27 
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Tom Bschor's „kannnichfunktionieren“ noch im Ohr, hat es sich aufgedrängt,
eine andere Sicht der Dinge anzubieten. Eine große Hoffnung hat sich nicht erfüllt.
Die medikamentöse Behandlung des Alkoholismus ist in Frankreich weit vorangeschritten –
in Deutschland tritt man auf der Stelle, bzw. einen Schritt zurück.

Professor Granger's Baclofen-Saga zeigt in der Retrospektive, welche Kräfte sich gegen den
gesunden Menschenverstand und für eigennützige Ziele, dem Fortschritt entgegen stemmen.
Sie zeigt auch, dass es sich am Ende lohnt, für eine Sache statt gegen eine Sache zu kämpfen.
Vor allem wenn es dabei um Menschenleben geht, um die Verbesserung einer fast aussichts-
losen Situation, für Millionen alkoholkranker Menschen – um Menschenleben.

Das Maß der Dinge ist in beiden Ländern die Profitmaximierung des Einzelnen und der
Pharmakonzerne. Menschliche Schicksale spielen eine untergeordnete Rolle. Im Unterschied
zu Frankreich, hat sich bei uns keine ärztliche Vereinigung gebildet, geschweige denn an die
Nationale Ethikkommission appelliert.

Man glaubt es kaum, die gibt es tatsächlich. Auf der Homepage steht an erster Stelle:
Tätigkeit der NEK-CNE im Jahr 2014: Im Laufe des Jahres 2014 befasst sich die NEK-CNE
mit einer Problematik am Puls der Zeit: Kosten-Nutzen-Bewertungen in der Medizin.

Alles klar soweit?
Federico


Bild

Teil 1 der Baclofen-Saga

Bernard Granger, Professor für Psychiatrie an der Université Descartes Paris,
gibt Antworten auf die Frage:

Als radikales Mittel gegen den Alkoholismus ist Baclofen eine grosse medizinische Entdeckung.
Warum wird es nicht anerkannt?

Als Objekt einer wissenschaftlichen Kontroverse, wie oft bei grossen Entdeckungen in der
Medizin, nimmt die Anwendung von Baclofen in hoher Dosierung mehr und mehr Platz in der
Behandlung des Alkoholismus ein. Sehr zum Missfallen der offiziellen Suchtforschung, die in
Dogmen und Interessenkonflikte verfangen ist und vor dem Hintergrund einer relativen,
therapeutischen Ohnmacht.

Baclofen wurde ursprünglich - ohne Erfolg - als Antiepileptikum entwickelt und in den
70er Jahren als Mittel gegen Muskelspasmen vermarktet. Insbesondere bei Rückenmarks-
verletzungen und bei neurodegenerativen Krankheiten wie Multipler Sklerose und ALS.
Es gilt somit als sicheres Medikament ohne beeinträchtigende Nebenwirkungen. Es wird bei
neurologischen Indikationen nach wie vor weiträumig eingesetzt.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigten mehrere erst offene, dann doppelblinde und Placebo
kontrollierte Studien, die Wirksamkeit von Baclofen in der Alkoholentwöhnung und der
Aufrechterhaltung der Abstinenz bei einer täglichen Dosis von 30mg. Die Studienautoren
vermerkten, dass der überwältigende Drang nach Alkohol (Craving) durch Baclofen stark
gedämpft wurde.

Alles verändert sich Ende 2005, als Olivier Ameisen, ein französischer Arzt und Kardiologe
an einer renommierten New Yorker Universität, den Bericht eines Selbstversuchs publiziert.
Er beschreibt darin seine durch Baclofen erreichte "Heilung" von Alkoholismus, allerdings mit
hohen Dosierungen von bis zu 270mg pro Tag. Baclofen unterdrückte bei ihm das Craving
und macht ihn Alkohol gegenüber gleichgültig.

2008 schildert sein aufsehenerregendes Buch "Le Dernier Verre" (Denoel) die Entwicklung
bis hin zu dieser Entdeckung und macht sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Eine 2010
veröffentlichte, offene Studie von Prof. Olivier Ameisen und Dr. Renaud de Beaurepaire,
bestätigt die aussergewöhnliche Wirkung von Baclofen, die Alkoholikern ermöglicht, mit dem
Trinken aufzuhören. Die Studie umfasste 60 Patienten die mit 87% gute Resultate über drei
Monate erreichten (Abstinenz oder moderaten Alkoholkonsum). Die Tagesdosierungen lagen
zwischen 15 und 300mg, die durchschnittliche Dosis betrug 145mg. Eine Erfolgsquote, weit
über den konventionellen Behandlungsmethoden. Weitere Studien sind vorgesehen und sollen
durch die eindeutigste aller Verfahren, doppelblinde, placebokontrollierte Studien, die bemer-
kenswerte Wirksamkeit von Baclofen bestätigen.

Von zahlreichen verschreibenden Ärzten bestätigt, stösst diese Entdeckung auf viele
Interessenkonflikte und wird einige Hindernisse überwinden müssen, bevor sie ihrem Wert
entsprechend anerkannt wird. Sie verändert das Leben zahlreicher Alkoholkranker hin zum
Guten, was offenbar weder den Behörden noch gewissen "Spezialisten" zu genügen scheint.

Bernard Granger
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Richard David Precht


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Baclofen Saga von Prof. Bernard Granger
BeitragVerfasst: Donnerstag 8. Mai 2014, 15:23 
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Teil 2 der Baclofen-Saga

Die Behandlung des Alkoholismus hat sich mit Baclofen grundlegend verändert.
Konkurrierende Pharmafirmen stört das natürlich.

Fast alles ist atypisch in der Baclofen Saga. Es handelt sich um ein altes Medikament, dessen
Patent seit langem abgelaufen ist. Die neue Indikation bei Alkoholismus interessiert deshalb
weder die Pharmafirma Novartis, die es ursprünglich vermarktete, noch den Hersteller des
Generikums, eine Tochterfirma von Sanofi-Aventis. Beide Firmen profitieren gern von den
erheblich gestiegenen Verkaufszahlen, weisen aber die Übernahme eines neuen Bewilligungs-
antrags und der daraus folgenden Verantwortung von sich. Es regnet Geld von selbst!
Zum Teil erklärt sich so der schleppende Fortschritt der Untersuchungen, der einzig auf die
Behörden und den Bürokratismus des Gesundheitswesens in unserem Land zurückzuführen ist.

Hinzu kommt, dass Baclofen zu einem Zeitpunkt auftaucht, da andere Produkte mit der
gleichen Indikation entwickelt werden. Da die Entwicklung eines neuen Medikaments mehrere
hundert Millionen Euro kostet, ist Baclofen den Firmen dieser Konkurrenzprodukte ein Dorn im
Auge. Es droht ihre Hoffnungen auf einen schnellen Return of Investment (ROI) zu schmälern.

Professor Olivier Ameisen, der entdeckt hat, dass hohe Dosen von Baclofen das unwidersteh-
liche Verlagen nach Alkohol (Craving) unterdrückt, und eine Gleichgültigkeit diesem gegenüber
bewirkt, gehört nicht zum Zirkel der Suchtmediziner. Er ist französischer Kardiologe, ausgewan-
dert in die Vereinigten Staaten und er ist vor allem selbst von Alkohol abhängig.

Alles beruht auf dem Report seines Selbstversuchs, der seit Dezember 2004 auf der
Internetseite der Wissenschaftszeitschrift "Alcohol and Alcoholism" und in der Print-Ausgabe
März-April 2005 unter dem Titel «Complete and prolonged suppression of symptoms and
consequences of alcohol-dependence using high-dose baclofen: a self-case report of a
physician» publiziert wurde.

Die Beweisführung basiert auf drei Punkten:
(1) Studien zu Tagesdosierungen von 30 mg zeigten eine Wirkung auf die Reduktion des
Alkoholkonsums und das Craving bei abhängigen Patienten;
(2) ein Tierversuch zeigte einen dosisabhängigen Effekt auf das Alkoholverlangen bei
proportional zehnfach höheren als den zuvor bei Menschen für diese Indikation verabreichten
Dosierungen;
(3) Neurologen verwenden mitunter bei Patienten mit multipler Sklerose hohe Dosierungen bis
zu 300 mg pro Tag, ohne besondere Toxizität.

Ameisen hatte sich vorgenommen, den Tierversuch auf den Menschen zu übertragen, im
Wissen darum, dass auch hohe Dosen von Baclofen verträglich sind. Er machte den Selbst-
versuch, der perfekt gelang. Das Craving verringerte sich nicht nur, sondern es verschwand,
und es trat eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Alkohol ein. Ausserdem unterstreicht
Ameisen in seiner bahnbrechenden Veröffentlichung die angstlösende Wirkung von Baclofen
und das Wohlbefinden, das es verschafft. Er beginnt die Diskussion seines Fallbeispiels mit den
Worten:

„Ich habe keine Kenntnis von Berichten über medizinische Behandlungen, welche die totale
Unterdrückung des Cravings oder der anderen Symptome und Folgen der Alkoholabhängigkeit
bewirken, weder von den Anonymen Alkoholikern, noch von Kognitiver Verhaltenstherapie,
von Suchtkliniken oder aus der medizinischen Fachliteratur. Ich beschreibe hier, wie es mir
gelang, durch die Anwendung hoher Baclofen-Dosen innerhalb neun Monaten, alle Anzeichen
und Folgen der Alkoholabhängigkeit komplett zu unterdrücken und parallel die begleitende
therapieresistente Angststörung unter Kontrolle zu bringen.“

Angesichts des mageren Echos auf seine Publikation beschloss Ameisen, mit seiner Geschichte
an die Öffentlichkeit zu gehen: sein Buch „Le Dernier Verre“ (Denoël) erschien 2008. Bereits
zuvor hatte sich ihm mit Dr. Renaud de Beaurepaire ein anderer „Outsider“ angeschlossen,
auch er weder Suchtexperte noch Suchtforscher. Als leitender Arzt im Hôpital Paul-Guiraud
von Villejuif hatte er eine grössere Zahl von Patienten behandelt und mit Ameisen zusammen,
in den hochangesehenen „Annales médico-psychologiques“ darüber publiziert:
die erste Studie zur Wirksamkeit von Baclofen in hoher Dosierung über eine grössere Reihe
von Patienten.
Die Autoren führen in ihrer offenen Studie mit 60 Patienten, die über mindestens
drei Monate begleitet wurden, 88 % gute Ergebnisse (Abstinenz oder moderater Konsum) auf.

Ein weiterer aussergewöhnlicher Arzt interessierte sich nach Erscheinen von Ameisen's Buch
für Baclofen: Dr. Jaury, Professor für Allgemeinmedizin an Université René Descartes. Seit 1976
in eigener Praxis tätig, war er einer der Pioniere der Substitutionstherapie bei Heroinabhängigen.
Ende der 80er Jahre, als diese Praxis noch verboten war und er deshalb von Kollegen als
„Dealer“ beschimpft wurde. Mit drei weiteren Ärzten gründeten de Beaurepaire und Jaury ein
erstes Netzwerk, dem nach und nach andere Baclofen-Befürworter beitraten.

Zwei Vereinigungen, Aubes (gegründet Januar 2010) und Baclofène (gegründet Mai 2011),
folgten dem Konzept von „médecine 2.0“, welches Dr. Dominique Dupagne mit Herzblut
lanciert hatte: die Verbindung zwischen verschreibenden Ärzten und Patienten durch eine
Webseite sicherzustellen. Der Internetbesucher findet auf diesen beiden Seiten leicht zugäng-
liche Informationen und Erfahrungsberichte. Hier findet sich in der Geschichte der beiden
Vereinigungen auch die einzige, typische Episode dieser Saga: Sie stehen in Konflikt miteinander,
die zweite aus ersterer hervorgegangen und abgespalten – ein durchaus übliches Schicksal
solcher Vereinigungen.

Bernard Granger
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 Betreff des Beitrags: Re: Die Baclofen Saga von Prof. Bernard Granger
BeitragVerfasst: Donnerstag 8. Mai 2014, 17:47 
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Teil 3 der Baclofen-Saga

Der Wind dreht:

Im Juni 2011 gab die Afssaps (Agence française de sécurité sanitaire des produits de santé,
deutsch: Französische Agentur für die Sicherheit von Gesundheitsprodukten) eine negative
Stellungnahme zur Wirksamkeit von Baclofen bei der Behandlung der Alkoholabhängigkeit ab.
Diese Warnung stützte sich auf Schlussfolgerungen von Experten, welche teilweise in Verbindung
zu Produzenten von Konkurrenzprodukten standen. Fast zehn Monate dauerte es, bis die
Afssaps unter Druck von Professor Granger's hartnäckigen Interventionen eine Mitteilung
herausgab, die die Wirksamkeit des neuen Medikaments angemessener beurteilte.

Im Juni 2011 hatte die Afssaps eine Stellungnahme zur Verwendung von Baclofen bei
Alkoholabhängigkeit
abgegeben. Sie war als "Warnung" betitelt und beharrte auf der fehlenden
Datenlage in Hinsicht auf Wirksamkeit und Risiken:
«Der Nutzen von Baclofen bei Alkoholabhängigkeit ist zum heutigen Zeitpunkt nicht erwiesen
und es sind nur beschränkte Daten zur Anwendungssicherheit in dieser Indikation vorhanden,
zumal die Dosierungsempfehlungen oft überschritten werden. » Diese Warnung hielt viele
Ärzte davon ab, Baclofen zu verschreiben, während die Baclofen-Gegner, deren führende
Köpfe paradoxerweise hauptsächlich aus der Suchtforschung stammen, sie als Fahne zur
Rechtfertigung gegen die Verschreibung schwenkten.

Von Juni 2011 an wandte ich mich schriftlich an den Vorsitzenden der Afssaps (mit Kopie an
das Büro des Gesundheitsministeriums) und protestierte gegen diese Warnung, die mir nicht
den wissenschaftlich belegten Daten zu entsprechen schien. Darüber hinaus war sie im
Anschluss an eine Versammlung von "Experten" ausgesprochen worden, unter ihnen gewisse
Mitglieder mit Interessenverbindungen zu Entwicklern und Herstellern von Konkurrenz-
produkten, deren Wirksamkeit vergleichsweise gering ist (Acamprosat, Naltrexon, Nalmefen).

In einer Antwort auf meine erste Intervention, die nie veröffentlicht wurde, hatte die Afssaps
sich zum einen dafür eingesetzt, eine Kohortenstudie zu ermöglichen, und zum anderen die
Absicht geäussert, die Interessenkonflikte der Experten durch die Standrechtliche Kommission
der Behörde zu klären. Keiner der beiden Punkte wurde weiterverfolgt.

Ich schrieb am 21. September an Professor Philippe Lechat, der bei Afssaps für das Dossier
zuständig war, mit Kopie an Professor Dominique Maraninchi, Vorsitzender der Afssaps, und
an das Büro des Gesundheitsministers. Zuvor liess ich, wie verlangt, erst die Sommerferien
verstreichen. Am 28. September 2011 antwortete mir Professor Philippe Lechat, man müsse
„das Ende der parlamentarischen Debatte über das neue Gesetz abwarten, welche zur Zeit in
der Nationalversammlung stattfindet“. Am 19. Dezember erfolgte die Abstimmung zum neuen
Gesetz zur Förderung der Medikamentensicherheit. Vergeblich auf eine Antwort wartend,
schrieb ich am 18. Januar und am 2. März 2012 erneut. Die Antwort von Professor Lechat vom
23. März bestand aus allseits bekannten Informationen, auf die von mir gestellte Forderung
nach Überarbeitung der Warnung wurde nicht eingegangen.

Der Professor schrieb insbesondere: „Seit dem Expertentreffen von 2011 wurden keine
Studiendaten von eindeutigem wissenschaftlichen Wert veröffentlicht. Die Afssaps unterstützt
demgegenüber die Aufnahme einer klinischen Studie. Seien Sie versichert, dass die Afssaps
Baclofen zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit grosses Interesse entgegen bringt, bei
gleichzeitiger Wachsamkeit, um den Bedürfnissen der Patienten zu entsprechen und ihre
bestmögliche Sicherheit zu gewährleisten.“

Konfrontiert mit dieser böswillig gefärbten Untätigkeit, die in beklagenswerter Weise all die
zahlreichen Erfahrungsberichte von Patienten und Ärzten über die unzweifelhafte Wirksamkeit
von Baclofen ignorierte, schrieb ich am 28 März einen sehr harschen Brief an das Ministerium
und die Afssaps. Am selben Abend noch antwortete Professor Lechat und erklärte von einem
rein formalen Standpunkt aus, dass der Afssaps die Hände gebunden seien, solange kein
Pharmaunternehmen die Ausweitung der Bewilligung von Baclofen auf die Behandlung der
Alkoholabhängigkeit beantrage. Meine Antwort darauf, datiert vom 30. März, in der ich
bedauerte, dass die Afssaps letztlich nichts als «Ausführendes Organ im Dienst der Industrie »
sei, bewegte schliesslich das Gesundheitsministerium und den Generalsekretär der Afssaps zu
einer Reaktion.

In der Folge unterzog letzterer den Text von 2011 umgehend einer Überarbeitung.
Die ganze Korrespondenz wurde Schritt für Schritt auf dieser Webseite veröffentlicht.

Es war also nötig gewesen, beiden Exponenten öffentlich ein Strafverfahren anzudrohen,
um endlich die Reaktion zu erhalten, um die ich seit Juni 2011 gebeten hatte. Mehrere
Presseberichte sprachen in der Folge bereits von der Entwicklung eines Skandals, schlimmer
noch als derjenige rund um Médiator (vgl. Paris Match et Slate).

Diese Umstände erklären, dass der neue Text der Afssaps vom 24. April 2012 Baclofen
gegenüber viel positiver ausfiel. Er anerkennt dessen Wirksamkeit bei „gewissen Patienten“ (sic)
und weist darauf hin, dass die Daten der Arzneimittelaufsicht eher beruhigend sind. Diese
neue Beurteilung berücksichtigt die aktuellen wissenschaftlichen Daten viel besser und wäre
bereits im Juni 2011 möglich gewesen, weil die in der Zwischenzeit zusätzlich erarbeiteten
Daten die damals vorhandenen Ergebnisse nur bestätigten, auch wenn eine neue Publikation in
Alcohol and Alcoholism den Vorwand für dieses „Aggiornamento“ lieferte.

Im Grunde war bereits 2010 eine vergleichbare Beobachtungsstudie zu derjenigen von
Ameisen und Beaurepaire verfügbar gewesen, und die Daten der Arzneimittelsicherheit für ein
seit Jahrzenten gebräuchliches Produkt waren schon zuvor beruhigend gewesen, auch in
hohen Dosierungen in der Neurologie.

Von der Presse unmittelbar aufgenommen als grünes Licht zur Anwendung von Baclofen,
bringt dieser Richtungswechsel der Afssaps endlich gute Nachrichten für alle alkoholabhängigen
Patienten, die eine Behandlung mit diesem aussergewöhnlich wirksamen Wirkstoff wünschen,
und die sich viel zu oft noch mit Ablehnung von Seiten der Ärzte konfrontiert sehen.

Die Afssaps präzisiert in ihrer Klarstellung, dass «die Behandlung der Alkoholabhängigkeit eine
ganzheitliche Vorgehensweise durch Ärzte mit Erfahrung in der Begleitung von abhängigen
Patienten impliziert». Dieser vage und gleichsam diplomatische Wortlaut (Welche medizinische
Vorgehensweise ist nicht ganzheitlich? Welcher Arzt hält sich nach zehn Jahren Studium und
einigen Jahren Praxis nicht für erfahren?) lassen einen grossen Interpretationsspielraum offen
und erleichtern de facto eine grosszügige Verschreibung von Baclofen. Das ist ein Glück.

Danke, Afssaps!

Bernard Granger
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 Betreff des Beitrags: Re: Die Baclofen Saga von Prof. Bernard Granger
BeitragVerfasst: Donnerstag 8. Mai 2014, 19:21 
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Die Baclofen Saga Teil 4

Die Servilität des „Quotidien du Médecin“

In diesem vierten Teil der Serie, legt Professor Bernard Granger dem renommierten Magazin
der medizinischen Fachwelt Frankreichs, Unterwürfigkeit gegenüber der pharmazeutischen
Industrie zur Last.
 


Die Rolle der medizinischen Fachpresse war beim Skandal rund um das Medikament Médiator
heftig kritisiert worden. Als Handlanger der Pharma angeklagt, wurde sie im Rapport mit der
Untersuchung betrauten Senatskommission mit diesen Worten unter Beschuss genommen:

«Eine kritische Lektüre der Medizinpresse zeigt ein ausgeprägtes Desinteresse gegenüber
den unerwünschten Nebenwirkungen, das an Blindheit grenzt. So erscheint es immer
glaubwürdiger, dass einzelne tatsächlich unter Einfluss dieser Presse gerieten. 

Es muss wohl
oder übel festgestellt werden, dass Pressefreiheit für die medizinische Presse, wie das Fair Play
im Profi-Sport, ein fernes, aber unerreichbares Ziel ist, das man sich zum Vorsatz nimmt, um
den Schein zu wahren.»

Das finanzielle Gleichgewicht vieler dieser Presseorgane beruht auf den Werbeeinnahmen von
der Pharmaindustrie und darf nicht gefährdet werden. (Edit: das Medikament Médiator führte
zu einigen hundert Todesfällen, weshalb es in Italien und der Schweiz vom Markt genommen
wurde. In Deutschland erfolgte keine Zulassung. Selbst nach unübersehbaren Hinweisen
reagierte die französische ANSM ungewöhnlich zögerlich). Die Anhörung durch die Kommission
war für die wichtigsten Vertreter dieser Presse sehr unangenehm und sie erschienen, alles
andere als überzeugend. Als man etwa den Generaldirektor des Quotidien du Médecin fragte,
weshalb seine Zeitschrift kein Wort über das Buch von Irène Frachon zum Médiator-Skandal
verloren habe, antwortete er sehr elegant, dass er nicht „in Lokalnachrichten mache“.

Die nationale Journalistengewerkschaft SNJ hatte daraufhin in einem Communiqé vom
13. April 2011
die unethischen Praktiken, einer sich den wirtschaftlichen Interessen unterordnenden
Presse angeprangert. Die SNJ rief « die Gesamtheit der Redaktionen der Medizinpresse in dieser
Vertrauenskrise der Leser, gegenüber ihren Zeitschriften und der Öffentlichkeit, gegenüber der
Pharmaindustrie, zu einem heilsamen berufsethischen Hochschrecken auf. » Leider fand kein
solches Aufschrecken statt. Nichts hat sich geändert!
 
Tatsächlich griff der Quotidien du Médecin in seiner Ausgabe vom 29. Mai 2012, unter der
Feder von Monsieur „Lokalnachrichten“, seines Chefredakteurs, mit dem Artikel « Wunder im
off-label-use? » mit diesen Worten in die Debatte um Baclofen ein:
 
Der Nouvel Observateur brachte es auf dem Titelblatt der letzten Ausgabe:
« Man hat ein Heilmittel gegen den Alkoholismus gefunden! » 
 
Ach ja? Sie wissen bereits, dass Anfang 2012 das neue Medikament Nalmefen auf den Markt
kommen könnte, das gemäss drei kontrollierten Studien der Phase III, in der Behandlung der
Alkoholabhängigkeit, wirksam und gut verträglich zu sein scheint? Nicht im geringsten!
Es handelt sich um Baclofen, dessen breite off-label-Anwendung von enthusiastischen
Befürwortern gepusht wird, ohne Vorliegen kontrollierter Studien in dieser Indikation und trotz
ernsthaften Zweifeln auf breiter Front an der Verträglichkeit dieses Wirkstoffs.
 
Der von den Massenmedien ausgelöste Druck zur Verschreibung, den sich unsere Behörden
gefallen lassen, nimmt erstaunliche Ausmasse an, wenn man bedenkt, wie prompt dieselben
bereit waren, den Skandal der off-label-Verschreibung von Mediator anzuprangern. 
 
Stellt nicht Übergewicht einen ebenso ernsthaften Risikofaktor dar wie Alkoholismus?
Sollten nicht, wie hoch und heilig versprochen, keine off-label-Produkte mehr verwendet
werden dürfen, ohne seriöse Beweise der Verträglichkeit und Unbedenklichkeit, erbracht unter
strengen Rahmenbedingungen? Wird zweierlei Mass angelegt? Im einen Fall verurteilt, ohne
beurteilt zu haben; im andern entschieden, ohne zu wissen?
 
Gibt es denn keine Warnrufer mehr?
Wer wird verurteilt, wenn es zu schweren Vorfällen kommt, ja sogar zu Todesfällen?
 
Der Quotidien auf jeden Fall lanciert ihn, den Warnruf! 
 
Kein Wunder also, dass die Zeitschrift Werbung für Lundbeck und sein Medikament Nalmefen
macht, das neu auf den Markt kommen soll. Dass sie die Befürworter von Baclofen, einzuschüchtern
versucht und sich als Warnrufer gebärdet. Gleichzeitig Propaganda für das Unternehmen zu
machen, das die Zeitschrift finanziert, hat es in sich. In erster Linie aber beinhaltet beinahe
jeder Satz dieses Textes, eine Unwahrheit und es ist unerlässlich, einige Fakten richtig zu stellen.
 
Kann die abgedroschene Formel «wirksam und gut verträglich», die für jedes neue Medikament
verwendet wird, wirklich gelten für Nalmefen? In Wirklichkeit ist es eine mässig wirksame
Behandlung, die die Reduktion des Alkoholkonsums nur in bescheidenem Umfang ermöglicht;
laut doppelblinden Studien gegenüber Placebo im Schnitt um ein Glas. Der erste Zulassungs-
antrag für Nalmefen wurde aufgrund seiner schwachen Wirksamkeit und der methodolo-
gischen Probleme, die sich für seine Eintragung stellten, nicht bewilligt. Behandelt Nalmefen
die Alkoholabhängigkeit? Sicherlich nicht. Es ist eine Art Kopie des bereits seit langem
vermarkteten Produkts Naltrexon, das seinerseits nur mässig wirksam ist. Es handelt sich nicht
um einen therapeutischen Fortschritt, im Gegensatz zu Baclofen, das selbst in keiner Weise
Gegenstand der Förderung durch die pharmazeutische Industrie ist.
 
Der CEO des Quotidien du Médecin vergisst zu erwähnen, dass ausreichende Daten zu
Wirksamkeit und Verträglichkeit von Baclofen die Behörden veranlassten, grünes Licht für den
Einsatz von Baclofen in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit zu geben Point
d'information der nationalen Behörde für Medikamentensicherheit ANSM vom 24.04.2012:

Wenn es sich auch nicht um eine ordnungsgemässe Zulassungsverfügung handelt, erklärt die
ANSM auch, dass die Ergebnisse bezüglich Medikamentensicherheit ermutigend sind, dass
Baclofen bisher kein Todesfall zugeschrieben wurde und dass selbst im Fall einer Überdosierung,
Baclofen keine Gefahr darstellt.
 
Der Quotidien du Médecin folgert in seiner seltsamen Argumentation, dass man Baclofen nicht
verschreiben sollte, weil man Todesfälle riskiere, obwohl es keine gibt und zieht eine Parallele
zum Médiator-Skandal. Wenn es denn eine Parallele gibt, so liegt sie in der beharrlichen
Servilität dieses Presseerzeugnisses gegenüber denjenigen, die ihm Erträge garantieren.
 
Und zu guter Letzt die gewagte Behauptung, es gäbe keine seriösen Beweise der Wirksamkeit
von Baclofen. Sicherlich liegt die Evidenz der Beweise nicht auf demselben Niveau wie
doppelblinde, placebokontrollierte Studien. Die erste dieser Studien wurde gerade in Gang
gesetzt, nach langem Zaudern der französischen Gesundheitsbürokratie. Das tiefere, aber
nichtsdestotrotz akzeptable Beweisniveau basiert hauptsächlich auf einer Kohortenstudie über
181 Patienten
die ein Jahr begleitet wurden. Sie weist eine Quote von 58 % Abstinenz oder
moderatem Konsum nach einem Jahr aus, selbst wenn die aus den Augen verlorenen Patienten
als Behandlungsversagen gewertet werden. Wie alle Patienten bezeugen, ist diese Behandlung
bei weitem wirksamer als alles, was bislang in der Therapie der Alkoholabhängigkeit zur
Verfügung stand. Die Behörden haben die Bedeutung von Baclofen als Hilfe für die Abhängigen
erkannt und aus diesem Grund seine Anwendung ermöglicht. Wer dies zu verhindern sucht,
verfolgt andere Interessen als das Wohl der Kranken.


Bernard Granger.
April 2012 Hier das Original
 

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 Betreff des Beitrags: Re: Die Baclofen Saga von Prof. Bernard Granger
BeitragVerfasst: Donnerstag 8. Mai 2014, 20:15 
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Baclofen Saga Teil 5

Zwei Bücher, eine Botschaft der Hoffnung:

Die Editions Le Publieur und die Vereinigung Aubes präsentierten im Juni 2012 unter dem Titel
«Indifférence» eine Sammlung von Zeugnissen über die Behandlung von Alkoholismus und
anderen Abhängigkeiten mit Baclofen. Und erst kürzlich erschien in den Editions Albin Michel
das Buch «Vérités et mensonges sur le baclofène, la guérison de l'acoolisme» (Wahrheiten und
Lügen über Baclofen, die Heilung des Alkoholismus), eine Unterhaltung zwischen Dr. Renaud
de Beaurepaire und der Journalistin Claude Servan-Schreiber.

Indifférence (Gleichgültigkeit) erzählt in Ich-Form das Leben von 18 Männern und Frauen jeden
Alters und aus verschiedenen Lebenslagen. Jeder Bericht beginnt mit einem Foto, oft mit
unverhülltem Gesicht. Dieses bewegende und mutige Buch zeigt, wie der Alkohol das Leben
dieser Überlebenden endgültig ruiniert haben könnte, wenn nicht Baclofen sie auf den Weg der
Genesung zurückgeführt hätte.

Jeder Fall ist einzigartig und an Lehren um einiges reicher als alle Publikationen, die diesem
Medikament bisher gewidmet wurden. Diese Erzählungen, von denen man viele weitere
Beispiele im Internet findet, sind Dokumentationen, die keinen Zweifel an der Bedeutung von
Baclofen als Behandlung der Alkoholabhängigkeit lassen. Über die individuellen Besonderheiten
hinausgehend, sind die Grundzüge, die sich in diesen Geschichten enthüllen, identisch: Dank
Baclofen stellt sich eine zunehmende oder urplötzliche Indifferenz (Gleichgültigkeit) gegenüber
Alkohol und somit dem Ende der Abhängigkeit ein. Hören wir Alain zu:

«Ich bin seit 40 Jahren verheiratet und habe zwei Kinder. Mit 18-20 Jahren machte ich viel
Sport. Mit den Fussballkollegen wurde wenig Alkohol getrunken, aber im Rückblick stelle ich
fest, dass mir Alkohol bereits vom ersten Drink an zugesagt hat. Nach dem Militärdienst wurde
ich regelmässiger Alkoholkonsument. Es war ein Bedürfnis, das sehr schnell meine Gesundheit
angriff, weil meine Leber schlecht reagierte. Ich machte meine Arbeit, ich kam nicht betrunken
nach Hause, aber ich begann bereits, meinen Konsum herunterzuspielen und zu lügen. Mit 42
veränderte ich mich beruflich. Ich übernahm eine kleine Bar im Département de la Haute Loire.
Ich begann wieder mit dem Alkohol und versteckte die Wahrheit. In der Bar sah ich viele
Alkoholiker. Die Alkoholiker, das waren sie. Aber im Grunde trank ich immer mehr, immer
früher und heimlich. Wir haben die Bar 2001 verkauft. Meine Frau sah, dass ich immer mehr
abglitt, sie rieb sich meinetwegen auf. Wir übernahmen einen Zeitungskiosk in einer
Einkaufspassage in Orange. Nebenan war eine Brasserie, und ich wurde rückfällig.

Der Alkoholmissbrauch macht alles kaputt, ich wurde unberechenbar, mein Hirn begann,
wirres Zeug zu denken. Ich war aggressiv, es ging mir nur noch schlecht. Ich regte mich bei
der kleinsten Bemerkung auf. Ich machte eine vierwöchige Entzugsbehandlung im April-Mai
2009 mit Aotal (Acamprosat) und Revia (Naltrexon). Alles ging gut. Ich kam raus im Mai und
kaum einige Monate danach, im September-Oktober, trank ich wieder, weil ich Lust darauf
hatte. Ich erzählte meiner Frau nichts davon. Ich versteckte die Flaschen im Keller und brachte
sie zur Entsorgung, wenn sie ausgegangen war.

Eines Tages kam sie unerwartet nach Hause und fand mich in der Küche vor einer Flasche
Wein. Sie war es, die das Buch von Professor Ameisen für mich entdeckte. Ich hatte schon das
Buch von Hervé Chabalier gelesen, Le dernier pour la route. Ich wollte aussteigen, weil mir
bewusst geworden war, dass ich alle um mich herum leiden liess. Ich ging zu meinem Haus-
arzt und erzählte ihm von Baclofen. Er wollte es mir weder verschreiben noch das Buch lesen.

Ich suchte wieder meinen Psychologen in Villeneuve auf, um mich einweisen zu lassen. Er kannte
Baclofen und war bereit, es mir zu verschreiben. Dieses Mal war ich vom 25. März bis 20. April
2010 in der Klinik. Seither stehe ich unter Baclofen und reduziere die Dosen. Aktuell nehme
ich 70 mg. Ich trinke nicht mehr und ich habe auch keine Lust mehr darauf. Ich bin viel
ruhiger, habe viel mehr Energie und gehe vielen Beschäftigungen nach, vielleicht sogar ein
wenig zu viel. Ich habe den Sport wieder aufgenommen. Ich habe 30kg verloren, weil ich Diät
machte. Mein Appetit ist gut, ich bin ein Schlemmer.

Es kommt mir vor, als wäre ich so, wie ich hätte sein müssen. Mir ist klar geworden, dass ich
lange Zeit voller Einwände zu sein glaubte, es war aber der Alkohol, der an meiner Stelle
räsonierte. Im Kühlschrank habe ich Bier. Ich habe Pastis und Whisky zu Hause, aber ich trinke
nicht. Das Leben ist schön für mich. Zuvor ging es mir schlecht. Ich hatte Lust auf alles
mögliche und keine Lust auf gar nichts. Wenn ich etwas bekam, wollte ich es nicht mehr. Ich
kaufte etwas und warf es weg. Ich bin eben von einem ganz bescheidenen Wochenende in Sète
zurückgekehrt. Ich war schlicht glücklich.»

Die Resultate der publizierten Studien über die Wirkungen von Baclofen reichen weit über
diejenigen anderer medikamentösen Behandlungen der Alkoholabhängigkeit hinaus, aber es
gilt auch eine fundamentale, qualitative Differenz zu unterstreichen: die durch Baclofen
verschaffte Heilung geschieht friedvoll, wohingegen die von anderen Ansätzen empfohlene
Abstinenz meistens einen Kampf und eine Tortur darstellt.

Doktor Renaud de Beaurepaire, Psychiater am Hôpital Paul Guiraud in Villejuif, ist der
französische Arzt, der als erster Baclofen verschrieb und somit über breite und wertvolle
Erfahrung damit verfügt. Sein bemerkenswertes Buch beleuchtet erschöpfend und detailliert
die Vorteile und unangenehmen Begleiterscheinungen dieser Behandlung und beschreibt deren
Umsetzung in der Praxis. Es prangert auch die moralische Niedertracht und intellektuelle
Mittelmässigkeit gewisser Gegner von Baclofen an, die mehr ihre eigenen Interessen
verteidigen als die der Patienten und der Allgemeinheit:

«Sein Auftauchen schlug Wellen. Niemand hatte es erwartet, es kam daher und stellte
jahrzehntealte Gewohnheiten auf den Kopf. Viele Alkoholforscher leugnen, was sich dadurch
entwickelt hat. Es gelingt ihnen nicht, zu akzeptieren, dass dies ein Medikament ist, wie sie
noch nie eines gesehen haben, noch je sich hätten vorstellen können. Sie schätzen es gar
nicht, von unbekannten Ärzten in Frage gestellt zu werden, von aufmüpfigen Vereinigungen,
von den Medien, die hier ein Thema gefunden haben, auf das die Öffentlichkeit sensibel
reagiert. Überzeugt davon, von niemandem irgendwelche Lektionen annehmen zu müssen,
vor allem nicht von jenen, die sie als «Baclofen-Hitzköpfe» bezeichnen, mauern diese
renommierten Akademiker und Spezialisten seit Jahren. Mit allen Mitteln.»

Weiter schreibt er: «Die Position der Baclofen-Gegner wird immer unhaltbarer. Eine wachsende
Zahl von Ärzten denkt bereits, dass es primär darum geht, ihre Patienten zu heilen: sie
entschliessen sich, Baclofen anzuwenden und es jenen Patienten zu verschreiben, die auf die
üblichen Behandlungen nicht ansprechen. Sie erkennen in der Folge sehr schnell, dass sie
damit über ein aussergewöhnliches Medikament verfügen. Sie verschreiben es weiter und
teilen ihre Erfahrungen mit ihren Kollegen, die ebenfalls zu verschreiben beginnen und die
Informationen weitergeben, womit die Zahl der verschreibenden Ärzte exponentiell anwächst.
Die Organisationen üben Druck aus, wo sie können. Damit die Dämonisierung der Behandlung
und das Aufbauschen der Nebenwirkungen aufhört. Und nun ist es soweit. Die Veränderung ist
in Gang gesetzt und nichts wird sie mehr aufhalten.» Sie spiegelt sich auch wieder in den
unaufhaltsam ansteigenden Verkaufszahlen von Baclofen(+50% innerhalb eines Jahres).

Renaud de Beaurepaire bedauert ferner die Untätigkeit der Behörden, die er erst hatte
aufrütteln müssen, damit sie aus ihrer Lethargie aufwachten und Schritte in die richtige
Richtung machten. Er erklärt, inwieweit die off-label-Verschreibung legal ist (20% aller
Verschreibungen in Frankreich werden auf diese Weise getätigt, ohne dass sich die Sécurité
Sociale darüber erregt). Und er sieht die Ablehnung, Baclofen an einen alkoholabhängigen
Patienten zu verschreiben, als verwerfliche Chancenverweigerung, die der medizinischen
Berufsethik zuwiderläuft.

Die beiden Bücher ergänzen einander wunderbar und sind die Antwort auf alle Unwahrheiten
und Verunglimpfungen, auf Desinformation und Blindheit, ja auf die ganze Ignoranz und
eigennützige Feindseligkeit der Gegner dieses enormen Therapiefortschritts.

Bernard Granger
April 2013 Hier das Original

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„Es gibt keine Alternative zum Optimismus,
Pessimismus ist Lebensfeigheit.“
Richard David Precht


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Baclofen Saga von Prof. Bernard Granger
BeitragVerfasst: Freitag 9. Mai 2014, 10:39 
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Baclofen Saga Teil 6

Das Vermächtnis von Olivier Ameisen:

Die Baclofen Saga wurde im Jahr 2013 von zwei wichtigen Ereignissen markiert.
Das erste war der überraschende Tod von Olivier Ameisen am 18. Juli in seiner Pariser
Wohnung. Alle, die ihn kannten, waren tief betrübt, ihn so früh mit 60 Jahren gehen lassen
zu müssen, während sein bewundernswerter Einsatz zugunsten von hochdosiertem
Baclofen bei Alkoholabhängigkeit gerade die erste offizielle Anerkennung erreicht hatte.
Das zweite Ereignis des Jahres 2013, war das Glücklichere.

Olivier Ameisen war ein überempfindsamer Mensch, schlecht geeignet für unsere Epoche
von kleingeistigem Kalkül und Absicherung nach allen Seiten. Grössenwahnsinnig in Reaktion
auf seine innere Verletzbarkeit hatte er ohne Rücksicht auf die Würdenträger, die Welt der
Alkohologie von unten nach oben gekehrt. Erst mit der Publikation seiner Selbstbeobachtungs-
studie in der Zeitschrift "Alcohol and Alcoholism" Ende 2004, später mit seinem ebenso
realistischen wie emotionalen Buch "Le Dernier Verre" (Denoël, 2008), in welchem er seine
Geschichte von Untergang und Heilung beschrieb; eines der besten Bücher über Alkoholismus
(Das Ende meiner Sucht 2009 Kunstmann Verlag).

Gleichermassen stur und kompromisslos, gegenüber Befürwortern wie Gegnern seiner
Entdeckung, heftete er seinen blauen Kinderblick zugleich scharfsinnig und verstört auf die
Verderbtheiten der akadamischen Welt und auf seine «Mitbrüder», gefangen in Interessen-
konflikten, blind in ihren Vorurteilen. Nie um klare Aussagen oder geistreiche Worte verlegen,
verteidigte er seine Arbeit mit zuweilen überschäumendem oder ungeschicktem Eifer.

Es musste viel Zeit vergehen, bis sich dieser große therapeutische Fortschritt durchsetzen
konnte, dessen unbestrittener Urheber Olivier Ameisen war. Die geheilten Alkoholkranken
waren seine besten Verbündeten. Sie hatten sich im aussergewöhnlichen Selbstporträt von
«Le Dernier Verre» wiedererkannt und konnten innerlich nachempfinden, welche Wohltat dieser
alte Wirkstoff bewirken könnte, dessen immenses Potential Ameisen in zweckmässiger, d.h.
hoher Dosierung nachgewiesen hatte.

Der letzte öffentliche Auftritt von Olivier Ameisen fand am 3. Juni 2013 im Hôpital Cochin
statt: ein Kolloquium, Baclofen gewidmet. Dieser wissenschaftlichen Versammlung war im April
ein Appell voraus gegangen, um die Zugänglichkeit von Baclofen für die Patienten endlich zu
erleichtern. Die Behörden, mit den wissenschaftlichen Fakten vertraut und seit Monaten
alarmiert, gaben durch Prof. D. Maraninchi, Direktor der Nationalen Behörde für Arzneimittel-
sicherheit (ANSM) bekannt, dass für Baclofen eine befristete Anwendungsempfehlung (RTU)
ausgesprochen werden würde.

Die RTU ist ein spezielles französisches Instrument, das den Gesundheitsbehörden erlaubt,
die Zulassung für ein Medikament in einer Indikation zu erteilen, auf die der vermarktende
Pharmabetrieb keinen Anspruch erhoben hat. Wie die Geschichte von Baclofen zeigt, blieb
sowohl Behörden wie Ärzten nur die Off-label-Verschreibung auf eigenes Risiko übrig.
Auch wenn ein Wirkstoff einen therapeutischen Nutzen aufwies, und in einer anderen Indikation,
die vom Pharmaunternehmen aber nicht gefördert wurde.

Das französische Gesetz ermöglicht seit Ende 2012 durch Einführung der RTU ein Umgehen
dieser einseitigen Bestimmungsmacht der Industrie über die Indikation ihrer Produkte.
Baclofen ist das erste Medikament, das von dieser Maßnahme profitiert. Die Einführung der
RTU wurde nötig, weil sich pharmazeutische Firmen in ihren Entscheidungen rund um Zulas-
sungsanträge leider nur von marktwirtschaftlichen, statt auch von ethischen Überlegungen
leiten lassen. Unerheblich, ob eine Behandlung einer grossen Zahl von Patienten helfen könnte;
wenn es nicht genügend Profit abwirft, wird es nicht entwickelt werden. Mit der RTU können
solche wenig ehrenwerten Praktiken teilweise korrigiert werden.

Seit Prof. D. Maraninchi auf die positiven Auswirkungen von Baclofen bei Alkoholismus
aufmerksam gemacht worden war, blieb er wachsam, besorgt in erster Linie um das Wohl der
Patienten. Er reagierte mehr als Mediziner denn als Technokrat, bedacht auf Absicherung.
Er spielte eine massgebliche Rolle in der Geschichte von Baclofen, indem er dessen Zugäng-
lichkeit und Anerkennung zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit ermöglichte.

In seinem zusammenfassenden Redebeitrag vom 3. Juni 2013 rief der ANSM-Direktor die
noch bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheiten bezüglich Wirksamkeit und Toleranz von
Baclofen in Erinnerung, unterstrich aber gleichzeitig, dass die "Vermutung" der Wirksamkeit
ausreichend sei, um eine RTU für diese Behandlung auszusprechen, die er unumwunden als
"Entdeckung" bezeichnete. Er stellte das "wirkliche Leben" dem aufwändigen, ordnungsge-
mäßen Genehmigungsverfahren gegenüber. Er betonte, dass alle Erkenntnisse berücksichtigt
werden müssten und man vom "Dogma der doppelblinden, placebokontrollierten Studie"
abkommen müsse.

Die RTU wurde am 3. Juni 2013 in Aussicht gestellt. Nichtsdestotrotz brauchte es mehr als
neun Monate, bis die Behörden die Massnahme umsetzten: Die RTU ist seit dem 16. März 2014
wirksam. Doch das Ergebnis ist nun da, das ist das Wesentliche.

Kaum ausgesprochen jedoch, wurde die RTU zum Objekt zahlreicher Kritik. Bestimmte
Modalitäten wurden in Zweifel gezogen, insbesondere von gewissen Gruppen unter den
Suchtmedizinern und von der Gesamtheit der Verbände von Psychiatern. Sogar die franzö-
sische Gesellschaft der Suchtforscher, die sich zu keiner Zeit zugunsten von Baclofen engagiert
hatte, machte sich die Mühe, Stellung zu nehmen. Die Vereinigungen Aubes und Baclofène,
ebenso wie mehrere Berufsverbände von Allgemeinmedizinern, äusserten sich unisono.

Getreu der gesundheitsbehördlichen Bürokratie-Manie, weist die RTU unrealistische
Bestimmungen auf, die weitab der Realität restriktiv und zwingend kontraproduktiv sind.
Die ANSM wird sich, nachdem sie Sachkenntnis zur Behandlung und echte Sorge um die
Kranken bewiesen hat, zweifellos um rasche Korrektur der Fabrikationsfehler ihres innovativen
Instruments bemühen.

Es darf nicht sein, dass den verschreibenden Ärzten nur die Wahl zwischen Nichteinschlagen
des Wegs oder Unterlaufen der Bestimmungen bleibt, wenn der Weg einmal eingeschlagen ist.
Hellsichtig wie immer, hatte Olivier Ameisen in seinem Redebeitrag anlässlich des Kolloquiums
vom 3. Juni 2013 in Bezug auf die RTU geäussert: "Seid vorsichtig mit dem, was ihr euch
wünscht, ihr könntet es bekommen." Alle reglementarischen Bedenken beiseite wischend,
fügte er hinzu: "Der gesunde Menschenverstand wird sich immer durchsetzen."

Bernard Granger
April 2014 Hier das Original

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