Mittwoch 1. April 2015, 13:37
Hallo, piccolina, liebe Maria,
seit meinem letzten Beitrag hab ich hier nicht mehr hineingeschaut. Es tat mir weh, zu lesen, dass Du leidest, dass Du wohl gedacht hast, ich wäre fürs entschiedene Durchhalten an der Seite des Kranken. Ich wollte ausdrücken, dass ich den lange auf mir lastenden Vorwurf, ich wäre zu schwach, um eine aussichtslose Lage aufzugeben, den Ort der Schrecken zu verlassen, dass ich diesen bösen Vorwurf so vieler Bekannter und Freunde und auch Therapeuten, endlich, endlich nicht mehr aushalten musste. Ich hatte mich vor Baclofen wirklich dazu bekannt, egal, was kommt, ich verlasse nicht. Das war mein Anspruch, welchen ich jedoch nur
mit gehörigem Abstand (eigene Wohnung, selbstbestimmter Alltag, Hilfe auf Besuch) anstreben und durchhalten konnte. Immer nur anstreben, eine Tendenz dazu haben und die eigne Stärke dabei wachsen lassen. Rückschläge gab es. Ich hatte ein eigenes, im Wesentlichen vom Erkrankten unabhängiges Leben aufgebaut. Das Schlimmste waren meine Schuldgefühle, dass es ihm beser gehen könnte, wenn ich noch an seiner direkten Seite geblieben wäre ... da half nix und niemand, das musste ich weiter tragen, wenn ich es nicht schaffte und wollte, mich ganz und gar davonzumachen ...
In der in Jahren enstandenen verlässlichen eigenen Stärke war die Schuld eingeschlossen. Ich akzeptierte, dass meine Kräfte bei jedem Rückfall meines Mannes neu "geknickt", geschädigt und manchmal sogar bis auf einen Kern, eine Grundfeste, zerstört wurden. Dann machte ich mich wieder an die Arbeit. Ich hatte Menschen und feste Gewohnheiten, die mir dabei halfen.
Ich würdige, akzeptiere jede Entscheidung, die anders ausschaut, als das eben von mir Beschriebene, jede Entscheidung, die ein Mensch aus sich heraus trifft. Bevor ich befähigt wurde, bis an MEINE Grenze gehen zu können, beschloss ich erst einmal, es anzuerkennen, das ich keine Entscheidung treffen will und kann. [Oder manchmal auch wie ein Automat etwas tat, zu dem ich wenig bewusst beitrug. Ich funktionierte.] Man könnte auch sagen, ich nahm mein eigenes Scheitern an und lebte damit. Das geht aber wohl nur, wenn das eigene Leben andere tragende Felder und Bereiche hat, die vom Kranken nicht vollkommen "durchdrungen" sind.
Für mich ist Baclofen ein Wunder. Eine Eigenschaft von Wundern ist wohl aber, dass sie nicht immer und überall auftreten. Unser Glaube führt uns aber immer weiter. Gehen wir den Weg. Der Weg über Geröll zu den Sternen. Per aspera ad astra. Zu den Sternen kommen wir alle am Ende des Lebens, ob wir gewollt haben oder nicht. Daran glaube ich;-)
Der Angehörige muss sich an die allererste Stelle seiner eigenen Priorität (Wertschätzung) setzen. Was er darüber hinaus an Kraft hat, darf er abgeben, dahin, wohin er entscheidet. Er kann und darf aber auch alles bei sich behalten. Dies muss er sogar, wenn er keinen Überschuss an Energie zur Verfügung hat, was in Zeiten von Krankheit, Geschwächtheit und werdender Genesung der Fall ist.
Liebe Maria, ich hoffe, ich hab nicht arg viele Missverständnisse provoziert. Was ganz klar im Innern von uns steht, ist sehr schwer verständlich auszudrücken, man fühlt es in sich und kann es so schwer nur an die Außenwelt geben. Es bleibt immer ein Versuch, Stückwerk. Ist nie das Ganze. Dass wir es versuchen, ist Teil unseres Menschenwesens

Alles, alles Gute und möge es auch wieder leichte Wegstrecken für DICH und Deine Lieben geben,
Marit