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kapuze2
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Betreff des Beitrags: Auszug aus dem Suffloch Verfasst: Mittwoch 10. Juli 2019, 23:20 |
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Registriert: Mittwoch 15. Mai 2019, 23:06 Beiträge: 22
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Guten Tag,
ich wollte mich vorstellen. Anmerkungen sind erlaubt, wenn nicht zu gemein. Ich entgifte ab nächsten Montag zu Hause, lose orientiert am halben "Bernburg-Schema". Allerdings mit Levetiracetam statt Carbamazepin, und in wesentlich niedrigerer Gesamtdosierung. Es ist nicht meine erste Entgiftung. Aber ich habe festgestellt, dass eine solche nur Aussicht auf Erfolg hat, wenn ich sie als Projekt ambulant durchführe. 10 Tage in einem Krankenhaus hat in der Regel keinen nachhaltigen Effekt, es ist nur eine absurde und anstrengende Situation, die nichts mit meinem Leben zu tun hat. Ich zweifle überhaupt nicht daran dass mein aktuelles Vorhaben funktionieren wird, denn wie vielleicht bei vielen Menschen ist nicht die Entgiftung das Problem, sondern eher die Wochen danach. Ich fange im August einen emotional anspruchsvollen Job (Sozialarbeit) an und kann das nur mit klarem Kopf. In Woche 2 meiner Entgiftung schleiche ich langsam Tiaprid aus. Ein Medikament, an das ich mich leider gut gewöhnen könnte, denn es funktioniert hervorragend gegen das psychovegetative Syndrom und später auch gegen Suchtdruck. Ich werde dann aber langsam auf Baclofen umsteigen, was auch wesentlich bezahlbarer ist. (Alle Medikamente bekomme ich nur als Privatrezept, denn alles ist aktuell off-label, keine offizielle Zulassung) Ich würde gerne hier zukünftig schreiben und über meinen Weg berichten. Ich hab sehr viel Bock auf ein abstinentes Leben, habe das durch vorherige Entgiftungen auch als sehr schön in Erinnerung. Wer nicht säuft hat definitiv einige Probleme weniger und es ist toll, sich frei von eventuellen Ethanol-Ausdünstungen, latenten Entzugs- oder Hangover-Symptomen im Leben bewegen zu können. Bei mir verringern sich dann auch soziale Ängste und das Selbstwertgefühl ist nicht mehr ganz am Boden. Diskussionsbedarf im Forum hätte ich vor allem in den Phasen nach Woche 4 und später, wenn ich halbwegs stabil abstinent bin. Denn wenn ich mir heute überlegen würde, was ich denn eigentlich überhaupt am Suff vermissen könnte, dann Folgendes: Um gesund zu werden im Ganzen wird es nicht reichen, einfach nix mehr zu trinken. Ich leide auch unter einer Depression. Früher wurde das als "rezidivierende Depression" diagnostiziert, inzwischen ist es gar eine Dysthymie. Was meinen Gesamtzustand am letzten Sonntag kurzzeitig enorm anhob war ausgerechnet eine temporäre Reunion mit meiner Ex-Freundin. Es war ein wundervoller Abend: Wir waren was essen, bei einem ganz schön krassen Stand-Up-Comedian und danach eben noch was trinken. Wir laberten und lachten bis um 4 Uhr morgens. Die Magie des Abends hat mich noch nachträglich ein bisschen durch den Alltag getragen. Ich vermisse schöne Erlebnisse mit netten Menschen, sehe die aber in der Regel zumindest zum Teil durch Alkohol geprägt. Andererseits ist es genau dieser Alkohol, der das sogar verhindert: Ich fühle mich als täglicher Trinker einfach durchgängig scheisse. 3/4 des Tages verschwende ich entweder für saufen, Kater oder leichte Entzugserscheinungen. Jegliches Fünkchen an Souveränität stellt sich frühstens nach dem zweiten Bier ein. Häufig bin ich Einladungen gar nicht mehr gefolgt, bin im depressiven Suffloch geblieben. Daher "freue" ich mich fast auf meine Entgiftung. Ab dem 3. Tag wird es besser. In diesem Forum bräuchte ich Beratung, wie ich am besten Baclofen einschleiche. Wenn ich mit dem "Bernburg Schema" fertig bin würde ich mit 3x 10mg anfangen und es dann langsam steigern, bin dann aber bald auch auf Arbeit und möchte nicht zuviel Nebenwirkungen und auch nicht ständig was schlucken müssen. Alkohol werde ich natürlich erstmal überhaupt nicht mehr trinken. Vor Ort werde ich die AA besuchen, es gibt eine sehr angenehme Gruppe um die Ecke. Aber als Diskussionsort ambivalenter Gefühle eignet sich das nicht sehr. Daher wäre ich froh wenn ich mich hier zukünftig mit netten Menschen unterhalten könnte, die ebenfalls Baclofen gegen die shitty Sucht einsetzen. Liebe Grüße, kapuze2
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delle54
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Betreff des Beitrags: Re: Auszug aus dem Suffloch Verfasst: Donnerstag 11. Juli 2019, 00:13 |
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Forumstechnik |
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Registriert: Donnerstag 3. Dezember 2009, 13:49 Beiträge: 1725 Wohnort: Hannover
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Hallo kapuze2, vielen Dank für die ausführliche und eindrucksvolle Schilderung. Da du um diese Uhrzeit sicherlich keine genauso umfassende Antwort erwartest, hier erstmal unsere wichtigsten Infos: - Königsweg- All You NeedViel Erfolg
_________________ Aktuelle Baclofen-Dosis: 12,5, 12,5, 12,5 12,5 mg im Abstand von 4 Stunden = 50 mg/Tag, "Der Tod steht zwar nicht vor der Tür, sucht sich aber schonmal einen Parkplatz" Jochen Busse "Ihr habt mehr Angst als ich, weil Ihr mehr wisst." Meta Hiltebrand Forum, Blog, Verein (i.G.), Portal, Facebook
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kapuze2
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Betreff des Beitrags: Re: Auszug aus dem Suffloch Verfasst: Donnerstag 11. Juli 2019, 00:27 |
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Registriert: Mittwoch 15. Mai 2019, 23:06 Beiträge: 22
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Einstweilen vielen Dank für die Links. Studiere gerade Link 1. Sehr interessant, muss das halt mit "meinem" "Bernburg Schema" zusammenkriegen. Aber hier weiterlesen wird sicher helfen den Baclofen-Einstieg einigermaßen hinzubekommen. Ich freue mich auf zukünftige Unterhaltungen. In Deinem Footer steht dass Du 50mg/Tag einnimmst. Das wäre eine Dosis die mir auch mittelfristig okay vorkäme. Ich les mal weiter, vielen Dank.
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Familyman
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Betreff des Beitrags: Re: Auszug aus dem Suffloch Verfasst: Donnerstag 11. Juli 2019, 09:10 |
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Moderator |
Registriert: Mittwoch 23. November 2011, 14:56 Beiträge: 1154
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Lieber kapuze2, vielen Dank für deine detaillierte Vorstellung. Vieles von dem, was du schreibst, kommt mir sehr bekannt vor, v.a. das hier: kapuze2 hat geschrieben: Andererseits ist es genau dieser Alkohol, der das sogar verhindert: Ich fühle mich als täglicher Trinker einfach durchgängig scheisse. 3/4 des Tages verschwende ich entweder für saufen, Kater oder leichte Entzugserscheinungen. Jegliches Fünkchen an Souveränität stellt sich frühstens nach dem zweiten Bier ein. Häufig bin ich Einladungen gar nicht mehr gefolgt, bin im depressiven Suffloch geblieben.
Der Tag, die Woche, letztlich das ganze Leben ist einfach im A...., wenn der Alkohol das Zepter schwingt und alles dominiert. Über das Bernburg-Schema musste ich mich erst mal informieren, das war mir bisher unbekannt, klingt aber nach einer praktikablen Möglichkeit des Selbstentzugs, wobei ich das mit aller Vorsicht schreibe, da ich mich damit wie gesagt nicht auskenne und du hoffentlich genau weißt und dich entsprechend informiert hast über das, was du vorhast. Zum Thema Depression gibt es viele Erfahrungen auch hier im Forum, die einen sowohl Anti-Craving- als auch depressionslindernden Effekt von Baclofen belegen und den ich aus meiner eigenen Geschichte auch bestätigen kann. Hast du denn einen Hausarzt als Vertrauensperson, der deine Situation kennt, von deinem Bernburg-Vorhaben weiß und idealerweise auch mit Baclofen etwas anfangen kann? Jedenfalls klingt alles, was du über deine Vorhaben schreibst, um dem Suffloch zu entkommen, nach einem guten Plan, dem die Einsicht zugrunde liegt, dass es so nicht weitergehen kann und sich dauerhaft und nachhaltig entscheidend was ändern muss. Frei von Alkohol zu leben bietet unendlich viele Möglichkeiten, du weißt es und wir unterstützen dich gern auf deinem Weg dorthin (zurück) Bitte berichte weiter, und bei Fragen immer fragen! Herzliche Grüße Dieter
_________________ Du brauchst keine Angst zu haben.
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kapuze2
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Betreff des Beitrags: Re: Auszug aus dem Suffloch Verfasst: Freitag 12. Juli 2019, 11:36 |
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Registriert: Mittwoch 15. Mai 2019, 23:06 Beiträge: 22
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Hallo Dieter,
danke für die netten Worte. Ich hatte einen Hausarzt, der jetzt leider in den Ruhestand gegangen ist. Ich habe gestern in der Praxis dennoch nochmal anstandslos ein Rezept bekommen. Jetzt bin ich für Montag versorgt. Für übernächste Woche habe ich auch einen Termin, mich bei der Nachfolgerin neu vorzustellen und nächste Woche habe ich noch einen Termin bei meiner Psychiaterin bekommen, die mir schon seit Jahren Antidepressiva verschrieben hat.
Ich melde mich gerne aus meiner Entgiftung heraus, also ab Montag aufwärts.
Schönes Wochenende Euch, kapuze2
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kapuze2
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Betreff des Beitrags: Re: Auszug aus dem Suffloch Verfasst: Freitag 19. Juli 2019, 21:52 |
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Registriert: Mittwoch 15. Mai 2019, 23:06 Beiträge: 22
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Status Update:
Nach einem Fehlstart am Montag beginne ich morgen (am Samstag) meine Zuhause-Entgiftung ernsthaft und final. Heute abend war nochmal der Rewe Lieferservice hier. Genug Nahrung ist vorhanden. Sowohl ein Kohlrabi, zum panieren und braten, eine Zucchini für Ähnliches, als auch Fertiggerichte. Die ersten beiden Tage verbringe ich größtenteils im Bett, Bingewatching statt Bingedrinking. Durch die Medikation (Levetiracetam) dämmere ich häufig weg. Vom Entzug ist kaum was zu spüren, da ich gleichzeitig auch Tiaprid nehme, das die Tachykardie vollständig aufhebt. Ab Montag fahre ich die Medikation aber schon relativ schnell relativ runter, denn beim letzten Versuch (letzten Montag) habe ich am dritten Tag festgestellt, dass es gar nicht so gut ist, sich über Tage lahm zu legen. Das erinnert einfach zu sehr an suffartige Zeiten, ich hab mir abends drei Bier geholt. Und trinke auch heute. Für den neuen Versuch hab ich mir stattdessen für die kommende Woche für jeden Tag ein kleines Programm zurechtgelegt, inklusive der Dinge, die ich als Trinker nie gemacht habe oder nicht machen konnte/wollte: Mal ruhig eine Stunde in einem Bekleidungsgeschäft verschwinden und neue Klamotten anprobieren, mal mit dem Fahrrad eine Viertelstunde in einen Park an der Spree fahren und da auf einer Decke eine halbe Stunde ein Buch lesen, zum Beispiel O. Ameisen oder zu meinem kommenden Arbeitsfeld, Mittagessen in der Mensa und Ausflug in die Bibliothek einer anderen Hochschule, abends in eine Selbsthilfegruppe gehen ... All das könnte ja auch Urlaub sein und eine Ruhe vor dem Sturm: Ich beginne zum 1. August eine Arbeit, die gewissermaßen auch was von mir verlangt. In der Zwischenzeit bis dahin möchte ich, nach Monaten stressigen Doppel-Master-Studiums und täglichem Bierkonsum halbwegs zu mir finden, und den "Honeymoon" der Abstinenz als Power mit in den Job nehmen. Baclofen spielt zunächst keine Rolle, weil ich zur eigentlichen Entgiftung wie gesagt Levetiracetam und Tiaprid verwende. Das erstgenannte Medikament schleiche ich mangels Vorrats relativ schnell wieder aus, Tiaprid kann/soll man laut "Bernburg Schema" ruhig in der zweiten Woche weiter nehmen. Ich möchte mich aber nicht zu sehr daran gewöhnen, ich habe im Gegenteil sogar ein etwas ungutes Gefühl. Ich habe den Eindruck dass Tiaprid den Herzschlag verlangsamt und ein zu schnelles Absetzen Herzsensationen verursacht. Das mag Paranoia sein, aber ich möchte das Medikament nicht zu lange nehmen. Das Einschleichen von Baclofen vor Beginn meiner Arbeit hat zudem nicht sehr viel Zeit. Baclofen und Tiaprid möchte ich nicht gleichzeitig nehmen. Den Wechsel plane ich für in etwa einer Woche. Ich habe noch einen gehörigen Vorrat an Baclofen hier, in 10mg-Tabletten. Da ich Baclofen schon kenne würde ich relativ schnell von 10mg am ersten Tag auf 30 mg am 2. oder 3. Tag gehen (in 2 Dosen). Ich vermute dass ich mit 30-40 mg zunächst relativ auf der sicheren Seite bin. Wichtig wäre mir die Abwesenheit von Craving und Angst, aber kein zusätzlicher Trouble wegen Nebenwirkungen. Ich werde berichten.
Das war jetzt ein sehr technischer, auf Medikamente ausgerichteter Bericht. Für mich ist die aktuelle Situation schon auch eine Wende. Das macht Angst, aber ist auch irgendwie spannend. Für mich ist es der Wechsel von ALG2 in ein Leben des steuerzahlenden Arbeitnehmers. Aber nicht nur diese Statusänderung ist eindrucksvoll: Wenn ich ein paar Tage keinen Alkohol getrunken habe und nicht unter Entzug leide bin ich fast ein bisschen bipolar. Ich habe leider keine Übung mehr mit einem vollen 24 Stunden-Tag und erheblichen Stimmungswechseln über den Tag hinweg. Alkohol hat alles auf eher niedrigem Niveau grundiert. Ich vermute, dass Baclofen dazu beitragen kann, sich einigermaßen einzupendeln, ohne sediert zu sein. Ergänzend sei noch gesagt dass ich eine ambulante Suchttherapie als Reha via Rentenversicherung beantragen werde. Das geht aber erst in 4 Wochen, nach 4 Wochen Abstinenz. Ich denke ohne würde es auf Dauer schwierig. Denn außer der Sucht habe ich noch andere Baustellen: Meine Mutter wurde von meinem Vater entmündigt und wird demnächst ins Heim abgeschoben (sie leidet unter Demenz), ich bin ebenfalls in einer häufig eher unglücklichen Beziehung und einiges mehr ... Ich habe öfters schon ambulant entgiftet, z.B. bei der Charite. Da endet aber die Behandlung nach 8 Tagen und in der Regel gibt es auch keine Nachfolge-Medikation. Trocken blieb ich im Schnitt 3-5 Wochen. Ohne Baclofen wohlgemerkt. Jetzt mit dem Masterplan (Arbeit, Therapie, Baclofen) funktioniert es hoffentlich besser. Ich war heute auch bei meiner Psychiaterin, die primär für die Behandlung meiner Depression/Dysthymie verantwortlich ist (ich nehme Elontril und als Nicht-Trinker auch wieder Mirtazapin). Sie hat zugesagt dass ich jederzeit ein Privatrezept abholen kann, wenn meine Baclofen-Vorräte aufgebraucht sein sollten. Als ich sie vor Jahren wegen Baclofen gefragt hatte kannte sie die Ameisen-Story gar nicht. Inzwischen ist sie relativ belesen und unterstützt außer mich auch ein paar wenige andere Patienten, allerdings nur per Privatrezept.
Das war es für heute. Bis demnächst, kapuze2
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Familyman
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Betreff des Beitrags: Re: Auszug aus dem Suffloch Verfasst: Samstag 20. Juli 2019, 15:52 |
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Moderator |
Registriert: Mittwoch 23. November 2011, 14:56 Beiträge: 1154
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Hallo kapuze2, na, dann gilt's heute! Ich drücke ganz fest die Daumen, dass der Einstieg gut gelingt! Du hast dir ja eine umfangreiche Strategie zurechtgelegt und mit deiner Psychiaterin auch noch eine gute fachliche Vertrauensperson auf deiner Seite. Dann kann's ja losgehen - alles Gute dabei, und erzähle, wie es dir ergeht. Ganz wichtig: Rückschläge kann es immer mal geben; sie sind keine Schande, sondern lediglich eine Aufforderung, wieder aufzustehen. Herzlich grüßt Dieter
_________________ Du brauchst keine Angst zu haben.
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kapuze2
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Betreff des Beitrags: Re: Auszug aus dem Suffloch Verfasst: Samstag 27. Juli 2019, 00:53 |
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Registriert: Mittwoch 15. Mai 2019, 23:06 Beiträge: 22
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Hallo @ all, Hallo Dieter,
das mit den Rückschlägen stimmt leider. Gefühlt sind es zwei Schritte vorwärts, aber ein Schritt zurück schleift stets hinterher. Ich habe jetzt erstmal eine Liste gemacht von meinen letzten "Entgiftungen". Rekord war November/Dezember mit 6 Wochen. Alles (3-4 Versuche) danach dauerte zwischen 3-12 Tagen an. Auch bei meinem letzten Versuch lief zunächst alles gut. Ich habe dann aber die Medikation schnell reduziert, weil ich einfach nicht mehr schlapp sein wollte. Gleichzeitig war ich konfrontiert mit einem enormen Leerlauf und einer gewissen Leere. Das war nur wenige Tage am Stück auszuhalten. Ich hatte tolle Tagespläne, bin jeden Morgen gegen 8 aufgestanden, fuhr in Bibliotheken, zur Suchtberatungsstelle etc., war aber meistens wieder gegen 14 oder 15 Uhr zuhause. Tage ohne Alk sind halt lang.
Jetzt stehe ich vor einem Chaos: Meine Medikamente habe ich für die ersten Tage bereits soweit aufgebraucht dass ich nicht mehr von Neuem anfangen kann. Meinen Rückfall am Mittwoch spürte ich heute noch extrem. Gestern nicht, weil ich da Medikamente nahm und eher im Bett blieb. Heute hatte ich auch ein tolles Programm: Ich wollte zur Mensa an meine Uni: Hab im Moment kaum Geld, also dort gerne für 1,75 Euro lecker veganen Möhreneintopf essen, danach zur Landeszentrale für politische Bildung. Die haben aktuelle Bücher in eigener Auflage, 5 davon kann sich jeder Studierende kostenfrei pro Quartal mitnehmen. Danach wollte ich noch in einen Klamottenladen, einfach gucken. Ich wäre gegen 16 Uhr zurückgekommen, hätte mich wieder an die Medikation gehalten, es ruhig angehen lassen, was gekocht, Netflix, fertig. Das mit dem "Netflix, fertig" ist aber gar nicht so einfach nach mehreren Tagen am Stück. Sobald ich nichts trinke ist mein Gehirn eine Camera Obscura. Ich erinnere mich zusammenhangslos an Details aus ... z.B. einem Jahr vor 2 Jahrzehnten. An Musik, an Fehler, an Glücksgriffe, an Gerüche, an Lieben. Ich träume auch absurd intensiv. Keine Alpträume, aber mit schlagartigem Erwachen und Nachhall. Kann auch am Mirtazapin liegen, sagt man ja. Aber ich hab das auch tagsüber.
Trotz dieser sehr freudigen Rückkehr eines Bezugs zu mir selbst (im Suff gibt es nur eine elende ausgedehnte Gegenwart oder Zeitlosigkeit) ist meine Grundstimmung leider insgesamt in der Tendenz eher depressiv. Also ohne fixen Tagesplan droht Verhaltensrückfall. Und leider ist es halt wirklich so dass die kleinste Irritation alles über den Haufen werfen kann. Ich bin ja official depressiv, letzte Diagnose "Dysthymie". Den Zauber, der Neuem inne wohne, den kann ich gut ausblenden, nach wenigen Tagen, sobald Wiederholung einkehrt.
Wie gesagt habe ich am Mittwoch erneut getrunken (an Tag 5). Nur eine gewisse Ablenkungs-Action, die aber übersichtlich und eher angenehm gewesen wäre, hätte mich aber über den heutigen Tag (Tag 2b, gestern nichts getrunken) gebracht. Stattdesen war ich vor Antritt meines Tagesplans kurz Tabak kaufen und auf dem Weg zum Kiosk (an dem ich auch stets Bier kaufte) begegnete ich einer Baby-Ringeltaube. Die lief da planlos durch die Gegend. Das ist ja an sich nicht schlimm, aber ich machte mir Sorgen. Und das zurecht: Ich lief ihr nicht nur hinterher, ich stresste sie auch bewusst, um zu testen, ob sie wegfliegen kann. Konnte sie nicht. Also rannte ich ihr hinterher und konnte sie endlich schnappen, lief mit ihr in in beiden Händen in meine Wohnung. Hatte dort keinen Karton ausreichender Größe, musste sie auf den Dielenboden setzen. Bin dann zu Edeka, die hatten auch kaum Kartons (warum auch immer), kam dann mit einem Riesenkarton zurück, musste die Taube wieder einfangen (sie versteckte sich unter dem Schreibtisch, hinter dem Bett ...) und auf ein Handtuchnest in den Karton setzen. Dann bei Facebook in Gruppen nach Pflegestellen suchen. Hat alles nicht funktioniert. Letztlich hat mir eine Bekannte die Taube heute abend an einem Bahnhof abgenommen, an den ich mit Riesenkarton und Taxi fahren musste. Sie kennt sich mit Tauben aus und hat Kontakte. Getrunken habe ich erst nachdem ich wieder zuhause war, aber das hat sich den ganzen Tag bereits angekündigt. Nichts ist in Ordnung. Der Mangel an Geld (ich hab wirklich nur noch 10 Euro in der Geldbörse, allerdings ausreichend Nahrung im Kühlschrank und Tiefkühlfach) schreit mich ebenfalls an: Sauf nicht, Du Depp! Aber beim Penny gab es "Berliner Pilsener" für 0,45 Euro die Flasche. Meine letzten Reste Levetiracetam werde ich am Sonntag nehmen. Am Montag bin ich eh beim Arzt. Ich wurde zu einem erneuten Rundum-"Check Up" eingeladen. Das beginnt mit Blutabnahme Montag früh. Da werde ich nach einem erneuten Rezept für L. fragen, das die mir sicher nicht gerne geben werden.
Sagen wir es so: Es ist ein auf und ab, die abstinenten Tage überwiegen mittlerweile deutlich. Aber der Wechsel ist immer sehr schmerzhaft. Ich kann also nichts trinken am Tag danach, aber am Tag darauf ist es doppelt schwierig. Und das liegt nicht an einem krassen Pegel. Am Mittwoch habe ich 7 Bier getrunken, die halten ja wohl nicht 1 1/2 Tage. Da ich am Donnerstag einen neuen Job übernehme wäre also nun wieder die Phase der "Entgiftung", jedenfalls des Nicht-Trinkens, dran. Vielleicht ist es auch besser so, wenn es nun endlich ganz krass zeitlich verknüpft ist. Immer drohte mir ab Tag 4-6 die Decke auf den Kopf zu fallen, das wird ja nun nicht passieren können. Sollte aber die Erwerbstätigkeit selbst Suchtdruck machen: Dann Gute Nacht.
Also ich werde am Sonntag die Reste von Medikament L schlucken, am Montag auf Nachschub hoffen und eben wieder weiter nichts trinken bis Arbeitsbeginn und darüber hinaus.
Es ist aber insgesamt ein Elend. Das wisst Ihr alle als Betroffene. Diese Alksucht, die ja keine Sucht im Sinne von Lust ist, ist zum Kotzen. Das Rein/Raus aus der Abstinenz bei mir derzeit sagt ja auch alles. Ich schaffe es mehrere Tage am Stück, aber um so länger ich auf mich selbst zurückgeworfen bin um so schneller schlägt es wieder um. Nun könnte man sagen: "Dann geh doch auf Therapie!". Daran hab ich natürlich auch gedacht, aber ich befürchte dass 3 Monate im Wald nichts vor Ort lösen werden. Ich war 2010 mal auf einer, das hat inhaltlich nichts gebracht. Die Zeitschindung hat natürlich einen Effekt, aber psychotherapeutisch ist eigentlich nichts weiter passiert. Danach hatte ich weniger süchtig wieder getrunken, sozial konform sozusagen. Schlimm ist der Zwang, von dem ich mich aktuell immer wieder aktiv löse, bis ich wieder nur von grauen Wolken umgeben bin und dann einfach keine andere Aktion auf diese sehe als "eine Ausnahme" zu machen, die dann noch tagelang Folgen nach sich zieht.
Zum "Bernburg-Schema" vielleicht noch: Auch wenn das nicht so klingt: Es funktioniert. Man muss es allerdings durchhalten und das hab ich ja nicht gemacht. Das war mein Fehler. Es liegt aber auch an der mangelhaften Verfügbarkeit der Medikation. Ich kenne keinen Arzt der das mit mir offiziell durchmachen würde. Ich habe durch Zufall öfters (Privat)rezepte für N1-Packungen bekommen. Aber wenn es dann halt mehr als 1x scheitert kann man es nicht von vorne beginnen, weil die Tabletten schon weitgehend aufgebraucht sind. Dem Schema positiv zu bescheinigen ist die relativ reibungslose eigentliche Entgiftung. Aber wer möchte schon eine Woche bettlägrig sein?
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Familyman
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Betreff des Beitrags: Re: Auszug aus dem Suffloch Verfasst: Sonntag 28. Juli 2019, 01:01 |
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Moderator |
Registriert: Mittwoch 23. November 2011, 14:56 Beiträge: 1154
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Hallo kapuze, ich finde es wichtig, dass du dir über eine Sache im Klaren bist: Es geht um dich und dein Leben - und um die Einsicht, dir fürs Suffloch einfach zu schade zu sein. Wie schaut’s denn aus mit a) Gesprächsmöglichkeiten mit Freunden und Bekannten, evtl. Familienmitgliedern b) Bewegung, Sport, Auspowern... ... als „flankierende Maßnahmen“ gegen die Dauerrückfallgefahr? Nach allem, was du schreibst, fällt es schwer zu glauben, dass du die Wende zur Alkoholfreiheit allein bzw. ohne neue Reize in deinem Leben schaffen kannst. Auch ein neuer Job ist keine Gewähr, wie du ja selbst zu bedenken gibst. Aber über allem steht: Niemals aufgeben Das lebhafte Träumen und plötzliche Erinnern an längst Vergangenes kenne ich auch als typisches Merkmal, wenn man nach langer Zeit endlich wieder mehrere Tage nüchtern bleibt. Das ist doch ein gutes Zeichen: Der Geist will Futter und wird frisch und aktiv, wenn endlich dem Suffloch entkommen. Sehr schade, wenn du schon nach wenigen Tagen immer wieder dort landest. Wie wär‘s mit 2 Tagen ab Donnerstag als Nahziel? Und dann mal schauen, ob dir auch für Samstag was Besseres als Saufen einfällt? Herzliche Grüße Dieter
_________________ Du brauchst keine Angst zu haben.
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kapuze2
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Betreff des Beitrags: Re: Auszug aus dem Suffloch Verfasst: Sonntag 28. Juli 2019, 16:08 |
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Registriert: Mittwoch 15. Mai 2019, 23:06 Beiträge: 22
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Danke für Deine Worte, Dieter. Ich nehme morgen einen weiteren Anlauf, in der Hoffnung morgen früh nochmal ein Rezept beim Hausarzt erhalten zu können. Also nichts trinken werde ich so oder so, aber es wäre besser zur Sicherheit auch das Antiepileptikum vorrätig zu haben, mein Vorrat reicht eigentlich nur für morgen. Bis Donnerstag wären es dann schon 3 Tage, zum Wochenende bereits 5. Am Samstag plane ich einen Ausflug mit meiner Freundin und am Montag geht die Arbeit weiter. Hundertprozentig ohne sozialen Druck (Job) wird das also nicht sein, aber ich hätte immerhin drei Tage, um wieder einigermaßen klarzukommen, am Mittwoch hab ich auch noch einen Frisörtermin. Ich möchte mir auf keinen Fall entgehen lassen, am Donnerstag nüchtern und mit okayen Haaren das Experiment Job anzutreten.
Meine Freundin kennt jedenfalls auch meine Situation. Und ich habe einen guten Freund, der ebenfalls vor einiger Zeit das Trinken aufgegeben hat. Viele der sonstigen Bekanntschaften sind teilweise schon auch mit Trinken verbunden, zumindest aus bisheriger Gewohnheit. Wenn man sich verabredete war es meist eine Kneipe, oder mit einem Bier vom Späti in den Park. Das wird also eine mittelfristige Aufgabe, die Kontakte weiter pflegen zu können, ohne dabei in ungünstige Situationen zu geraten.
Also bitte Daumen drücken, dass mir morgen nochmal ein Rezept ausgestellt wird. Das Medikament hab ich in der Apotheke schon ohne Rezept vorbestellt, könnte ich direkt abholen. Dann bis Donnerstag nichts zu trinken würde mit Sicherheit klappen. Und ab Donnerstag hab ich erfreulicherweise eigentlich anderes zu tun als über Suff nachzudenken (außer in der Selbsthilfegruppe, die ich samstags und montags besuchen werde).
Demnächst also wieder ein Update, bis dann, kapuze2
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