@ milli:
Zitat:
Sonst hör ich immer nur: "Stell Dich nicht so an, so schlimm wird es wohl nicht sein"
Ich finde solche Bemerkungen nicht nur deplaziert, sondern extrem egoistisch.
Wenn jemand etwas für sich verändern will, wird er nur selten unterstützt.
Jede Veränderung ist für das Umfeld eine Bedrohung. Es könnte sich auch in den Beziehungen etwas verändern, und das will das Umfeld nicht.
Denn jeder Kranke, ob Alkoholiker, Depressiver, Krebskranker oder "nur" an Neurodermitis und Migräne erkrankte Mensch erfüllt in seinem sozialen Bezugssystem eine bestimmte Aufgabe.
Das ist meine persönliche Meinung.
Am Alkoholiker kann man sich gut hochziehen:"Der/die trinkt zuviel. Wir ja nicht- Prost, noch eine Runde!"
Der Depressive passt gut zum Helfersyndrom, wie alle Erkrankten.
Wie gut tut es doch, vom Umfeld bewundert oder bemitleidet zu werden, wenn man sich um jemanden, der krank ist, aufopfernd sorgt.
Gleichzeitig sind Kranke ideale Prellböcke, an denen sich das Umfeld nach Lust und Laune austoben kann- sie können sich nicht (angemessen) wehren.
Auch der Migränekranke oder jemand mit chronischen Schmerzen paßt wunderbar ins Schema.
Ob auf der Arbeit, zuhause, der Erkrankte ist (für Mitarbeiter, Angehörige, Freunde) eine Ausrede für alles Mögliche.
Beispiel:
Die Aufgaben wurden nicht rechtzeitig erfüllt, da man ja Rücksicht auf den Kranken nehmen musste bzw. dieser seinen Aufgaben zur Zeit nicht angemessen nachkommen konnte und man selbst daher diese Aufgaben übernehmen musste.
So wird derjenige im Umfeld, der versagt, entschuldigt und sogar noch bewundert *arrggh*.
(Nicht falsch verstehen: der Erkrankte selbst kann natürlich seine Krankheit auch als Vorwand nehmen, unliebsame Dinge nicht erledigen zu müssen. Das ist aber meiner eigenen Erfahrung nach eher selten der Fall).
Anderes Beispiel:
Man schiebt die Sorge um den Erkrankten vor, um nur nichts an sich selbst verändern zu müssen (anstelle von "ich habe keine Lust, mitzukommen", sagt man: "ich würde ja gern mitkommen, aber...")
So hat jeder Kranke seinen Platz in seinem Umfeld.
Ich glaube, ich drücke mich gerade umständlich und vielleicht auch unverständlich aus- entschuldige bitte.
Was nun, wenn der Erkrankte etwas an seinem Zustand verändern möchte/kann und es sogar tut?
Das stellt eine massive Gefahr für das soziale Gefüge in der Gruppe dar.
Die Person mit dem Helfer-Syndrom wird ihrer Anerkennung durch die Umwelt beraubt, da der Kranke einiges wieder selbst in die Hand nimmt; sie verliert an Macht über den Erkrankten.
Das bedroht das Ego des "Gesunden".
Der Faulpelz auf der Arbeit, der sein eigenes Versagen dem Migräne-Kranken in die Schuhe schiebt, verliert nun sein Gesicht- eine fürchterliche Gefahr fürs Selbstwertgefühl!
Der Mensch mit Neurodermitis ist plötzlich nicht mehr dankbar, überhaupt "Freunde" zu haben, sondern beginnt, sich seinen Bekanntenkreis selbst auszusuchen, da er jetzt "besser aussieht", und das bedroht natürlich diejenigen, die seine Krankheit zur Steigerung des eigenen Selbstwertgefühls benutzten.
Das "Helferlein" muß in der Gruppe lernen, "nein" zu sagen, da es den Kranken nicht mehr als Ausrede vorschieben kann und so weiter...
Besonders schlimm ist es beim Alkohol.
Der schuldbewußte Alkoholiker akzeptiert vieles seiner "Helferlein", was er normalerweise ganz anders regeln würde. Wie entsetzlich für die "Helfer" oder die "nicht abhängigen Freunde- prost!", wenn er Selbstvertrauen entwickelt, "Widerworte" gibt und zeigt, daß er durchaus in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen.
Das kann so schlimm werden, daß "Freunde" es bewußt darauf anlegen, den gerade zu trocknen beginnenden "Nassen" unbedingt wieder in die Abhängigkeit zurück zu führen.
Hier beginnen Beziehungen zu bröseln, wenn nicht zu zerbrechen.
Kurz :
Wer Deine Befindlichkeit bzw. Dein Empfinden bagatellisiert, ist nicht Dein Freund.
lg
Nexe