Dienstag 18. Juli 2017, 11:33
Hallo, liebes Forum!
Mein 4. Teil für die TrokkenPresse ist fertig! Viel Spaß beim Lesen!
Mein Weg mit Baclofen – Teil 4
Eines schienen die Alkoholiker, die ich bei den AA traf, gemeinsam zu haben: Sie alle sagten, sie würden trinken, um einen lebenslang bestehenden Schmerz zu lindern, in der Regel verbunden mit Angst, einer affektiven oder Persönlichkeitsstörung. Ich fand das bemerkenswert“, so Dr. Olivier Ameisen Ich finde, dass das Risiko in eine Abhängigkeit zu rutschen bei labilen, wenig selbstbewussten und von Ängsten geplagten Menschen weitaus größer ist. Manchmal frage ich mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich nicht unter Ängsten gelitten hätte und von Natur aus ein selbstbewusster Mensch gewesen wäre? Vielleicht wäre ich dann nicht in eine Abhängigkeit gerutscht... Doch es ist müßig darüber nachzudenken, denn die Vergangenheit kann man nicht rückgängig machen.
Inzwischen ist es Ende Juni und meine Dosis Baclofen liegt jetzt bei 140 mg. Meine anfängliche extreme Müdigkeit ist fast verschwunden und auch zum Walken konnte ich mich mehrmals die Woche aufraffen.
Am Anfang meiner Baclofentherapie war ich fest davon überzeugt, wenn mich dieses Medikament erstmal vom Suchtdruck befreit, wird alles gut und ich muss nicht mehr trinken. Ja, Baclofen hat mir den mitunter quälenden Suchtdruck genommen, jedoch greife ich immer noch ein bis zweimal wöchentlich zum Wein. Es ist zwar weitaus weniger, als vor der Bacl.-Therapie, doch frage ich mich, warum tue ich das? Mittlerweile ist mir doch klar, dass dieser Kick von früher nicht mehr existiert! Was verbirgt sich dahinter? Was will ich immer noch vergessen? Was will ich nicht sehen? Woran muss ich noch arbeiten? Ich glaube all das zeigt mir, dass irgendetwas bei mir noch im Argen liegt. Vielleicht sollte ich doch noch mal eine Verhaltenstherapie in Erwägung ziehen. Denn jetzt, da mich das Craving nicht mehr täglich quält, würde ich freier sein um an mir selbst zu arbeiten. Wie ein User aus dem Baclofen-Forum schon sagte: „BACLOFEN kann eine Art "Geh-Hilfe" sein und Betroffene dabei unterstützen, den Kopf frei zu bekommen für psychotherapeutische Maßnahmen und die Arbeit an sich selbst".
Durch die Gespräche mit meinem Arzt und dem täglichen Erfahrungsaustausch im Baclofenforum weiß ich, dass die Dosis, die eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Alkohol bewirkt, sehr unterschiedlich und individuell ist. Einige User berichten, dass sie bei einer täglichen Dosis von 150 bis 175 mg bereits mehrere Monate trocken sind. Andere wiederum benötigen sogar bis zu 200 mg und mehr, um nicht mehr trinken zu müssen. Auf der anderen Seite gibt es durchaus auch Abhängige, die mit einer geringen Dosis von 50 bis 80 mg super auskommen und kein Verlangen mehr verspüren. Wahrscheinlich gehöre ich zu denjenigen, die doch noch eine etwas höhere Dosis benötigen. Zum Glück ist Baclofen ein Medikament, welches nicht all zu viele unerwünschte Nebenwirkungen hat, wenn es langsam aufdosiert wird. Die Nebenwirkungen des Alkohols sind weitaus schwerwiegender.
Als hilfreich auf meinem weiteren Weg zur Abstinenz habe ich ein Buch von A. Carr „Endlich ohne Alkohol“, welches ich mir auf Empfehlung vor kurzem zugelegt hatte, empfunden. Der Autor schreibt darin u. a., dass Ängste, Hemmungen, Schüchternheit oder auch Stress etwas völlig normales sind und eine wichtige Schutzfunktion im Körper des Menschen ausüben. Dies hatte ich nie so gesehen. Mein ganzes Leben habe ich Schüchternheit, Hemmungen und gewisse Ängste als großen Makel empfunden, unter dem ich immer gelitten hatte. Der Grundstein für diese Gedanken wurde bereits in frühen Jahren bei mir gelegt. Schon in meiner Schulzeit und später auch in der Lehre musste ich schmerzlich erfahren, dass mit ruhigen Menschen meist niemand etwas zu tun haben wollte. Diese negativen Erfahrungen haben sich all die Jahre in meinem Kopf fest eingebrannt und mir das Gefühl gegeben, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist. Später dann fand ich im Alkohol die ideale Lösung für all meine, in meinen Augen, unliebsamen Charaktereigenschaften und Probleme. Dies funktionierte ja auch anfangs wunderbar. Ängste, Hemmungen und unerwünschte Gefühle waren wie weggeblasen. Ich wurde gemocht, bekam Aufmerksamkeit, war endlich nicht mehr gehemmt und schüchtern. Natürlich war das alles nur eine Täuschung, eine Illusion! Indem ich regelmäßig all die Jahre meine Seele mit Alkohol betäubte, habe ich alles nur noch schlimmer gemacht und irgendwann wurde ich abhängig. Alkohol macht nicht mutig und beseitigt auch keine Ängste, sondern läßt diese erst entstehen oder verschlimmert sie noch. Wer kennt nicht den Ausspruch: „Ich muss mir erstmal Mut antrinken!“ Noch gut kann ich mich daran erinnern, dass ich früher erst immer ein paar Gläser Wein benötigte, um überhaupt ein Telefonat führen zu können. Natürlich war das sehr kontraproduktiv, denn nach dem Telefonat wusste ich öfters gar nicht mehr, was ich selbst oder der Angerufene gesagt hat.
A. Carr schreibt weiter: „Alkohol verschafft einem die Illusion eine Stütze oder ein Vergnügen zu sein und suggeriert einem, der menschliche Körper ist schwach und unvollständig und benötigt Hilfe von außen. Dabei ist der Mensch die durchdachteste Lebensmaschine auf unserem Planeten. Mutter Natur hat uns mit Sinnesorganen und Instinkten ausgestattet, die ausschließlich dazu dienen, unser Überleben zu sichern. Wir verfügen über Adrenalin und andere Drogen die unser Körper automatisch freisetzt, wenn wir sie brauchen, und in den genau richtigen Mengen.
Es ist schon erstaunlich, wie ich so viele Jahre glauben konnte, dass ein hochwirksames Nervengift, was Alkohol ja ist, all meine Defizite kompensieren könnte? Hätte ich dieses Buch 20 Jahre früher gelesen, vielleicht wäre mir dann so manches erspart geblieben. Man weiß es nicht...
Baclofen führt ja erwiesenermaßen nicht zu einer Abhängigkeit, dennoch ist und bleibt Baclofen eben doch eine Chemikalie. Einerseits bin ich froh in diesem Medikament ein Mittel gefunden zu haben, welches das Craving dämpft, andererseits wiederum beunruhigt es mich ein wenig vielleicht ein Leben lang diese Tabletten in so einer hohen Dosis einnehmen zu müssen. Zwar verspüre ich so gut wie keine Nebenwirkungen, aber was wird in ein paar Jahren sein?
Doch meine Sorge scheint unbegründet zu sein. Eine Ärztin und Suchtmedizinerin, die öfters im Baclofen-Forum zu Gast ist, äußerte sich wie folgt: „Wenn die Dosis gefunden ist, sollte diese mehrere Monate bis zu einem Jahr eingenommen werden. Dann kann versucht werden langsam abzudosieren, die Erhaltungsdosis liegt bei 40-70% der zuvor eingenommenen Dosierung. Da die Alkoholstörung eine chronische Erkrankung ist, also lange anhält, ist das Ende der Baclofenbehandlung nicht genau planbar.“
Naja, soweit bin ich noch nicht. Aber eine alte Volksweisheit besagt: „Besser auf neuen Wegen etwas zu stolpern, als in alten Pfaden auf der Stelle zu treten.“
Ich werde weiter berichten.